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„Enormer Zuzug“ als Belastung

SPÖ-Chef Christian Kern hat parallel zu seiner Grundsatzrede Mittwochabend in Wels auch ein knapp 150-seitiges Arbeitsprogramm vorgelegt. Das „Plan A“ genannte Papier beinhaltet so manchen Tabubruch. Über die Landesgrenzen hinweg wohl das meiste Aufsehen erregen wird, dass der Kanzler den Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt für Bürger ärmerer EU-Staaten einschränken will.

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Die Begründung für diesen - geltenden europäischen Regelungen widersprechenden - Wunsch liest sich folgendermaßen: „Es macht wenig Sinn, an Dogmen festzuhalten, die für die Bürgerinnen und Bürger der EU keinen sichtbaren Vorteil für ihre Lebenswelt bieten.“ Was Kern meint, ist, dass Länder wie Österreich unter „enormem Zuzug“ zu leiden hätten, während die Herkunftsländer mit einem „Brain-Drain“ durch die abwanderungswilligen Arbeitskräfte zu kämpfen hätten.

Vorrang für heimische Bewerber

Daher tritt der Kanzler dafür ein, „in Branchen mit besonders hoher Arbeitslosigkeit das Instrument der Arbeitsmarktprüfung“ wieder einzuführen. Das heißt im Klartext: Bürger aus ökonomisch schwachen Ländern, also vor allem aus osteuropäischen Staaten, erhalten nur dann Zugang, wenn sich keine österreichische Arbeitskraft für den Job findet. An die Adresse Brüssels gerichtet ist auch die Forderung nach einer Änderung des Stabilitätspakts. Öffentliche Investitionen sollen wie bei Unternehmen über längere Zeit abgeschrieben werden können, was die Einhaltung der Maastricht-Kriterien erleichtern würde.

Beschäftigungsgarantie für 50 plus

Ebenfalls gravierend ist, was sich der SPÖ-Chef zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Älterer vorstellt. Kern verspricht eine Beschäftigungsgarantie für über 50-Jährige, die zumindest ein Jahr keinen Job hatten. Sie sollen in sozioökonomischen Branchen, etwa in der Pflege, einen nach Kollektivvertrag entlohnten Job erhalten. Freilich bedeutet das auch, dass sie bei Verweigerung dieser Tätigkeit Einschränkungen beim Arbeitslosengeld zu erwarten hätten.

Der ÖVP entgegen kommt Kern, was die Arbeitszeitflexibilisierung angeht. Diese soll bei Gleitzeit bis zu zwölf Stunden möglich sein, wenn im Gegenzug längere zusammenhängende Freizeitblöcke ermöglicht werden. Arbeitnehmern will der SPÖ-Chef ein Recht auf Arbeitszeitwechsel, also zwischen Teil- und Vollzeit, einräumen.

1.500 Euro Mindestlohn

Den Sozialpartnern auf die Füße tritt der Vorsitzende mit seiner Drohung, einen Mindestlohn von 1.500 Euro in allen Branchen notfalls auch über einen Regierungsbeschluss zu erreichen. Dem Sozialminister soll die entsprechende Möglichkeit über eine Satzung gegeben werden.

Geht es nach Kern, soll den Österreichern auch ein Gagenstrip bevorstehen. Mittels eines „Lohntransparenzgesetzes“ sollen die Arbeitgeber verpflichtet werden, die Einkommen ihrer Mitarbeiter im Betrieb offenzulegen. Damit hofft man unter anderem, Diskriminierungen von Frauen zu verhindern. Apropos Frauen: Vorgesehen ist auch, dass in der Privatwirtschaft in Aufsichtsräten eine 40-Prozent-Quote für Frauen eingezogen wird. In einem weiteren Schritt wünscht sich der Kanzler auch noch Quoten für Leitungsfunktionen.

Alte SPÖ-Forderungen - leicht entschärft

Ein eigenes Steuerkapitel enthält der „Plan A“ nicht, was freilich nicht bedeutet, dass Kern keine Änderungen bei den Abgaben vorhat. Einführen würde er eine Erbschafts- und Schenkungssteuer, die allerdings erst ab einem Freibetrag von einer Million einsetzen würde, womit 97 bis 98 Prozent der Fälle nicht umfasst wären. Aus den Einnahmen würde der SPÖ-Chef eine jährliche Valorisierung des Pflegegelds sowie eine komplette Streichung des Eigenpflegeregresses finanzieren.

Ebenfalls auf der Agenda Kerns findet sich - wenngleich nur am Rande - die Wertschöpfungsabgabe. Angeregt wird eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage zum Beispiel „auf fossile Energieträger oder andere Wertschöpfungskomponenten, nicht jedoch auf Abschreibungen und Investitionen“. Internationale Großkonzerne will man über eine Werbeabgabe auf Onlinemedien oder eine Strafsteuer für verschobene Gewinne zur Kasse bitten. Zur Stärkung der heimischen Industrie will der Regierungschef über eine verstärkte Einführung von Schutzzöllen diskutieren.

Anregung zu Reparaturprämie

Neu ist die Idee einer Reparaturprämie, die unnötige Neuanschaffungen verhindern soll. Wer zum Beispiel Fahrräder, Schuhe oder Elektrogeräte reparieren lässt, soll bis zu 50 Prozent erstattet bekommen, bis zu 600 Euro pro Person und Jahr. Bauleistungen und Kfz-Reparaturen wären ausgenommen.

Der Wirtschaft entgegenkommen möchte Kern über eine weitere Senkung der Lohnnebenkosten. Konkret soll der Beitrag zum Familienlastenausgleichsfonds auf die Hälfte gesenkt werden. Mut zum Unternehmertum soll auch über eine Reform des Konkursrechts gemacht werden. Bei Privatkonkursen soll etwa die Mindestquote (derzeit sind zehn Prozent der angehäuften Schulden aus eigener Kraft zu tilgen) entfallen.

Gesetze nur noch befristet

Der Vereinfachung dienen soll eine einheitliche Rechtsordnung für Unternehmen. „Überdenken“ will Kern den Gebietsschutz bei Apotheken und Notaren. Sparwillen zeigt er mit dem Vorhaben, die gesamtstaatlichen Verwaltungskosten einzufrieren. Zudem plädiert der SPÖ-Chef dafür, alle Gesetze zu befristen, damit überholte Regelungen nicht extra in einem mühsamen Prozess wieder abgeschafft werden müssen.

Auf bekannte SPÖ-Forderungen setzt Kern im Mietrecht. Er verlangt etwa eine gesetzliche Obergrenze für Zuschläge sowie eine Senkung der Betriebskosten, Letzteres über den Hebel, dass Grundsteuer und Verwaltungskosten nicht mehr auf Mieter übergewälzt werden dürfen. Bei der Wohnbauförderung soll als Bedingung eine energieeffiziente Bauweise etabliert werden. Setzen will Kern auf Ökostrom. Die geförderte Menge soll bis 2030 um 260 Prozent steigen.

Hofer (IHS): Sektorale Beschränkung „nicht sinnvoll“

Der Arbeitsmarktökonom des Instituts für Höhere Studien (IHS), Helmut Hofer, bewertete die Vorschläge gegen die Rekordarbeitslosigkeit positiv bis „Retro“. Eine sektorale Arbeitsbeschränkung für EU-Bürger sei ein „Zurück zu den 1970er Jahren“ und „in der heutigen Zeit nicht sinnvoll“, sagte Hofer. Eine der vier Grundfreiheiten der EU - Dienstleistungs-, Kapitalverkehrs-, Personen- und Warenverkehrsfreiheit - einzuschränken wäre „ein sehr starker Eingriff“ und eine „sehr gefährliche Forderung“, weil dann jedes EU-Land damit beginnen könnte, warnte der Arbeitsmarktökonom.

Ausländische Arbeitskräfte würden auch Inländern den Arbeitsplatz sichern, ohne Restaurantabwäscher aus dem Ausland etwa gebe es auch keine Jobs für Köche aus dem Inland. Für den IHS-Ökonomen würde eine Arbeitsmarktprüfung auch wieder Probleme mit der Bürokratie schaffen, weil Unternehmen nachweisen müssten, dass sie keine Inländer für den Job finden würden. Die EU-Kommission wollte den Plan nicht kommentieren: Sie kommentiere die Kommentare anderer Politiker nicht, sagte ein Sprecher der EU-Behörde am Donnerstag.

WIFO-Chef lobt Breite - und vermisst Pensionen, Steuern

Das Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) beurteilte das Reformprogramm abwartend. Positiv fand WIFO-Chef Christoph Badelt, dass das Programm breit angelegt sei. Die Beschäftigungseffekte seien mangels konkreter Zahlen aber noch nicht zu beurteilen, sagte Badelt. Er vermisste außerdem konkrete Vorschläge zum Steuer- und Pensionssystem.

Grundsätzlich lobte Badelt die Breite von Kerns Reformideen und dass Vorschläge aus verschiedenen gesellschaftspolitischen Lagern aufgegriffen würden. „Es gibt Bereiche mit klarer sozialdemokratischer Handschrift, aber auch Bereiche, wo man sagt, das würde man von einem sozialdemokratischen Kanzler nicht unbedingt erwarten“, so Badelt. Er verwies etwa auf das Bekenntnis zum unternehmerischen Staat.

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