Steuerdumping als „Wirtschaftsmotor“
Die EU-Kommission erlaubt zahlreichen entlegenen Inselgruppen in der Europäischen Union seit Jahrzehnten extrem niedrige Steuern, um Investoren anzulocken und somit Arbeitsplätze zu schaffen. Der Erfolg ist überschaubar: Großkonzerne und Superreiche nützen die Steuerschlupflöcher, doch die Inselbewohner haben wenig davon, wie das Beispiel Madeira zeigt.
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Im Jahr 1987, nach dem Beitritt Portugals zur damals noch Europäischen Gemeinschaft (EG), erteilte Brüssel der Atlantikinsel Madeira die erste Ausnahmegenehmigung: Mit einem Steuersatz von null Prozent sollten Investoren auf Madeira gelockt und damit die Wirtschaft angekurbelt werden. Das wiederum sollte Arbeitsplätze schaffen.
Rockbands und Fußballprofis
In Folge sollte die Zahl der Konzerne steigen - bis zum Jahr 2000 siedelten sich rund 6.000 an, darunter Global Player wie Pepsi oder der US-Ölkonzern Chevron. Auch die Reichen und Prominenten schätzen für ihre Unternehmen das steuerschonende Paradies im Atlantik: Die deutsche Rockband Böhse Onkelz tummelt sich dort ebenso wie die Tochter von Angolas Präsidenten Jose Eduardo dos Santos – immerhin die reichste Frau Afrikas; Profikicker vom FC Bayern München treffen dort auf Kollegen von FC Barcelona; auch der ehemalige Generalsekretär des Weltfußballverbands (FIFA), Jerome Valcke, hat seine Jacht auf Madeira registriert – gezwungenermaßen: Nach Auffliegen der Panama-Papers musste er seine panamaische Hauskanzlei Mossack Fonseca verlassen.
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ORF
Manchmal finden sich von Firmen auf Madeira kaum mehr als Briefkästen
Auch rund 30 Österreicher haben ihren Weg nach Madeira gefunden. Alles legal, mit Segen der EU. Das ergab eine Auswertung des Amtsblatts „Jornal Oficial da Regiao Autonoma da Madeira“, gleichsam das öffentlich zugängliche Firmenbuch Madeiras, das die ZIB2 gemeinsam mit dem Bayerischen Rundfunk, der französischen Tageszeitung „Le Monde“ und der spanischen „La Vanguardia“ durchforstet hat.
„EU-Kommission nimmt Zahlen für bare Münze“
Der Zuwachs der Arbeitsplätze hat in den letzten Jahrzehnten aber mit dem Unternehmerboom auf Madeira bei Weitem nicht Schritt gehalten. Das bestätigt auch Sergio Vasques, vormals Staatssekretär für Finanzen in Portugal und heute Professor für Steuerrecht in Lissabon: „Niemand hat konkrete Zahlen über die geschaffenen Jobs. Der Grund dafür ist, und das ist ein offenes Geheimnis, dass diese Briefkastenfirmen immer dieselben Personen anstellen. Darum sind die Zahlen nicht vertrauenswürdig. Aber die EU-Kommission nimmt diese Zahlen für bare Münze."
Madeira: Steuersonderzone auf EU-Gebiet
Auf Madeira, Teil Portugals, duldet die EU eine Steuersonderzone. Die ZIB hat sich angesehen, welche Firmen es dorthin zieht und zu welchem Zweck.
Und daher wurde die Ausnahmegenehmigung – seit Kurzem liegt der Steuersatz auf Madeira immerhin bei fünf Prozent – von der EU-Kommission immer wieder verlängert, zuletzt 2015. Ricardo Cardoso, Sprecher der EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager, verteidigt die Maßnahme: „Die Idee ist, den sozialen und wirtschaftlichen Zusammenhalt in der EU zu stärken, indem Regionen in Randlagen Ausnahmen gewährt werden - in der EU sind das neun Regionen, neben Madeira etwa Reunion, Martinique und die Kanarischen Inseln. Damit sollen sie den wirtschaftlichen Anschluss an das kontinentale Europa schaffen.“
Grüne wittern „Steuersumpf“
Allerdings räumt er auch ein, dass man sich bei der Zahl der angeblich geschaffenen Arbeitsplätze auf die Angaben der portugiesischen Regierung verlassen habe. Wenig Verständnis für derlei Ausnahmen haben die EU-Abgeordneten. Der österreichische EU-Abgeordnete der Grünen, Michel Reimon, verlangt eine Offenlegung aller Ausnahmen von der Kommission und spricht von einem „Steuersumpf“ inmitten der EU: „Das ist hochgradig ärgerlich. Sämtliche Erklärungen seit 2014, dass man gegen Steuerflucht vorgehe, sind Ausreden. Die Kommission ist vollkommen unglaubwürdig.“
Ana Gomes, portugiesische Abgeordnete zum Europaparlament, kritisiert: „Die Menschen auf Madeira verlieren durch diese Offshore-Struktur mehr, als sie gewinnen.“ EU-Kommissionssprecher Cardoso sieht das anders: Er weist darauf hin, dass es sich bei der Ausnahmegenehmigung für Madeira um eine von der EU genehmigte Beihilfe im Gegenwert von zuletzt 175 Millionen Euro handle.
Doch selbst die Konservativen in Brüssel sind empört. So sagt etwa der deutsche EU-Abgeordnete Markus Ferber (CSU): „Eigentlich kann ein fairer Wettbewerb in Europa nur funktionieren, wenn diese Sümpfe ausgetrocknet werden. Am Ende leiden wir alle darunter. Auch dem deutschen Fiskus entgeht Geld durch Madeira, auch anderen Mitgliedsstaaten entgeht dadurch Geld."
Ulla Kramar-Schmid und Jakob Weichenberger, ZIB2
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