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Unterhaltung als Reformagenda

Ein Getränk im Lokal, ein Tanz in der Disco - solche Vergnügungen sind im erzkonservativen islamischen Königreich Saudi-Arabien ausgeschlossen. Dem Land, das unter dem Ölpreisverfall leidet, gehen dadurch aber auch Einnahmen verloren. Ein ehrgeiziger Reformplan sieht nun vor, künftig auch Geld an Freizeitaktivitäten zu verdienen - eine Art Schocktherapie sowohl für die Wirtschaft als auch für die streng kontrollierte Gesellschaft.

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In der Golfmonarchie sind sämtliche Einrichtungen verboten, in denen Männer und Frauen außerhalb der Familie zusammenkommen können. Kino und Theater sind tabu, die Geschlechtertrennung wird mit harter Hand durchgesetzt. Die Herrscherfamilie Al Saud, die das Land seit 1932 als absolute Monarchie führt, war bisher Garantin der Doktrin des Wahhabismus, einer konservativ-puritanischen Auslegung des Islam.

Wirtschaft soll modernisiert werden

Doch auch in Saudi-Arabien stehen die Zeichen auf Veränderung; Die Vorschriften, die Vergnügen und Entertainment im Königreich regeln, werden gelockert - und damit auch Geld im großen Stil gemacht, wie der Branchendienst Bloomberg berichtete. Saudi-Arabien soll eine komplette Kultur- und Unterhaltungsindustrie bekommen.

Kronprinz Mohammad bin Salman

AP/Cliff Owen

Vizekronprinz, Verteidigungsminister, möglicher Thronfolger: Mohammed bin Salman

Diese Neuerungen sind Teil eines ambitionierten Reformprojekts, das im April 2016 vorgestellt wurde. An seinem Ende soll zumindest die gesamte Wirtschaft des bedeutenden Ölexportlandes umgekrempelt sein. Die „Vision 2030“ wurde von Mohammed bin Salman, Vizekronprinz und Sohn von König Salman, entwickelt, dem neuen starken Mann der Golfmonarchie. Über allem steht das große Ziel Saudi-Arabiens, von der allzu starken Abhängigkeit vom Öl wegzukommen. Denn der Ölpreisverfall der vergangenen Jahre ließ die Alarmglocken schrillen. 2015 klaffte ein Loch von umgerechnet 87 Mrd. Euro im Staatshaushalt, 2016 von etwa 75 Milliarden Euro. Rund 90 Prozent der Einnahmen des Staates stammen aus dem Ölexport.

Behörde für Unterhaltung wurde eingerichtet

In Zukunft sollen die Einnahmen breiter aufgestellt sein - ein großer Teil davon soll aus dem bisher kaum vorhandenen Unterhaltungssektor kommen. Bis 2020 soll es rund 450 Einrichtungen geben, die eine Vielzahl kultureller Aktivitäten und Events bieten. Das Ziel ist, die Ausgaben für Freizeitangebote zunächst auf sechs Prozent zu verdoppeln und somit rund 100.000 neue Jobs zu schaffen, so Amr al-Madani, Chef der neu geschaffenen Unterhaltungsbehörde, zu Bloomberg. „Es ist ein wirtschaftliches Vehikel“, man folge dabei „unseren islamischen und kulturellen Werten“, so Madani.

Die neue Behörden sponsert etwa Veranstaltungen in diversen Städten des Königreichs. Der World-Wrestling-Zirkus machte 2016 halt in Riad, eine Musikshow mit 6.000 Besuchern gab es nahe Dschidda. Die US-Freizeitparkkette Six Flags will einen Themenpark für rund 500 Millionen Dollar (etwa 476 Mio. Euro) in Saudi-Arabien erbauen.

Ausländische Gelder willkommen

Das Königshaus gesteht auf der offiziellen Website zur „Vision 2030“ ein, dass das Angebot den Ansprüchen nicht mehr genüge: „Wir sehen Kultur und Unterhaltung als unerlässlich an für unsere Lebensqualität. Wir sind uns darüber wohl bewusst, dass die derzeit verfügbaren Kultur- und Vergnügungsmöglichkeiten nicht die wachsenden Bedürfnisse unserer Bürger und Bewohner reflektieren, und sie stehen auch nicht im Einklang mit unserer florierenden Wirtschaft.“ Deshalb unterstütze man den Wunsch, Veranstaltungen zu organisieren, im öffentlichen wie im privaten Sektor, wie es heißt.

Bisher reisen Saudis, die sich unbeobachtet und frei von den strengen Regeln der Sittenwächter bewegen wollen, am Wochenende oder in den Ferien in liberalere angrenzende Länder, etwa nach Bahrain. Mit der „Vision 2030“ soll Saudi-Arabien etwas von der Freiheit des Nachbarn erhalten.

1.600 Milliarden Euro sollen Land verändern

Das Land will den Wohlstand sichern, auch mit verstärkten Auslandsinvestitionen. Für die neue Unterhaltungsbranche wolle man auch ausländische Investoren anlocken und Partnerschaften mit internationalen Unternehmen eingehen, lautet der Plan. Land werde man zur Verfügung stellen, Künstler würden unterstützt.

Auch insgesamt stellt sich Saudi-Arabiens Wirtschaft neu auf: Erstmals wurden Anleihen für Investoren auf den Markt gebracht. Der Privatsektor soll von 40 auf 60 Prozent erhöht, die Arbeitslosenquote von elf auf 7,6 Prozent gesenkt werden. Der staatliche Ölkonzern Aramco soll dafür an die Börse gebracht werden. Zudem werden staatliche Subventionen für Strom und Wasser abgebaut, die Gehaltspakete im öffentlichen Dienst teilweise empfindlich beschnitten. Anfang 2018 soll eine Mehrwertsteuer eingeführt werden.

Die Rolle der Frauen ist ebenfalls im Plan umrissen: Sie sollen statt 22 Prozent der Arbeitskräfte künftig 30 Prozent stellen. Derzeit dürfen Frauen in Saudi-Arabien nicht Auto fahren oder auf eigene Faust reisen, heiraten oder arbeiten. Für die ganze „Vision 2030“ sollen mehr als 1.600 Milliarden Euro bereitgestellt werden - so viel wie das Bruttoinlandsprodukt Italiens.

Widerstand von Geistlichen erwartet

Offenbar bringen sich konservative Geistliche des Landes bereits gegen die Pläne in Stellung. So wurde etwa eine geplante Vorstellung des US-Komikers Mike Epps im vergangenen Dezember gestrichen - offenbar wegen Protesten Religionsgelehrter. Mohammed bin Salman, der Architekt des Reformplans, entwickelte einem Bericht des Magazins „Foreign Affairs“ zufolge bereits Abwehrstrategien gegen Querschüsse der Geistlichkeit.

Der 31-Jährige drohte Strafmaßnahmen an, sollten religiöse Konservative zu Gewalt angesichts der Reformpläne aufrufen. Er zeigte sich aber optimistisch, dass zumindest die Hälfte der Geistlichen davon überzeugt werden könne, die „Vision 2030“ mitzutragen. Sie gilt im reichsten Land der arabischen Welt als Blaupause für eine Zeit nach dem Öl. Doch ob sich das Königreich mit der Reformagenda auch gesellschaftlich modernisiert, bleibt fraglich.

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