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Verunsicherung schafft Impflücken

Schon in den ersten sechs Wochen des Jahres sind in Österreich mehr Masernfälle registriert worden als im gesamten Vorjahr. In einem vom Gesundheitsministerium veröffentlichten Bericht ist von erheblichen Impflücken die Rede - auch was andere Krankheiten angeht. Trotzdem steigt die Zahl der Impfskeptiker.

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Anders als in Ländern wie Belgien und Tschechien gibt es in Österreich keine Impfpflicht für bestimmte Krankheiten. Dennoch ist auch europaweit die von der Weltgesundheitsorganisation WHO empfohlene Durchimpfungsrate von 95 Prozent bei der Masernimpfung noch in weiter Ferne. Auch Österreich hinkt hinterher und liegt im Schnitt bei 87 Prozent, in Tirol in manchen Bezirken nur knapp über 70 Prozent.

Keuchhusten: Impfdefizite bei Erwachsenen

„Die derzeitige epidemiologische Situation in Österreich erfordert vor allem Anstrengungen zur Reduktion des Erkrankungsrisikos an Keuchhusten und Masern“, heißt es im Ministeriumsbericht. Die Masernimpfung (kombiniert mit Mumps und Röteln) betrifft speziell Kinder, beim Keuchhusten existieren Defizite beim Impfschutz von Erwachsenen.

Europakarte

Grafik: APA/ORF.at

Ein ähnliches Problem gibt es in Deutschland, dort wurden im Vorjahr mehr als 22.000 Keuchhusteninfektionen gemeldet, so viele wie schon Jahre nicht. Aber auch die Grippe (Influenza) verursache mit der fast jedes Jahr auch in Österreich auftretenden Epidemie bis zu 1.000 Todesfälle, hier sei eine Erhöhung der Durchimpfungsraten nötig, heißt es aus dem Ministerium.

Ministerium prüft „rechtliche Rahmenbedingungen“

Eine Impfpflicht, wie sie etwa Volksanwalt Günther Kräuter am Wochenende forderte, ist dennoch in Österreich mittelfristig wenig wahrscheinlich. Man prüfe, ob die bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen ausreichend seien oder nachgeschärft werden müssten, um Masernausbrüche zu verhindern, so ein Sprecher von Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser (SPÖ) gegenüber ORF.at. Eine Impfpflicht sei verfassungsrechtlich heikel, gelte es doch das Interesse der öffentlichen Gesundheit mit den Rechten des Einzelnen abzuwiegen.

Debatte über Impfungen

In Österreich ist eine neue Debatte über Schutzimpfungen ausgebrochen. Während sich die Volksanwaltschaft für eine Impfpflicht ausspricht, haben Wiener Schulärzte die Impfungen von Kindern vorerst ausgesetzt.

Für die Vorsitzende der Arbeitsgruppe „Impfen“ der Bioethikkommission des Bundeskanzleramtes, Ursula Köller, ist eine Impfpflicht dennoch diskussionswürdig: „Der Nachweis eines kompletten Impfschutzes wie in angelsächsischen Ländern und in den USA vor Eintritt in den Kindergarten, in die Schule oder in die Universität würde absolut Sinn machen. Diese Diskussion ist zu führen.“ Die klare Möglichkeit verpflichtender Impfungen für Angehörige des Gesundheitspersonals „steht außer Diskussion“, so die Expertin am Mittwoch auf einer Pressekonferenz.

Der Wiener Impfspezialist und Tropenmediziner Herwig Kollaritsch nannte dazu mehrere Beispiele: „In Süditalien hat man vor einigen Jahren eine Impfpflicht gegen die Hepatitis B eingeführt. Man hat die Hepatitis B damit praktisch eliminiert. Ohne Impfpflicht ehemals bei uns in Österreich wären die Pocken nie ausgerottet worden.“

Ärzte und Eltern in der Pflicht

Vor allem zwei Personengruppen könnten laut Ministeriumsbericht auch ohne Verpflichtung an den Problemen etwas ändern: die Ärzte und die Eltern. Erstere hätten entsprechend der ärztlichen Sorgfaltspflicht fachgerecht zu informieren. „Ein Abraten von Impfungen ohne Vorliegen einer Kontraindikation durch Ärzte im persönlichen Beratungsgespräch ist ein Verstoß gegen die Prinzipien der evidenzbasierten Medizin und kann die berufliche Vertrauenswürdigkeit infrage stellen“, wird im Impfplan formuliert.

Dass die Durchimpfungsrate sinkt, dafür seien auch die mehr werdenden Impfgegner und -skeptiker verantwortlich. Es gebe „Gruppen, die schwer zugänglich sind“, meinte Peter Kreidl von der Sektion für Hygiene und Medizinische Mikrobiologie (MUI) und Initiator der „Europäischen Impfwoche“ in Tirol. Diese Personen würden sich unter anderem durch das Internet selbst informieren. Im Fokus müsse somit die Verbesserung der Kommunikation mit diesen Gruppen stehen.

Kreidl führte aus, dass bei diesen Personengruppen oftmals auch Verschwörungstheorien kursieren, wonach lediglich Pharmafirmen von den Impfungen profitieren würden. Diese Personengruppen seien nicht homogen, hätten aber eine ähnliche Einstellung, sagte Kreidl.

Nicht jeder verträgt jede Impfung

Auf Websites von Impfgegnervereinen wird vor Nebenwirkungen von Impfstoffen gewarnt, die in keinem Verhältnis zum tatsächlichen Schutz stünden. Tatsächlich gibt es Fälle, in denen eine Impfung nicht empfohlen oder möglich ist, etwa wenn das Immunsystem durch bestimmte Krankheiten geschwächt ist oder bei Säuglingen.

Doch genau dort soll der „Herdenschutz“ greifen, da bei einer ausreichend hohen Durchimpfungsrate die Wahrscheinlichkeit, mit einem Erreger in Kontakt zu kommen, bis zum Minimum reduziert werden soll. Horrorgeschichten von Impfschäden und -reaktionen fallen aber auch bei besorgten Eltern auf fruchtbaren Boden und erzeugen Verunsicherung.

Tausende Kinder in Österreich ohne Masernimpfung

Rund sechs Prozent der Zwei- bis Fünfjährigen, das sind etwas mehr als 20.000 Kinder, sind derzeit in Österreich gar nicht gegen Masern geimpft. Etwa zehn Prozent aller geimpften Kinder sind kein zweites Mal geimpft. Das sind fast 39.000 Kleinkinder und mehr als 37.000 Schulkinder.

Im österreichischen Impfplan werden daher auch die Eltern dezidiert angesprochen: „Entsprechend der UNO-Konvention vom 20. November 1989 haben Kinder das Recht auf beste Gesundheitsversorgung. Dazu gehört auch der Schutz vor Erkrankungen, die durch Impfung vermeidbar sind. Den Eltern obliegt es, die Schutzimpfungen bei ihren Kindern vornehmen zu lassen.“ Als allgemeiner Grundsatz könne bei den Impfungen gelten: „Jeder, der sich und seine Familienangehörigen (Kontaktpersonen) schützen will, soll sich impfen lassen.“

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