Geste der Harmonie
Am Strand von Colombo, der Hauptstadt von Sri Lanka, ist von vorweihnachtlicher Beschaulichkeit wenig zu merken. Direkt an der belebten Promenade wird an einem Stahlkonstrukt geschweißt und gehämmert. Es soll der größte künstliche Weihnachtsbaum der Welt werden, doch die Arbeiten am symbolträchtigen Baum hinken deutlich hinterher.
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Hunderte Arbeiter und Freiwillige arbeiten derzeit fieberhaft an der Fertigstellung des ambitionierten Projekts. Mit einer Höhe von 98 Metern soll der Weihnachtsbaum aus Altmetall den derzeitigen Guinness-„Buch der Rekorde“-Spitzenreiter aus China um stattliche 40 Metern übertrumpfen.

Reuters/Dinuka Liyanawatte
Die Arbeiten am Baum sind in vollem Gange
Eigentlich hätte der Baum bereits vor über einer Woche fertig sein sollen, doch die Arbeiten verzögerten sich. Am 24. Dezember soll der Baum nun aber wirklich stehen, versichert der Initiator, der ehemalige Kricket-Star und Schifffahrtsminister, Arjuna Ranatunga. Und eine Botschaft an die Welt senden.
„Ein Land, eine Nation“
„Es geht darum, der Welt zu zeigen, dass wir als ein Land, als eine Nation zusammenleben können“, erklärte Ranatunga die Intention hinter dem Projekt. Sri Lanka habe eine „lange Tradition an Religions-, Kasten- und Rassenkonflikten“, so der Minister. Die neue Regierung unter Präsident Maithripala Sirisena hat bei ihrer Angelobung vor einem Jahr versprochen, sich der Problematik anzunehmen. Der Baum sei „eine kleine Geste, dass wir der Welt zeigen können, dass wir in Harmonie miteinander leben“.
Auf der Insel im Indischen Ozean ist die Mehrheit der Bewohner buddhistisch. 26 Jahre lang herrschte in dem tropischen Paradies ein Bürgerkrieg zwischen tamilischen Separatisten und der von Singhalesen dominierten Zentralregierung, der 2009 beigelegt wurde. Doch in den letzten Jahren häuften sich wieder Beschwerden der christlichen und muslimischen Minderheiten über staatlich forcierte Diskriminierungen. Bei seiner Angelobung im Jänner 2015 versprach Präsident Sirisena mehr Transparenz und ethnische Aussöhnung. Doch bisher ist wenig in dieser Richtung passiert.
UNO kritisiert Folter und Haftbedingungen
Erst Anfang Dezember forderten UNO-Menschenrechtsvertreter die Untersuchung von „täglicher Folter“ durch das Militär. Zudem kritisierte die UNO in einem Bericht die mangelhafte Aufarbeitung von Kriegsverbrechen während des Bürgerkriegs. Noch immer sei das Schicksal vieler Tausender Menschen, die während des Bürgerkriegs verschwunden sind, unaufgeklärt. Laut dem UNO-Komitee gegen Folter würden auch heute noch Menschen „in weißen Vans“ weggebracht. Auch gebe es Berichte über unmenschliche Bedingungen in den Gefängnissen und erzwungene Geständnisse vor Gericht.
Höchster echter Weihnachtsbaum
Der größte Weihnachtsbaum, der natürlich gewachsen ist, war laut Guinness-„Buch der Rekorde“ 67,36 Meter hoch und stand 1950 in einem Einkaufszentrum in Seattle in den USA.
Der Regierung hat daraufhin eine „Null-Toleranz-Politik gegen Folter und jegliches Zuwiderhandeln gegen die Menschenrechte“ angekündigt, wie der Regierungssprecher Ranga Kalansooriya versicherte. Und auch nach außen soll diese neue Politik sichtbar werden - vor allem für die vielen Touristen, die während der Wintermonate auf die Insel strömen. Daher wurde die Idee des Ex-Kricket-Stars Ranatunga, den größten Weihnachtsbaum der Welt zu bauen, mit großer Begeisterung aufgenommen.
Leidenschaft für skurrile Rekorde
Und auch bei den Nichtchristen fiel die Herausforderung auf fruchtbaren Boden. Denn die Sri Lanker entwickeln eine große Leidenschaft, wenn es um das Aufstellen neuer Rekorde geht. So wird der Bügelweltrekord von dem Tamilen Suresh Joachim Arunalantham gehalten und Sanath Baranda schaffte es, in einer Stunde 257 T-Shirts anzuziehen. „Es ist eine einmalige Gelegenheit, so ein riesiges Ding mit eigenen Augen zu sehen“, sagte ein Passant vor der Christbaumbaustelle gegenüber der Nachrichtenagentur AP.
Erzbischof wettert gegen das Projekt
Doch nicht alle waren von der Idee angetan. Vier Monate nach Baubeginn im August stand das Projekt kurz vor dem Aus. Der einflussreiche Erzbischof von Colombo, Malcolm Ranjith, prangerte den Christbaumbau öffentlich als „Geldverschwendung“ an. Er forderte die Initiatoren auf, das Vorhaben umgehend zu stoppen und das Geld lieber für den Bau von Obdachlosenunterkünften und für die Schulkosten armer Kinder zu verwenden. Erst als Finanzminister Ravi Karunanayake Mitte Dezember versicherte, dass kein Regierungsgeld für den Baum verwendet wurde, und die Kosten allein durch den Sozialfonds von Ranatunga und Spenden gedeckt würden, gab der Bischof seinen Widerstand auf.

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Hunderttausende Tannenzapfen müssen noch angebracht werden
Die Verzögerung muss nun wieder eingeholt werden. Der künstliche Baum, sollte er denn rechtzeitig fertig werden, wird mit rund einer Million echter Tannenzapfen geschmückt sein, die Freiwillige auf Maschendraht knüpfen. An der Spitze soll ein sechs Meter hoher Stern funkeln. Der bisherige Rekordhalter wurde im letzten Jahr in der chinesischen Stadt Guangzhou aufgestellt und war 56 Meter hoch und mit grüner Folie, Lampions und Ornamente geschmückt. Den Rekord der meisten Weihnachtslichter hält übrigens Australien. David Richards entzündete im letzten Jahr auf einem Baum in Canberra 518.838 LED-Lampen.
Noch sind die Sri Lanker zuversichtlich, es bis zum 24. Dezember zu schaffen. Stehen soll der Baum dann bis zum 6. Jänner. Dann wird ihm dasselbe Schicksal wie alle Weihnachtsbäume auf der ganzen Welt zuteil: Er wird entsorgt und den Weg freimachen für den nächsten, vielleicht noch höheren Weihnachtsbaum 2017.
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