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Wirtschaftsreformen in Planung

Der Ölboom hat Saudi-Arabien zu einer der stärksten Wirtschaftsnationen der Welt werden lassen. Seit die Preise im Keller sind, muss das Königreich aber an die Reserven gehen. Und die größte Herausforderung steht der Wüstenmonarchie noch bevor: die eigene Jugend.

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Die Arbeitslosigkeit in Saudi-Arabien steigt unaufhörlich, das Einkommen der Haushalte sinkt rapide. Das Königshaus reagierte drastisch, fror die Staatsausgaben ein und ließ ausländische Gastarbeiter nicht mehr ins Land. Doch den Verfall der saudischen Wirtschaft können die Maßnahmen nicht aufhalten. In diesem Modellszenario der Analysten von McKinsey sieht die Zukunft des Landes düster aus. Mit einem radikalen Wandel der Wirtschaftspolitik wäre das jedoch anders, schrieb das McKinsey Global Institute in einer Analyse im Dezember 2015.

„Vision 2030“ angekündigt

Ein paar Monate später bahnte sich dieser Schritt tatsächlich an. Der stellvertretende Kronprinz Mohammed bin Salman ist der neue starke Mann Saudi-Arabiens, und er kündigte im April 2016 eine große Wirtschaftsreform an: die „Vision 2030“. Angesichts des Preisverfalls beim Öl und der steigenden Staatsverschuldung soll die Wirtschaft in den kommenden 14 Jahren unabhängiger vom Öl werden. Derzeit erwirtschaftet das Land rund 90 Prozent seiner Einnahmen durch Ölexporte.

„Die saudische Wirtschaft war auf Achterbahnfahrt vergangenes Jahr“, sagte der Geschäftsführer der deutschen Auslandshandelskammer in Riad, Oliver Oehms. Einige Unternehmen hätten stark mit Zahlungsausständen zu kämpfen. Gerade öffentliche Auftraggeber hätten Gelder zunächst zurückgehalten. Es fehle an Liquidität.

Geringeres Haushaltsdefizit als erwartet

Die holte sich das Land im Oktober durch internationale Geldgeber und brachte erstmals Anleihen für Investoren auf den Markt. Rund 17,5 Mrd. Dollar (16,53 Mrd. Euro) soll sich Saudi-Arabien nach Einschätzung von Börsenkennern durch die Anleihen beschafft haben. Das Land beendete das Jahr entsprechend auch mit einem geringeren Haushaltsdefizit als erwartet: Das Haushaltsloch beträgt 2016 nach eigenen Angaben „nur“ rund 75 Milliarden Euro. Das seien rund neun Prozent weniger als geschätzt.

Doch Staatsanleihen allein reichen nicht aus. „Um die Transformation zu schaffen, muss Saudi-Arabien den Schritt vom aktuellen regierungsgeleiteten Wirtschaftsmodell zu einem mehr marktbasierten Ansatz schneller vollziehen“, analysierte McKinsey. Die vom stellvertretenden Kronprinzen Salman ausgegebenen Ziele lesen sich entsprechend weitgreifend, die Maßnahmen radikal: Der Privatsektor soll von 40 auf 60 Prozent erhöht, die Arbeitslosenquote von elf auf 7,6 Prozent gesenkt werden.

Saudi Aramco soll an die Börse

Der staatliche Ölkonzern Saudi Aramco soll dafür an die Börse gebracht werden, staatliche Subventionen für Strom und Wasser werden abgebaut, die Gehaltspakete im öffentlichen Dienst teilweise empfindlich beschnitten. Anfang 2018 soll die Mehrwertsteuer eingeführt werden. Es ist eine Reform im Werden. Investoren aus dem Ausland sollen noch stärker eingebunden werden, sagte auch Basma al-Buhairan von der staatlichen Investitionsbehörde Sagia.

Sie verantwortet den Medizinbereich der Institution, neben dem vor allem im Bereich Transport, Landwirtschaft, erneuerbare Energien und Infrastruktur neue Investoren angelockt werden sollen. „Weil der Energiemarkt so anfällig geworden ist, muss sich Saudi-Arabien breiter aufstellen und unabhängiger vom Öl werden“, so al-Buhairan. Die Vorteile des Landes liegen für sie auf der Hand: gute Infrastruktur und vor allem viele gut ausgebildete junge Menschen. Etwa 60 Prozent der saudischen Bevölkerung sind der Sagia zufolge unter 35 Jahre alt.

„Tickenden Zeitbombe“

Und genau hier sehen Wirtschaftsanalysten die wahre Gefahr für Saudi-Arabien - neben der Abhängigkeit vom Öl. Die amerikanische Denkfabrik Brookings spricht im Zusammenhang mit der jungen - und kritisch denkenden - Bevölkerung von einer „tickenden Zeitbombe“ als „Mutter aller Probleme“ neben dem Haushaltsloch, regionalem Terrorismus und hohen Staatsausgaben. Zwar sei eine junge und gut ausgebildete Generation auch ein möglicher Treiber von Fortschritt, gelinge deren Integration in den Arbeitsmarkt jedoch nicht, könne das zu Unruhe führen.

Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) sah vor einiger Zeit die junge Generation im Fokus des politischen Wandels. Während ausländische Gastarbeiter häufig zu schlechten Löhnen im Privatsektor arbeiteten, zielten junge Saudis auf einen Job im sicheren und gut bezahlten Staatsdienst. Doch auch hier setzt die Führung derzeit mit Reformen an. Und schon jetzt liegt die Arbeitslosenquote der Jungen nach Angaben der Weltbank bei knapp 30 Prozent. Kürzt der Staat weiter bei der Subventionen und Grundversorgung, könnte das zu Problemen führen.

Skeptische Stimmen befürchten Unruhen

Die Wirtschaftsreform in Saudi-Arabien ist eine von oben verordnete. Kaum einer zweifelt an der Ernsthaftigkeit, mit der Saudi-Arabien die angekündigten Reformen auch anpacken will. Der US-amerikanische Wirtschaftsanalyst Mark Mobius sieht die Probleme daher eher in der Bevölkerung selbst: „Es gibt Stimmen, die daran zweifeln, dass in diesem an staatliche Leistungen von der Wiege bis zur Bahre gewöhnten Land eine Transformation in dem geplanten Umfang tatsächlich möglich ist“, schrieb er nach dem Besuch einer Konferenz in Saudi-Arabien in seinem Blog.

Die Verschiebung in den Privatsektor könne zu einer Quelle von Unruhen werden, zumal „einige saudische Amtsträger“ sich in Bezug auf Privatisierung von Staatsvermögen eher skeptisch und zurückhaltend zeigten. „Mohammed bin Salman steht ganz klar im Kern des Geschehens“, sagt Außenhandelskammer-Geschäftsführer Oehms. „Die Regierung hinterfragt derzeit bisherige Muster.“

Die deutschen Unternehmen - rund 700 sind immerhin in dem Königreich vertreten - haben daher auch ein Komitee gegründet, um die Wirtschaftsreformen mitzubegleiten. „Die Ziele sind zwar teilweise enorm ambitioniert und vielleicht auch unrealistisch“, sagt Oehms. „Aber der Ansatz als solcher ist nachvollziehbar und alternativlos. Und wenn nur 30 oder 40 Prozent der Ziele erreicht werden, ist das schon ein großer Fortschritt.“

Simon Kremer, dpa

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