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Folgen für ganz Europa

Sie hat das Land umgekrempelt, ihre eigene Partei verändert - und vor allem auch den politischen Gegner: In der elfjährigen Amtszeit von Margaret Thatcher blieb in Großbritannien kein Stein auf dem anderen. Ihre politischen Entscheidungen wirken bis heute nach, sind sich alle Experten einig - im Guten wie im Schlechten. Und Thatchers Beispiel machte Schule.

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Eine verknöcherte Industrienation stellte Thatcher auf völlig neue Beine: Unrentable Branchen wie der Bergbau wurden kahlgeschlagen - mit enormen sozialen Folgen für die Beschäftigten. Thatcher sattelte auf Dienstleistungen um, die Bankenmetropole London sollte sich daraus entwickeln.

Todesstoß für Schuldenpolitik

Vor allem aber leitete Thatcher einen wirtschaftlichen Paradigmenwechsel ein: Bis dahin war Keynesianismus die vorherrschende wirtschaftspolitische Denkschule in den USA und in Europa. Mit Staatsausgaben sollte die Wirtschaft angekurbelt werden, auch um den Preis einer höheren Verschuldung. „Ein paar Milliarden Schulden mehr bereiten mir weniger schlaflose Nächte als ein paar hunderttausend Arbeitslose“, brachte der damalige Bundeskanzler Bruno Kreisky die Denkrichtung auf den Punkt.

Thatcher läutete das Ende dieses Wirtschaftsmodells ein. Sie sympathisierte mit den liberalen Ideen von Friedrich Hayek, vor allem aber dem Monetarismus von Milton Friedman, dessen Theorie sie wie kaum ein anderer politischer Führer umsetzte. Die galoppierende Inflation wurde mit einer Reduzierung der Geldmenge bekämpft, der Staat sollte sparen - auch und vor allem bei den Sozialausgaben.

Ideen in Europa salonfähig

Der Preis war freilich hoch: Millionen Briten wurden arbeitslos, ganze Landstriche in Nordengland haben den Schock der Minenschließungen bis heute nicht verkraftet. Tatsächlich machte Thatcher das Land wieder wettbewerbsfähig und so zu einem Vorbild für andere Länder. Einige Jahre später waren mehr oder weniger abgewandelte Variationen des Thatcherismus unter dem Schlagwort „neoliberaler“ Wirtschaftsprogrammatiken auch in Europa der Status quo. Zarte keynesianische Ideen, also etwa mit Stimuli den Konsum anzukurbeln, traute man sich erst wieder in den vergangenen Jahren im Zuge der Krisenbekämpfung zu äußern.

Labour musste sich neu definieren

Auch die politische Landschaft veränderte Thatcher nachhaltig. Mit dem doppeldeutigen Wahlspruch „Labour isn’t working“ zog Thatcher 1979 in die Wahl - und gewann. Dabei schaffte sie vor allem eines: den sozial schwachen traditionellen Labour-Wählern weiszumachen, dass es besser für sie wäre, konservativ zu wählen.

Mit der Entmachtung der Gewerkschaften musste sich die britische Labour Party auf völlig neue Beine stellen. Tony Blair sollte das Mitte der 90er Jahre gelingen: Als „New Labour“ wollte er die Sozialdemokratie neu erfinden - und fuhr damit 1997 einen furiosen Wahlsieg ein.

Auch Sozialdemokratie auf Sparkurs

Doch die vom politischen Gegner vorgegebene Linie behielt Blair bei: „Wir sind jetzt alle Thatcheristen“, sagte 2002 Peter Mandelson, Blair-Vertrauer, Mitarchitekt von „New Labour“ und späterer Wirtschaftsminister. Nicht nur parteiinterne Kritiker bemängelten, dass Blair und später sein Nachfolger Gordon Brown den Weg von Sozialkürzungen und neoliberaler Wirtschaftspolitik fortgesetzt wenn nicht gar in noch schärferer Form angewandt hätten.

Doch die Vorbildwirkung machte auch hier nicht auf der Insel halt: Das neue Modell der Sozialdemokratie setzte sich in Europa fort. Bestes Beispiel ist wohl die SPD, deren Gerhard Schröder 1998 in Deutschland Bundeskanzler wurde. Auch hier galt Budgetsanierung als oberstes Gebot. Die Arbeitsmarktreformen von Hartz IV hätten die Sozialkürzungspläne konservativer Regierungen bei weitem an Schärfe überholt, meinten Kritiker damals wie heute.

Später setzte David Cameron als Premier Reformen durch, die ihresgleichen suchten: Nicht einmal Thatcher hätte sich getraut, den Wohlfahrtsstaat in ähnlicher Weise auszuhöhlen, schrieben 50 Professoren für Sozialpolitik in einem offen Brief, berichtete der „Guardian“. Statt Notzahlungen in Akutfällen würden nun Essensgutscheine für Suppenküchen ausgeteilt.

Auch ein schweres Erbe

Doch auch Cameron brachte das Erbe Thatchers einige Probleme: Kritiker argumentieren, dass die britische Wirtschaftskrise inklusive Rezession eine Folge der entfesselten Finanzindustrie war, deren Grundstein Thatcher 1986 mit der Deregulierung, dem „Big Bang“, gelegt hatte.

Auch bei den unzähligen Privatisierungen ihrer Ära ging etliches nach hinten los - mit der Bahn als prägnantestes Beispiel. Auch wenn erst ihr Nachfolger John Major die von ihr vorbereitete Reform schließlich durchführen konnte: Die Privatisierung erwies sich als Fiasko. Ein Teil der Privatisierung musste rückgängig gemacht werden, noch immer ist die Bahn eine der größten politischen Baustellen der Insel und ein Milliardenloch: Kaum in einem anderen Land kostet die Bahn so viel Geld - und zwar gleichermaßen den Staat wie den Kunden.

Christian Körber, ORF.at

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