Von März bis September observiert
Nach dem Terroranschlag auf einen Weihnachtsmarkt in Berlin bittet die Bundesanwaltschaft die Öffentlichkeit um Hilfe bei der Fahndung nach dem mutmaßlichen tunesischen Verdächtigen Anis Amri. Dieser war den Behörden bereits als islamistischer „Gefährder“ bekannt.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Für Hinweise wurden bis zu 100.000 Euro Belohnung ausgeschrieben. Der Generalbundesanwalt mahnte am Mittwoch in einer Mitteilung in Karlsruhe aber auch zur Vorsicht: „Bringen Sie sich selbst nicht in Gefahr, denn die Person könnte gewalttätig und bewaffnet sein!“
Ermittlungen wegen staatsgefährdender Tat
Gegen den Tatverdächtigen wurde bereits wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat, also wegen Terrorverdachts, ermittelt, wie der Innenminister des Bundeslandes, Ralf Jäger (SPD), am Mittwoch sagte. Amri sei von März bis September observiert worden.

APA/AFP/BKA
Der Fahndungsaufruf der Polizei
Bei den Ermittlungen sei es um Informationen gegangen, wonach Amri einen Einbruch plane, um sich dabei Mittel für den Kauf automatischer Waffen zu beschaffen - „möglicherweise, um damit später mit noch zu gewinnenden Mittätern einen Anschlag zu begehen“, erklärte die Generalstaatsanwaltschaft am Mittwoch. Der Verdacht habe sich aber nicht erhärtet.
Möglicherweise Dealer
Die verdeckte Überwachung habe lediglich Hinweise geliefert, dass Amri als Kleindealer im Görlitzer Park tätig sein könnte, erklärte die Generalstaatsanwaltschaft. Der Kreuzberger Park gilt als bekannter Drogenumschlagplatz in Berlin. Es habe auch Hinweise auf eine körperliche Auseinandersetzung in einer Bar gegeben, vermutlich wegen eines Streits in der Dealerszene.
Diese Erkenntnisse wurden den Angaben zufolge zur Strafverfolgung den zuständigen Dienststellen weitergeleitet. Für den ursprünglichen Verdacht, dass Amri sich mit einem Einbruch Geld für einen möglichen Anschlag beschaffen wollte, habe es aber keine Hinweise gegeben - trotz Verlängerung der Überwachung. Deshalb musste die Observation den Angaben zufolge im September beendet werden.
Schule in Italien angezündet?
Amri, für den die Ausländerbehörde in Oberhausen zuständig sei, habe in Berlin zu diesem Zeitpunkt „nicht mehr festgestellt“ werden können, erklärte die Ermittlungsbehörde. Man habe keine Verbindungen zu seinen früheren Kontaktpersonen mehr beobachtet, der Mann sei auch an den bekannten Anlaufstellen, „namentlich einer relevanten Moschee“, nicht mehr angetroffen worden.
Die Ermittlungen dazu seien in Berlin geführt worden. Dort habe der Verdächtige seit Februar 2016 seinen Lebensmittelpunkt gehabt. Die Sicherheitsbehörden hätten ihre Erkenntnisse über ihn im gemeinsamen Terrorabwehrzentrum ausgetauscht, zuletzt im November 2016. Vor seiner Einreise nach Deutschland soll er vier Jahre in einem italienischen Gefängnis verbracht haben, berichtete der tunesische Radiosender Mosaique unter Berufung auf den Vater des Mannes und auf Sicherheitskreise. Dort soll er eine Schule angezündet haben.
„Hoch mobil“ und Salafistenkontakte
Beim Attentat waren zwölf Menschen getötet und 50 weitere teils schwer verletzt worden. Eine Tatbeteiligung des Mannes sei aber noch nicht geklärt, sagte Jäger am Mittwoch zudem in Düsseldorf. Der Verdächtige sei von den Behörden als „Gefährder“ eingestuft worden. Er sei „hoch mobil“ gewesen und verschiedenen Sicherheitsbehörden wegen Kontakten zur Salafistenszene aufgefallen. Wie „Focus“ unter Berufung auf Akten der Bundesanwaltschaft berichtet, soll das Netzwerk seit 2015 Anschläge in Deutschland geplant haben.

APA/dpa/Britta Pedersen
Ein Mann legt am Tatort Blumen nieder
Amri soll bereits im Juli 2015 über Freiburg nach Deutschland eingereist sein. „Er war dann nach Baden-Württemberg auch in Berlin und in Nordrhein-Westfalen“, sagte Jäger. „Seit Februar 2016 hatte er seinen Lebensmittelpunkt überwiegend in Berlin, zuletzt war er nur kurz in NRW“, so Jäger. Laut einem Bericht der Nachrichtenagentur AFP wurden die Eltern des Verdächtigen von einer tunesischen Anti-Terror-Einheit befragt.
Amri hätte abgeschoben werden sollen
Der Mann sei im Juni 2016 als Asylbewerber abgelehnt worden. „Der Mann konnte aber nicht abgeschoben werden, weil er keine gültigen Ausweispapiere hatte“, sagte Jäger. Tunesien habe lange Zeit bestritten, dass es sich bei dem Mann um einen Tunesier handle. Die für die Abschiebung wichtigen tunesischen Ausweispapiere seien erst zwei Tage nach dem fatalen Berliner Anschlag bei den deutschen Behörden eingetroffen, betonte der Minister.

