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Der Nonkonformismus eines Unscheinbaren

Nach „Gruber geht“, „Besser“ und „Wald“ ist es jetzt ihr vierter: Doris Knechts neuer Roman „Alles über Beziehungen“ nimmt sich einen knapp 50-jährigen Betrüger vor und verhandelt nebenbei, was es mit Treue und Betrügen so auf sich hat.

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Lange hat er darunter gelitten: Viktors Gene haben ihn mit einem derart durchschnittlichen Erscheinungsbild ausgestattet, dass er für andere unsichtbar oder oft Verwechslungen ausgesetzt ist. Mittlerweile aber, so glaubt er, gereicht ihm diese Hypothek zum Vorteil: Denn Viktor „erwischt es nicht, nie“. Er hält sich „für praktisch bulletproof“, was vor allem in einer Hinsicht wichtig ist: Er hat unzählige Affären zu verbergen.

Nach dem Gruber in ihrem Debüt „Gruber geht“ hat Knecht in „Alles über Beziehungen“ wieder einen Unsympathler zum Protagonisten gemacht. Und die Autorin weiß, wie man solchen Figuren Leben einhaucht, sie schafft es, ihr Innenleben und ihre Marotten, Ausreden und wohldosierten Gewissensbisse unbarmherzig, aber nie allzu boshaft in Sprache zu packen. Glatte Figuren würden sie langweilen, meint Knecht im ORF.at-Interview. Bei ihr gehe es immer „um gebrochene, gespaltene, schwierige Charaktere“, denn so „sind meiner Meinung nach überhaupt die meisten Menschen. Naja, sagen wir: alle.“

Kulturmanager, Fahrradfahrer und Tattoo-Träger

Wer also ist dieser Viktor? Er ist nicht von der Sorte Gruber, kein Porschefahrer und Macher-Typ. Viktor ist stattdessen einer, dessen Nonkonformismus - beziehungsweise dessen Versuch, nonkonformistisch zu sein - sich passgenau in die typische Bobowelt einfügt, also in ein Milieu, aus dem Doris Knecht schon so oft und so treffsicher zu berichten wusste, etwa als Kolumnistin für den „Falter“ oder den „Kurier“.

Cover des Buchs von Doris Knecht

Rowohlt Verlag

Doris Knecht: Alles über Beziehungen. Rowohlt Berlin, 288 Seiten, 23,60 Euro.

Viktor also ist Kulturmanager, Fahrradfahrer und Tattoo-Träger. Er ist zweifacher Ex-Lebensabschnittspartner und fünffacher Familienvater, drei seiner Töchter stammen aus der jetzigen Beziehung mit Magda, die gerne am Wochenende in das „Hausi“ - zum Schrebergarten mit der Hütte - fährt.

Schon früh hat Viktor versucht, alles anders zu machen, er hat versucht, seine - inzwischen durch die Glatze und andere Eigenheiten leicht geschmälerte - Unscheinbarkeit zu bekämpfen. Zuerst mit Piercings, Frisur und Haarfarbe. Dann mit künstlerischen Ambitionen als Theatermacher. Und eben auch mit amourösen Eskapaden, für die er gerne seine insgeheim mit etwas Stolz so bezeichnete „Hypersexualität“ verantwortlich macht.

Krisenalter 50

Mittlerweile jedenfalls macht ihm sein Nonkonformismus auch etwas zu schaffen: Sein 50. Geburtstag steht vor der Tür, erste Gesundheitsprobleme kündigen sich an, und auch sein Drogen- und Alkoholkonsum beschäftigt Viktor mehr, als er will - selbst wenn das „nun mal zur Jobanforderung“ des Kulturmanagers gehöre, das Trinken also „Schicksal“ sei, wie er sich selbst zu beschwichtigen versucht.

Doris Knecht

Heribert Corn

Doris Knecht: Als literarische Chirurgin seziert sie den Alltag gnadenlos

Letztlich beschäftigt Viktor aber weniger das 50-Werden und die Gesundheit, sondern vor allem eines: die Gefahr, dass seine Affären auffliegen könnten, Josi und Helen, Anja, Camille, Lisbeth, Nathalie und noch einige andere. Diese Angst beschleicht ihn trotz des „bulletproof“-Gefühls, denn Viktor will seine Partnerin Magda eigentlich nicht verlieren: Für ihn wäre es ideal, könnte alles so bleiben, wie es ist.

Veranstaltungshinweis

Doris Knecht liest am 21. März um 20.00 Uhr im Cafe phil in Wien aus „Alles über Beziehungen“.

„Alles über Beziehungen“: Dieser Titel ist Programm. Knecht erzählt pointiert, lakonisch und höchst amüsant, nicht nur auf Anekdotisches reduziert oder, auch wenn das Milieu den Rahmen vorgibt, gar einseitig. Das liegt an den Perspektivenwechseln - auch Josi, Lisbeth oder Magda erzählen passagenweise - und daran, dass Knecht es schafft, feine Überlegungen zu Treue, Komplizenschaft und Loyalität im Hintergrund mitschwingen zu lassen. Im vielfach beschworenen „mitreißenden Knecht-Sound“. „Mit welcher Nonchalance Doris Knecht vom Existenziellen zu erzählen weiß, das ist bemerkenswert“, so hat das einmal die Zeitschrift „Literaturen“ kommentiert.

„Moral oder Treue hinterfragen“

Letztlich ist „Alles über Beziehungen“ aber auch eine Entwicklungsgeschichte: Auf den letzten 50 Seiten lässt Knecht das System kollabieren. Schnell geht das, aber es ist vielleicht genau passend so: Die Lawine rollt, und da lässt sich kaum mehr etwas aufhalten, egal ob man jetzt wie Magda die Welt einstürzen sieht oder ob man sich wie Josi denkt: „So war das. Beim Fremdgehen wurde es ganz schnell konservativ und reaktionär.“

Dieser Perspektivenreichtum, der sich nicht festnageln lässt, ist auch das Mitreißende an Knechts Buch. Sie erzählt verschiedene böse, witzige, dramatische oder alltägliche Geschichten über das Betrügen, ohne für Viktor, Josi, Magda oder wie sie alle heißen Partei zu ergreifen oder sie gar zu verdammen.

Knecht selbst jedenfalls versteht sich als Beobachterin, der es darum gehe, „Dinge wie die Definition von Moral oder Treue zu hinterfragen“. Den Hang zum „traditionellen katholischen Kleinfamilienprinzip“ der Post-68er und Post-89er findet sie schon erstaunlich. Das wollte sie sich anschauen - genauso wie die Frage, „aus welchen persönlichen Gründen heraus Leute nicht im klassischen Sinn treu und monogam sind, sein können oder wollen“.

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