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Tatmotiv noch unklar

Die Todesfahrt eines Mannes mit einem Lastwagen auf einem Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche, bei der mindestens zwölf Menschen getötet wurden, war wohl ein Anschlag, so die deutschen Ermittler. Auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte, man müsse von einem Attentat ausgehen.

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„Alle polizeilichen Maßnahmen zu dem vermutlich terroristischen Anschlag am Breitscheidplatz laufen mit Hochdruck und der nötigen Sorgfalt“, twitterte die Polizei in der Früh - und sprach damit erstmals offen von einem Terrorverdacht. Wenige Minuten zuvor hatte die Polizei mitgeteilt, sie gehe nach ersten Ermittlungen davon aus, „dass der Lkw vorsätzlich in die Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz gesteuert wurde“. In der Früh wurde der Lkw abtransportiert. Die Polizei bat „aus Pietätsgründen“ darum, keine Fotos davon zu machen.

Der dunkle Lastwagen mit polnischem Kennzeichen fuhr laut Polizei gegen 20.00 Uhr auf einer Strecke von 50 bis 80 Metern mit hoher Geschwindigkeit über den Markt an der Gedächtniskirche und zerstörte dabei mehrere Stände. 48 Menschen lagen Dienstagfrüh zum Teil schwer verletzt in Krankenhäusern, wie die Polizei auf Twitter mitteilte. Der deutsche Innenminister Thomas de Maiziere (CDU) sagte, viel spreche für einen Anschlag.

Polnischer Fahrer erschossen

Einer der Toten wurde nach Angaben von Brandenburgs Innenminister Karl-Heinz Schröter erschossen. Vermutlich handle es sich um den ursprünglichen Fahrer des polnischen Lkw, der allerdings Opfer und nicht Täter sei, sagte Schröter am Dienstag in Potsdam. Er berief sich dabei auf Angaben aus einer Telefonkonferenz der Innenminister der Länder.

Der polnische Speditionsbesitzer Ariel Zurawski bestätigte gegen Mittag den Tod seines Fahrers, mit dessen Wagen der Anschlag begangen worden war. Er habe seinen Cousin auf einem Polizeifoto identifiziert, sagte Zurawski im polnischen Fernsehen. „Der Täter ist, diese Information habe ich von der Polizei, ein Flüchtling, der seit Februar in Berlin gewesen ist“, sagte Zurawski.

Mutmaßlicher Täter kam über Österreich

Der nach kurzer Flucht nahe der Siegessäule im Tiergarten festgenommene mutmaßliche Fahrer könnte Pakistaner oder Afghane sein, wie die dpa aus Sicherheitskreisen erfuhr. Er sei wohl im Februar als Flüchtling eingereist. Laut dem Radiosender RBB reiste der mutmaßliche Täter dagegen am 31. Dezember 2015 über Schärding nach Deutschland ein.

Lkw neben zerstörten Weihnachtsmarktständen

APA/AFP/Odd Andersen

Ermittler untersuchen den Tatort im Zentrum Berlins

Nach Erkenntnissen der Behörden soll der Verdächtige etwa 23 Jahre alt sein. Als Geburtsjahr des Mannes werde das Jahr 1993 angegeben, erfuhr die dpa am Dienstag aus Sicherheitskreisen. Unklar blieb zunächst, ob den Behörden in diesem Zusammenhang ein echtes Personaldokument vorlag oder ob sich die Altersangabe auf eine Auskunft des Flüchtlings stützt. Letzte Gewissheit gab es zunächst noch nicht, da der Mann unterschiedliche Namen verwendet habe und damit seine Identität nicht zweifelsfrei habe geklärt werden können.

Wegen Kleinkrimininalität amtsbekannt

Der Berliner „Tagesspiegel“ berichtete unter Berufung auf Sicherheitskreise, der Verdächtige sei den Ermittlern bekannt, allerdings nicht wegen eines terroristischen Hintergrundes, sondern wegen kleinerer krimineller Delikte. Laut ZDF konnte der Täter so rasch gefasst werden, weil ein Augenzeuge den Mann nach der Todesfahrt in den Tiergarten flüchten sah, ihm nachrannte und die Polizei via Handy über den genauen Standort informierte.

Einsatz in Flüchtlingsquartier: Keine Festnahmen

In der Früh gab es auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhof, wo sich eine der größten Flüchtlingsunterkünfte Berlins befindet, eine Hausdurchsuchung. Laut Sicherheitskreisen soll der Vedächtige dort gelebt haben. Vier Männer Ende 20 seien befragt worden, es habe aber keine Festnahmen gegeben, sagte Sascha Langenbach, Sprecher des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten.

Der Einsatz, an dem auch Kräfte der Spezialeinheit (SEK) beteiligt waren, habe um 3.00 Uhr mit bis zu 250 Beamten begonnen. Die Kräfte seien dann aber reduziert worden. Die Lage sei ruhig gewesen. Um 8.00 Uhr sei der Einsatz beendet gewesen. Ob die Polizei nach Verbindungen des Täters suchte, sagte der Sprecher nicht explizit. „Die Annahme kann man aber haben.“ Zur Herkunft der befragten Flüchtlinge gab es keine Angaben.

„Verheerendes Bild“

Die Polizei bat Montagabend die Berliner Bevölkerung, zu Hause zu bleiben. Es gebe ein „verheerendes Bild vor Ort“, sagte ein Polizeisprecher. Der Generalbundesanwalt in Karlsruhe übernahm die Ermittlungen. Das teilte Justizminister Heiko Maas (SPD) am Abend mit. Das galt schon als klares Indiz, dass die Behörden von einem Attentat ausgehen.

Karte zeigt Anschlagsort in Berlin

Grafik: APA/OSM/ORF.at; Quelle: APA

Der an der Vorderseite stark demolierte Lastwagen kam am Rande der Budapester Straße zum Stehen. Dutzende Rettungswagen und viele Polizeiwagen waren im Einsatz. Das Gelände wurde abgesperrt, Passanten wurden nur noch vom Weihnachtsmarkt fortgelassen.

GPS-Daten zeigen Lkw-Bewegung

Polnischen Medien zufolge könnte der Lkw am Montagnachmittag in Berlin gestohlen worden sein. GPS-Daten hätten gezeigt, dass der Wagen ab etwa 15.45 Uhr mehrmals gestartet worden sei, berichtete der Sender TVN24 unter Berufung auf die betroffene polnische Spedition.

Dabei könnte es sich um Versuche eines mutmaßlichen Diebes gehandelt haben, den Lkw zu steuern, vermuteten polnische Medien. „Es sah aus, als wenn jemand geübt hätte, den Wagen zu fahren“, sagte auch der Speditionsbesitzer. Gegen 19.45 Uhr habe der Wagen seinen Standort in Berlin endgültig verlassen. Der Lkw habe seit etwa Montagmittag vor einer Berliner Firma geparkt.

LKW in Weihnachtsmarkt

Reuters/Fabrizio Bensch

Der Lastwagen hatte Stahlkonstruktionen aus Italien nach Berlin transportiert, berichtete Zurawski. Wegen einer Verzögerung habe der Fahrer bis Dienstag warten müssen und den Lastwagen in Berlin geparkt. Die Berliner Polizei teilte dagegen mit, es bestehe der Verdacht, dass der Sattelschlepper in Polen von einer Baustelle gestohlen worden sei.

Merkel bestürzt

Nach Worten des Berliner Bürgermeisters Michael Müller (SPD) war die Situation am Abend unter Kontrolle. Der Regierungschef reagierte entsetzt. „Was wir hier sehen, ist dramatisch“, sagte Müller auf dem Breitscheidplatz. Seine Gedanken seien bei den Familien, die Tote oder Verletzte zu beklagen hätten. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zeigte sich bestürzt. „Wir trauern um die Toten und hoffen, dass den vielen Verletzten geholfen werden kann“, teilte Regierungssprecher Steffen Seibert mit. Merkel sei mit Innenminister de Maiziere und Berlins Bürgermeister Müller in Kontakt.

Übersichtsaufnahme über den Ort des wahrscheinlichen Anschlages beim Weiihnachtsmarkt in Berlin

APA/AFP/Odd Andersen

Ein Überblick über den Ort des Geschehens

Bundespräsident Joachim Gauck äußerte sich ebenfalls betroffen. „Das ist ein schlimmer Abend für Berlin und unser Land, der mich wie zahllose Menschen sehr bestürzt“, teilte Gauck mit. Ähnlich äußerten sich Frankreichs Präsident Francois Hollande, Italiens Ministerpräsident Paolo Gentiloni und EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker. Frankreich erhöhte die Sicherheitsvorkehrungen auf seinen Weihnachtsmärkten. Der designierte US-Präsident Donald Trump sprach schon von einem „schrecklichen Terrorangriff“.

Pressekonferenz angekündigt

Müller und Berlins Innensenator Andreas Geisel wollten Dienstagmittag auf einer Pressekonferenz die Öffentlichkeit informieren. Zudem kommt um 11.30 Uhr das Sicherheitskabinett der deutschen Regierung zusammen, um über die Ereignisse zu beraten. Das Gremium besteht zumindest aus der Kanzlerin, dem Außenminister, der Verteidigungsministerin, dem Innenminister und dem Chef des Bundeskanzleramtes.

Polizei bittet um Zurückhaltung

Die Polizei schaltete ein Portal frei, über das Augenzeugen des möglichen Anschlags in Berlin Fotos und Videos hochladen können. Zuvor hatte die Polizei gebeten, kein Bildmaterial über Soziale Netzwerke zu verbreiten oder es per Twitter an die Behörden zu senden. Auf Handyfotos und -videos könnten Hinweise zu sehen sein, die den Ermittlern bei ihrer Arbeit helfen.

Bei einem Anschlag im Juli in Nizza waren 86 Menschen ums Leben gekommen, als ein Terrorist mit einem Lastwagen über die Uferpromenade der Mittelmeer-Stadt fuhr. Für den Anschlag hatte die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) die Verantwortung übernommen.

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