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Marias keusche Entrücktheit

Stille Nacht, heilige Nacht – wie war das damals? Was ist geschehen unter Bethlehems Stern? In zwei Ausstellungen kann man sehen, wie facettenreich die anscheinend so bekannte Geschichte von Maria, Josef und dem Jesuskind im Mittelalter erzählt wurde.

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„Zur Krippe her kommet in Bethlehems Stall“: Wie sich die Geburt Jesu Christi zutrug, dazu haben wir alle mehr oder weniger genaue Bilder im Kopf. Liest man aber das Lukas- und das Matthäus-Evangelium, so ist es erstaunlich, wie knapp diese zentrale Geschichte des Christentums eigentlich gefasst ist.

Fromme Legenden

Bethlehems Stall? Verbürgt ist davon nur eine Krippe. Ochs und Esel? Fehlanzeige – sie entstammen dem Alten Testament, dort sind sie Symbole für das Volk Israel (Ochs) und für die Heiden (Esel). Und die Heiligen Drei Könige? Sie erscheinen als Sterndeuter, genauer als „Magier“, ohne genaue Angabe zur Anzahl.

Die heute bekannten weihnachtlichen Bildertraditionen entstanden erst im Mittelalter. Damals begann man, die kargen Details durch fromme Legenden und alttestamentarische Motive auszuschmücken – wie genau, das kann man derzeit im Frankfurter Liebieghaus und in Wien in der Österreichischen Nationalbibliothek (ONB) sehen.

Weihnachtsgeschichte(n)

Zweimal Weihnachtgeschichte: Während die ONB aus ihren Schätzen die mittelalterlichen Stundenbücher hervorgeholt und im Prunksaal versammelt hat, setzt das Liebieghaus nicht nur auf Buchillustrationen, sondern auch auf Skulpturen, Wandteppiche, auf filigran geschnitzte Krippen und Gebrauchsgegenstände bis hin zur vergoldeten Christkindwiege – insgesamt 100 kostbare Objekte aus über 40 internationalen Sammlungen – vom Metropolitan Museum of Art in New York, über das Kunsthistorische Museum in Wien bis zum Louvre in Paris und den Vatikanischen Museen.

Bild zeigt "Beschneidung Christi", um 1440/50

Anne Gold, Aachen

In Frankfurt zu sehen: „Die Beschneidung Christi“, geschaffen in den 1440er Jahren vom „Meister des Tucheraltars“, einem namentlich nicht bekannten Nürnberger Meistermaler

Von der Verkündigung über Christi Geburt und die Flucht nach Ägypten bis zur Rückkehr nach Nazareth – erzählt wird nicht nur die Weihnachtsgeschichte, sondern viele Geschichten. Etwa die von Josef, der an der vermeintlich untreuen Maria zweifelt, 1518 vom Antwerpener Meister in Szene gesetzt. Oder auch von der schwangeren Maria, einmal zu sehen als keusch-entrückte Jungfrau, ein anderes Mal hyperrealistisch mit Kind im Bauch – auf einer gebrannten Tontafel aus der Mitte des 15. Jahrhunderts. Gleich nebenan dann Maria im Wochenbett, mit einem frech grinsenden Jesus, der auf ihrem Bauch herumtollt.

Maria ist neben dem Jesuskind naturgemäß auch die Hauptakteurin im Prunksaal der ONB – in 24 farbintensiven und ausdrucksstarken Prachthandschriften, vor allem in den reich illustrierten Stundenbüchern.

Blattgold, Blumen- und Tiermotive

„Man muss sich Stundenbücher als Andachtsbücher vorstellen“, erzählt Katharina Kaska von der Handschriftensammlung der ONB. Es sei damals, so Kaska, das Gebot gewesen, im dreistündigen Rhythmus zu beten.

Ausstellungshinweise

  • Heilige Nacht. Die Weihnachtsgeschichte und ihre Bilderwelt, bis 29. Jänner 2017, Liebighaus Frankfurt am Main, täglich außer montags 10.00 bis 18.00, donnerstags bis 21.00 Uhr.
  • Unter Bethlehems Stern. 24 Prachthandschriften aus dem Mittelalter, bis 15. Jänner 2017, Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek, täglich 10.00 bis 18.00, donnerstags bis 21.00 Uhr.

Zu einem regelrechten Boom dieser Bücher kam es dann ab dem 15. Jahrhundert – freilich aber auf den Adel beschränkt: Buchmaler wurden engagiert, um den Stundenbüchern eine ganz persönliche Prägung zu geben – nicht nur mit feinen Blattgolddetails, mit Blumen- und Tiermotiven, sondern mitunter auch mit den persönlichen Wappen der Adelshäuser geschmückt.

Komplexe Bildgestaltung

Zur Creme de la Creme der Buchmaler zählte der „Meister des Herzogs von Bedford“, der im Paris des 15. Jahrhunderts lebte. Überliefert ist von ihm nur dieser „Notname“ – der Herzog von Bedford war nämlich einer seiner Auftraggeber gewesen. Von diesem Meister stammt eine ungewöhnliche Darstellung der „Erscheinung des Herrn“: Auf dem detailreich ausgearbeiteten Bild knien die Drei Weisen ehrfurchtsvoll vor dem Jesuskind, Josef kratzt sich am Kopf, das Jesuskind fasst einem der Weisen ins schüttere Haar. In der Randvignette und im Hintergrund des Bildes sieht man dann die Drei Könige auf ihrer Reise und beim Zusammentreffen mit Herodes. „Das ist typisch für die Kunst des Mittelalters. Mehrere Szenen sind in einem Bild versammelt“, so Kaska.

Berührend ist eine weitere Szene: Maria und ihre Cousine Elisabeth, die - beide schwanger - ehrfürchtig staunend gegenseitig ihre Bäuche berühren. Drastisch dann der grausame Kindesmord von Bethlehem: Das Blut spritzt, eine Frau versucht, ein Kind zu retten, indem sie es – gleich der Geschichte von Moses – in einem Körbchen in den Fluss setzt.

Hirten im Mittelaltergewand

Bei der „Verkündigung bei den Hirten“ kann man hingegen ein weiteres typisches Stilmittel der mittelalterlichen Kunst erkennen: Die Figuren tragen die Tracht der Zeit, auch die Dudelsäcke stammen Kaska zufolge aus dem Mittelalter. Die Geschichten erscheinen so plastischer und gegenwartsnaher. Es gebe, so Kaska, sogar Bilder aus dem Mittelalter, auf denen Jesus auf Ritter trifft.

Neapolitanische Krippe, Auszug: Anbetungsszene, 2. Hälfte 18. Jhdt.

Jens Bruchhaus

Diese Neapolitanische Krippe entstand Mitte des 18. Jahrhunderts, ausgestellt ist sie ebenfalls im Liebighaus

Ein besonderes Detail dieser Stundenbücher sind nicht zuletzt auch die Drolerien, die komisch-grotesken Illustrationen, die häufig in den Randvignetten zu finden sind: Nackte Flötenspieler, Tiere und Fabelwesen und eine „verkehrte Welt“ – zum Beispiel Hasen, die Jäger jagen. Was diese Illustrationen im Stundenbuch verloren haben? „Man weiß nicht, inwieweit es sich dabei um Scherze des Buchmalers handelt“, so Kaska. Ob sie vom Gebet ablenken, sei eine andere Frage, sagt sie und schmunzelt, aber „man hat das damals akzeptiert“.

Paula Pfoser, für ORF.at

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