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Hasardeure und Delinquenten

Der US-amerikanische Erfolgsautor Denis Johnson begibt sich mit seinem neuen Roman auf gefährliches Terrain - in mehrfacher Hinsicht. Erstens spielt „Die lachenden Ungeheuer“ im Afrika der Kriegsgewinnler, Hasardeure und Delinquenten. Und zweitens muss er als Autor die Untiefen des postkolonialen Diskurses umschiffen.

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Roland Nair ist nach elf Jahren Absenz zurück in Sierra Leone. Während des Bürgerkrieges hat er hier mit seinem damaligen Partner Michael Adriko einige Abenteuer bestanden und auch ein wenig Geld gemacht. Der Krieg ist lange vorbei, aber die westlichen Geheimdienste sind geblieben und sie sind hungrig, wie Nair weiß: „Das Geld hat einfach keine Grenze, und viel davon wird fürs Verpfeifen und Bespitzeln ausgegeben. Auf diesem Gebiet gibt es keine Rezession.“

Schon auf dem Weg vom Flughafen zum Hotel entdeckt Nair einen alten Bekannten, der früher als Informant für Interpol gearbeitet hat und es wahrscheinlich noch immer tut. Nair selbst hat auch einen Auftrag im Gepäck. Er soll der NIIA (NATO Intelligence Interoperability Architecture) über Adriko berichten. Daneben versucht er auf eigene Faust sensible Interna der NATO an den Höchstbietenden zu verkaufen. Dass er seine Freundin, die in der Amsterdamer Zentrale arbeitet, ohne ihr Wissen in die Sache hineinzieht, nimmt er in Kauf, ohne groß nachzudenken.

Cover von "Die lachenden Ungeheuer"

Rowohlt

Denis Johnson: Die lachenden Ungeheuer. Rowohlt, 272 Seiten, 23,60 Euro.

Liebesgrüße aus Freetown

Wie wahrheitsgemäß er der NIIA berichten wird, lässt er auf sich zukommen. Und er traut seinem alten Freund Michael nicht, trotzdem ist er gespannt auf dessen Pläne. Michael, ein charismatischer, bulliger Kongolese, der ständig lacht und redet, hat vor allem Geschäfte rund um waffenfähiges Uran im Kopf, aus denen er und Nair als reiche Männer hervorgehen sollen. Denn das ist das große Ziel der beiden: reich werden oder es wenigstens beim Versuch nicht langweilig haben.

Offiziell ist Michael Teil einer US-Special-Forces-Einheit, hat sich aber von der Truppe entfernt. Mit ihm reist die naiv wirkende Davidia – die Tochter seines amerikanischen Kommandanten –, die sich mit Michael verlobt hat und ihn in seinem Heimatdorf heiraten will. Das Dorf liegt in den „glücklichen Bergen“, die der Missionar James Hannington in seiner Verzweiflung als „lachende Ungeheuer“ bezeichnet haben soll.

Unser Mann in Monrovia

Eindringlich beschreibt Denis Johnson die vergiftete Einöde rund um Michaels Dorf, aber auch das Chaos von Freetown und anderer Großstädte. So eindringlich, dass man irgendwann glaubt, das Gemisch aus dem Dieseldunst der Generatoren, dem Rauch der Kochfeuer und dem Müll auf den Straßen zu riechen, ebenso den chemisch-giftigen Geruch in den besseren Hotels, den Johnson das „‚Wir haben alles getötet, was du fürchtest‘-Aroma“ nennt.

Die Beschreibungen sind vermutlich auch deswegen so einprägsam, weil Johnson die Zustände aus erster Hand kennt. Schon während der 1990er Jahre war er unter anderem in Liberia unterwegs und hat für Magazine wie „Esquire“ und „The New Yorker“ Reportagen über den Bürgerkrieg geschrieben. Auf Deutsch sind seine Afrikareportagen gesammelt unter dem Titel „In der Hölle“ erschienen.

