Bittere Tränen unter der Reichsbrücke
Mit „Der Mann, der Luft zum Frühstück aß“ begibt sich Radek Knapp wieder in das Gefilde der Migrationsliteratur. Über die eigentliche Abneigung dem Genre gegenüber, die Luftdiät seiner Kindheit und seine Expertise in Sachen Heimat, die ihm „zumindest schon ein Häuschen“ einbringen hätte können, erzählt er im Interview mit ORF.at.
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ORF.at: Ihr neues Buch heißt „Der Mann, der Luft zum Frühstück aß“ – was hat es mit diesem Titel auf sich?
Radek Knapp: Ich wurde eines Tages von zwei Luftgangstern entführt, sie haben mich lange gefangen gehalten und mir nur Luft zu essen gegeben – das waren meine Eltern. Auch später hatte ich immer wieder das Gefühl, von Leuten und Institutionen gefangen gehalten und nur mit einer Luftdiät verpflegt zu werden. Irgendwann habe ich beschlossen, eigene Nahrung zu finden. Was soll ich sagen, es ist die Geschichte meines Lebens.
ORF.at: Also wieder ein autobiografisches Stück Prosa? Die Geschichte des jungen Polen, der in Österreich ankommt, haben Sie ja schon mehrfach verwertet ...
Das ist sicher das am meisten autobiografische meiner Bücher. Ich finde, man sollte nur über Dinge schreiben, von denen man etwas versteht. Und von meiner Autobiografie verstehe ich zwangsweise eine Menge.
ORF.at: Ihr Buch ist auch diesmal stark ironisch gefärbt. Ironie, ist das für Sie eine Waffe gegen Klischees?
Ironie ist die beste, die eleganteste Form der Kritik. Im Gegensatz zu Zynismus, der ja das Gegenteil davon ist. Zyniker schreiben immer nur so in der Art: „Das und das ist scheiße“, aber das ist kein literarischer Text, sondern eine Anklageschrift. Mit Ironie hingegen kann man etwas anprangern, ohne mit dem Finger darauf zu zeigen.
ORF.at: Zentrales Thema von „Der Mann, der Luft zum Frühstück aß“ ist letztlich der Verlust und das Wiederfinden von Heimat. Was bedeutet Heimat eigentlich für Sie?
Heimat ist ein Bewusstseinszustand, ein Gefühl. Die Globalisierung wollte die Welt für uns alle zu einem Dorf machen, in dem wir alle heimisch sind. Das Gegenteil ist aber passiert. Wir leben in einer überfrachteten, neurotischen Siedlung, wo alle viel zu viel vom anderen wissen. Eine winzige Information aus China lässt einen Arbeiter aus Favoriten fünf Nächte nicht schlafen. Ein Europa ohne Grenzen ist eine tolle Sache, aber unser menschliches Gehirn fühlt sich nun mal in kleine Strukturen am wohlsten.
Nachdem ich die Heimat verloren habe, bin ich jetzt scheinbar ein Fachmann dafür geworden, was Heimat ist. Würde ich für jede Frage nach der Heimat einen Euro bekommen, dann hätte ich zwar nicht unbedingt eine Heimat, aber zumindest schon ein Häuschen.
ORF.at: Zu dieser Heimatsuche hält Ihr Protagonist gegen Ende des Buches eine Ansprache, die mit zwei Schifffahrtsmetaphern endet: Eine lautet „Man muss wie ein Boot sein, das seinen Kurs korrigiert“, die andere „Irgendwann lässt du dein Boot laufen, du Klugscheißer“ – waren das für Sie selbst so etwas wie Handlungsanleitungen?
Ja, man muss das Boot laufen lassen, aber nicht irgendwo, sondern immer im richtigen See. Das Buch ist eine Rezeptur, wie ich ein Zuhause und wie ich mich selbst finde. Die Emigration war für mich nämlich ein Glücksfall. Menschen geben Vermögen für Reisen aus und wälzen jahrelang Bücher, um einen neuen Blick auf das Leben zu bekommen. Ich habe diesen Blick gratis in die Wiege gelegt bekommen. Seitdem weiß ich zum Beispiel, dass die Emigrationsfremde die kleine Schwester der Existenzfremde ist.
ORF.at: Sie sind ja mittlerweile schon seit 40 Jahren in Österreich, sehen Sie sich nach wie vor als Immigranten?
Die Psyche des klassischen Immigranten ist so beschaffen, dass er immer hofft, in die alte Heimat zurückzukehren. Was absolut unmöglich ist. Denn entweder ändert sich in der Zwischenzeit der Immigrant oder seine alte Heimat. Ich habe das eingesehen. Seitdem bin ich mal gerne Österreicher, mal gerne Pole, mal trinke ich Wein, mal Wodka. Hauptsache ich bleibe dabei ich selbst.
ORF.at: Wie geht es Ihnen mit dem Genre Migrationsliteratur? Ihr neues Buch ist nach dem Detektivroman „Reise nach Kalino“ sozusagen die Rückkehr dazu ...
Die Migrationsliteratur ist eine sehr bequeme Schublade, in der ein Autor sein ganzes literarisches Leben verbringen kann. Mir gehen die Migrationsromane langsam auf den Wecker. Die meisten laufen so ab, dass ein Migrant 200 Seiten lang verprügelt oder von der Polizei gesucht wird und am Ende unter der Reichsbrücke landet und bittere Tränen weint. Wenn das Feuilleton so etwas liest, kriegt es einen Ständer. Die Verlockung besteht darin, dass es einfacher ist, traurige Geschichten zu schreiben als heitere. Mich hat es aber immer gereizt, schwere und triste Dinge heiter zu sehen.
ORF.at: Was sagen Sie, als einer, der sich mit Heimat beschäftigt, eigentlich zum derzeit grassierenden Heimatbegriff in Österreich?
Wenn jemand heute in einem westeuropäischen Land sagt, ich liebe meine Heimat, so heißt es in Wirklichkeit: Fremde raus. Früher liebten die Menschen ihre Heimat und hatten daher kein Problem, Fremde aufzunehmen. Heute ist die Angst vor Fremden hingegen ein Signal dafür, dass wir uns im eigenen Haus nicht mehr zu Hause fühlen.
Das Gespräch führte Paula Pfoser, für ORF.at