Reuters/Fabrizio Bensch
Der Lkw beim Abtransport vom Tatort
Amri soll im Juli 2015 über Freiburg nach Deutschland eingereist sein. Auf die Spur des Verdächtigen und nach Nordrhein-Westfalen waren die Ermittler offenbar durch Dokumente, die laut Medien in dem zur Tat benutzten Lkw gefunden worden waren, gekommen. Die Dokumente seien im Kreis Kleve in Nordrhein-Westfalen ausgestellt worden, hieß es in deutschen Zeitungen.
De Maiziere bestätigt europaweite Fahndung
Bereits zuvor hatte der deutsche Innenminister Thomas de Maiziere angekündigt, dass ein Verdächtiger seit Mitternacht europaweit zur Fahndung ausgeschrieben sei. Zu diesem Zeitpunkt hatte de Maiziere gesagt, es handle sich nicht um eine öffentliche Fahndung. Der Minister äußerte sich auch nicht zur Identität des Verdächtigen. Er sagte zudem, bei dem Verdächtigen müsse es sich nicht zwingend um den Täter handeln.

APA/AFP/Odd Andersen
Der Breitscheidplatz am Dienstag
Direkter Zusammenhang mit IS?
Zwar reklamierte die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) den Angriff auf den Weihnachtsmarkt für sich. Allerdings steht bisher nicht fest, ob wirklich eine so weit verzweigte Organisation hinter dem Anschlag steht oder der Täter auf eigene Faust handelte. Der IS hatte über sein Sprachrohr Amak verbreitet, der Angriff sei eine Reaktion auf Aufrufe gewesen, die Bürger von Staaten der Anti-Terror-Koalition anzugreifen.
Lkw-Fahrer kämpfte bis zuletzt mit Täter
Unter Berufung auf den Obduktionsbericht des getöteten Lkw-Fahrers Lukasz U. berichtete die deutsche „Bild“-Zeitung (Onlineausgabe) Mittwochfrüh, dass der Angestellte einer polnischen Spedition wohl bis zuletzt mit dem Täter gekämpft und viele Menschenleben gerettet habe.

Reuters/Christian Mang
Der deutsche Präsident Joachim Gauck besuchte Verletzte
„Es muss einen Kampf gegeben haben“, zitierte die Zeitung einen der Ermittler. Der Fahrer habe zum Zeitpunkt des Attentats noch gelebt. Offenbar habe der Täter mehrfach auf den Fahrer eingestochen, weil der Pole ins Lenkrad gegriffen habe, um Menschenleben zu schützen. Erschossen worden sei der Mann, als der Lkw zum Stehen kam. Zuvor hatte bereits der Cousin des Mannes, dem die Speditionsfirma gehört, von Kampfspuren an der Leiche des Mannes berichtet. Er hatte ihn anhand von Polizeifotos identifizieren müssen.

Grafik: OSM/ORF.at; Quelle: APA/dpa
Hinweisportal gehackt
Auf das Hinweisportal des deutschen Bundeskriminalamtes (BKA) zum Anschlag gab es einen Hackerangriff. Das BKA bestätigte am Mittwoch einen Bericht der Funke-Zeitungen. Am Dienstag sei die Seite Bka-hinweisportal.de zwischen 17.00 und 19.30 Uhr deshalb nicht erreichbar gewesen.
Es handelte sich den Angaben zufolge um eine DDOS-Attacke, bei der die Rechner so lange mit Anfragen bombardiert werden, bis die Software nicht mehr mitkommt. Es seien sofort Gegenmaßnahmen eingeleitet worden, dann habe die Seite wieder funktioniert, sagte eine BKA-Sprecherin. Auf dem Portal können Zeugen Fotos und Videos mit Hinweisen zu dem Anschlag hochladen.
Zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen in Wien
Der Weihnachtsmarkt auf dem Berliner Breitscheidplatz soll am Donnerstag wieder geöffnet werden. Alle anderen Weihnachtsmärkte in der deutschen Hauptstadt machten bereits am Mittwoch wieder auf. Sie wurden teils durch Betonblöcke gegen Lkws abgesichert. Auch am Brandenburger Tor, wo Deutschlands größte Silvesterfeier unter freiem Himmel trotz der Attacke mit zwölf Toten geplant ist, sollen Poller aufgestellt werden, wie eine Polizeisprecherin sagte. Das sei ein zusätzlicher Schutz für die Menschen.
Nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin gibt es auch in Wien zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen. Beim Weihnachtsmarkt vor dem Schloss Schönbrunn in Wien sind am Dienstag Betonsäulen aufgebaut worden, Müllcontainer sollen hingegen den Weihnachtsmarkt vor dem Wiener Rathausplatz schützen - mehr dazu in wien.ORF.at. Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) rief die Bevölkerung erneut zu erhöhter Wachsamkeit auf.
Links: