Demos in Deutschland und Österreich
Mit ungewöhnlich scharfen Worten hat die deutsche Regierung die Anordnung der Untersuchungshaft für den deutsch-türkischen „Welt“-Korrespondenten Deniz Yücel in der Türkei kritisiert. Bitter und enttäuschend sei die Nachricht, die Entscheidung selbst unverhältnismäßig hart, ließ Kanzlerin Angela Merkel mitteilen.
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Außenminister Sigmar Gabriel äußerte sich noch kritischer: „Der Fall Deniz Yücel wirft ein grelles Schlaglicht auf die Unterschiede, die unsere beiden Länder offensichtlich bei der Anwendung rechtsstaatlicher Grundsätze und in der Bewertung der Presse- und Meinungsfreiheit haben“, sagte er. „Das sind dramatische Zeiten für die Türkei, es sind auch schwierige Zeiten für die deutsch-türkischen Beziehungen.“
Gabriel sieht Rechtsbruch
Am Dienstagnachmittag hieß es aus dem deutschen Außenamt, man habe den türkischen Botschafter in Berlin zu einem Gespräch gebeten. Es sei ihm deutlich gemacht worden, dass es „sehr große Bewertungsunterschiede“ bei der Presse- und Meinungsfreiheit zwischen beiden Ländern gebe, sagte Gabriel. „Die Solidarität mit Deniz Yücel ist der Ausdruck der klaren Haltung in der deutschen Öffentlichkeit.“
Am Donnerstag warf Gabriel Rechtsbruch vor. Die Inhaftierung des deutsch-türkischen Journalisten verstoße gegen geltendes Recht und schränke die Meinungs- und Pressefreiheit ein, sagte der deutsche Außenminister.
U-Haft kann bis zu fünf Jahre dauern
Der Journalist war am Montag nach 13 Tagen im Polizeigewahrsam in Untersuchungshaft genommen worden. Diese kann fünf Jahre dauern, bis es zur Freilassung oder zu einem Prozess kommt, in dem die Schuldfrage geklärt wird. Yücel hatte sich am 14. Februar bei der Polizei in Istanbul gemeldet, weil nach ihm gefahndet worden war. Er wurde festgenommen.
Dem 43-jährigen Korrespondenten werden der „Welt“ zufolge „Propaganda für eine terroristische Vereinigung und Aufwiegelung der Bevölkerung“ vorgeworfen. Yücel besitzt die deutsche und türkische Staatsbürgerschaft. Aus Sicht der türkischen Behörden ist er damit ein einheimischer und kein ausländischer Journalist.
Nach Artikel 7 des Anti-Terror-Gesetzes drohen für Terrorpropaganda ein bis fünf Jahre Gefängnisstrafe. Die Strafe kann allerdings um die Hälfte erhöht werden, wenn die Propaganda in Medien veröffentlicht wurde. Den Verantwortlichen in diesen Medienhäusern droht außerdem ein Bußgeld. Auch Volksverhetzung kann in der Türkei mit Gefängnis geahndet werden: Nach Artikel 216 des türkischen Strafgesetzbuches beträgt das Strafmaß dafür ein bis drei Jahre Haft.
Entscheidung für Kurz „nicht nachvollziehbar“
In Österreich drückte Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) die Hoffnung auf eine baldige Freilassung Yücels aus. Die Pressefreiheit in der Türkei werde „immer massiver eingeschränkt“, erklärte Kurz via Kurznachrichtendienst Twitter. Die Entscheidung sei „nicht nachvollziehbar“.
ÖVP-Generalsekretär und Mediensprecher Werner Amon zeigte sich „erschüttert“. Kritische und unabhängige Berichterstattung sei „eine wichtige und notwendige Säule der Demokratie. Dieses harte Vorgehen der türkischen Justiz ist auf das Schärfste zu verurteilen.“ Der Präsident des Verbands Österreichischer Zeitungen (VÖZ), Thomas Kralinger, sprach in einer Aussendung von einem „neuen und nicht mehr tolerablen Tiefpunkt für die türkische Pressefreiheit“.
Für Amnesty International „inakzeptabel“
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International nannte den Haftbefehl „inakzeptabel“. Reporter ohne Grenzen erklärte: „Dass ein Korrespondent einer namhaften ausländischen Redaktion sich jetzt gegen solche Anschuldigungen erwehren muss, bedeutet eine neue Qualität der Verfolgung, die deutlich über die bisherigen Schikanen wie Einreisesperren oder verweigerte Akkreditierungen hinausgeht.“
Axel-Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner bezeichnete das Vorgehen der türkischen Justiz als „Mechanismus der Einschüchterung“ eines autokratischen Systems. „Sein Fall ist kein Einzelfall, er ist Teil eines Systems, von neuer Qualität ist er nur deshalb, weil hier der Korrespondent einer nichttürkischen Zeitung betroffen ist“, schrieb der Präsident des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger in einem auf welt.de veröffentlichten Beitrag.
Demos unter dem Motto „#FreeDeniz“
Er hatte zuvor eine Kundgebung für diesen Dienstag vor der türkischen Botschaft in Berlin unter dem Motto „#FreeDeniz“ angekündigt. In mehreren deutschen Städten sowie Zürich, Wien und Graz wurde mit Autokorsos protestiert. Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen lag die Türkei schon vor dem im Juli 2016 verhängten Ausnahmezustand auf Platz 151 von 180 Staaten. Dutzende regierungskritische türkische Journalisten sitzen in Haft.
Das französische Außenministerium zeigte sich „sehr besorgt“. Es sei „fundamental, dass die Türkei ihre internationalen Verpflichtungen im Hinblick auf das Recht auf freie Meinungsäußerung einhält“, teilte ein Sprecher in Paris mit.
Brief aus dem Gefängnis
Deniz Yücel selbst schickte einen handschriftlich verfassten Brief an seine Freunde und Unterstützer, den die „Welt“ am Donnerstag veröffentlichte. Es gehe ihm gut: „Hier werde ich nicht lange bleiben, aber es ist okay. Und obwohl sie mich meiner Freiheit beraubt, bringen mich das Verhör und die Urteilsbegründung noch immer zum Lachen. Ich muss jetzt abbrechen. Aber ich danke allen Freunden, Verwandten, Kollegen, und allen, die sich für mich einsetzen. Glaubt mir: Es tut gut, verdammt gut.“
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