Autor Denis Johnson

Cindy Lee Johnson

Denis Johnson

Unterschätztes Chamäleon

In Romanform hingegen ist „Die lachenden Ungeheuer“ Johnsons erster Ausflug nach Afrika. Er hat vieles an Themen und Genres ausprobiert. In der Liste seiner Romane finden sich unter anderem eine Reise zweier Verlierer durch das harte Hinterland des amerikanischen Traums („Engel“), eine postapokalyptische Dystopie („Fiskadoro“), eine Gothic Novel („Schon tot“) und ein Noir-Krimi („Keine Bewegung!“). Gefeiert wurde er vor allem für seinen Vietnamkriegsroman „Ein gerader Rauch“, über den die „Zeit“ damals schrieb: „Geistige Wellness hat Johnson nicht zu bieten. Doch großartige, beunruhigende, brisante, wunderbar wüste Literatur. Ein grandioser Wurf.“

Außerdem hat Johnson Gedichtbände, Theaterstücke, eine Novelle („Train Dreams“) und eine gefeierte Kurzgeschichtensammlung („Jesus’ Sohn“) veröffentlicht. Der Rowohlt Verlag nennt Johnson auf seiner Website einen „großen amerikanischen Autor“ und ruft dessen (im Deutschen wie im Original) Verlagskollegen Jonathan Franzen als Zeugen auf. Warum wird Denis Johnson in Europa nicht in einem Atemzug mit Jonathan Franzen genannt (der übrigens Johnson-Fan ist)? Es könnte daran liegen, dass Johnson keine wiedererkennbare Marke entwickelt, sondern eher versucht, sich mit jedem Buch neu zu erfinden.

Down and Out

Am ehesten konstant bleibt Johnsons Vorliebe für die Verlorenen und Verzweifelten. Jamie und Bill aus „Engel“ und Fuckhead aus „Jesus’ Sohn“ sind die offensichtlichsten Loser – von Drogen und Gewalt an den Rand der Gesellschaft gedrängt – und rücken Johnson thematisch in die Nähe von Autoren der Beat Generation, wie Jack Kerouac und William S. Burroughs und auch in die Nähe eines Charles Bukowski.

Auch Nair und Adriko sind Getriebene, die ihr Dasein als Glücksritter nie gegen ein ruhigeres, einfacheres Leben eintauschen könnten, selbst wenn sie wollten. An ihnen ist nichts romantisiert. Nair hat ein Alkoholproblem und einen Hang zu – auch minderjährigen – Prostituierten. Im Laufe der Odyssee der beiden überfährt Michael eine Frau, wird aber deswegen nicht einmal langsamer und überlässt die Verletzte auf der Straße dem sicheren Tod, obwohl Davidia völlig aufgelöst insistiert. Mit den titelgebenden lachenden Ungeheuern könnten auch die rassistischen, misogynen und gewissenlosen Hauptfiguren gemeint sein.

Mehr Conrad als Greene

Der Autor selbst nannte seinen Text in einem Interview einen „literarischen Thriller“. Wer jetzt aber einen gut durchdachten und voltenreichen Agententhriller erwartet, wird enttäuscht werden. Fesselnd an diesem für das Genre eher handlungsarmen Buch sind die Beschreibungen des Verfalls, als Nair seinem persönlichen Herz der Finsternis gefährlich nahe kommt, und die bis zum Schluss unsicheren Loyalitäten, die auch den Leser oft im Dunkeln darüber lassen, wer hier in wessen Auftrag wen aushorcht.

„Die lachenden Ungeheuer“ ist sicher nicht Johnsons bestes Buch, aber trotzdem eines, das sich zu lesen lohnt. Das stilistische Auf und Ab, das Nairs Alkoholpegel widerspiegelt, ist zwar etwas störend, aber wer darüber hinwegsieht, wird mit einem durch und durch amerikanisch-europäischen, aber trotzdem hochinteressanten Blick auf West- und Zentralafrika und zudem mit großartigen Prosabildern belohnt.

Michael Winroither, für ORF.at

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