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Jubel in Singapur, Ernüchterung in Paris

Der Gewinner der aktuellen PISA-Studie ist unbestritten Singapur. Zwischen 42 und 74 Punkte liegt der südostasiatische Insel- und Stadtstaat über dem OECD-Schnitt von knapp 500 Zählern - das sind Welten.

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Auch andere Länder haben zuletzt die Ernte in der Bildungspolitik eingefahren. PISA-Chefkoordinator Andreas Schleicher sagte: „PISA spiegelt wider, was im Klassenzimmer passiert. Die Länder, die viel getan haben, sehen verbesserte Leistungen - und die Länder, wo wenig passiert, die sehen auch wenig Gutes.“

Weiterbildung als Schlüssel zum Erfolg

Weil die Großregion Schanghai als PISA-Champion von 2012 diesmal nicht mehr einzeln neben China bewertet wurde, setzte sich der kleinste Flächenstaat Singapur (5,5 Millionen Einwohner) mit durchschnittlich 551 PISA-Punkten an die Spitze aller drei Rankings. „Dort hat jeder Lehrer etwa 100 Stunden Weiterbildung pro Jahr“, sagte Schleicher über Singapurs Erfolgsgeschichte.

„Jede Schule unterhält professionelle Arbeitsgruppen, in denen Lehrer ihren Unterricht gemeinsam vor- und nachbereiten.“ Andere Experten heben hervor, dass dort die Unterrichtsräume hochmodern ausgestattet sind (auch in puncto digitale Medien) und dass in der Methodik „alte Zöpfe“ abgeschnitten worden seien. „Pädagogische Forschung findet nicht nur an der Universität statt, sondern in den Schulen“, so Schleicher.

Grafik zu den PISA-Ergebnissen

Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA/OECD

Kanada bei Integration Vorbild

Spitzenreiter in der Unterkategorie Lesen ist diesmal Kanada (527 Punkte, durchschnittlich 523). Das nordamerikanische Land will nächstes Jahr rund 300.000 Einwanderer aufnehmen - mit guten bildungspolitischen Erfolgsaussichten. Im Gegensatz zum Nachbarland USA ist Kanada laut PISA-Chef Schleicher ein Musterknabe in Sachen schulische Integration.

Kinder aus Migrantenfamilien, besonders aus China, Indien und anderen asiatischen Ländern, schneiden in der Schule oft besser ab als Kinder kanadischer Eltern. Im OECD-Vergleich liegen sie ebenfalls vorn, etwa bei Leseverständnis und Mathematik. Viele Schulen helfen Familien in Willkommenszentren im ungewohnten Alltag. Und da Kanada Migranten teils nach vier Jahren Aufenthalt ermöglicht, Staatsbürger zu werden, sind die Lernanreize groß.

Finnland top, Schweden will aufholen

Viele europäische Ländern blicken bei Bildungsthemen neidvoll nach Norden. In Finnland, das regelmäßig Topleistungen abliefert (aktuell Naturwissenschaften Rang drei, Lesen Platz zwei) ist die Zufriedenheit nach wie vor hoch. Wegen der wirtschaftlichen Probleme wurde zuletzt aber auch an den Schulen der Rotstift angesetzt. Viele befürchten, dass die Qualität darunter leiden könnte. Geld wird in die Digitalisierung gesteckt - so sollen mehr Schüler mit Tabletcomputern arbeiten können.

In Schweden gab es in den vergangenen Jahren manche Enttäuschung über das Abschneiden bei den internationalen Tests. Eine große Debatte entbrannte, als das Land 2012 unter den OECD-Schnitt abstürzte. Die rot-grüne Regierung versucht nun, das Niveau mit viel Einsatz für kleinere Klassen, einem attraktiveren Lehrerberuf und mehr Gleichheit an den Schulen zu heben. Der PISA-Punkteschnitt stieg von 482 auf 495.

Polen holt konsequent auf

Polen profitiert mit im Schnitt 504 Punkten von einer ruhigen, konsequenten Bildungspolitik. „1999 wurde eine große Schulreform eingeleitet. Die wurde dann ein Jahrzehnt lang, über Parteigrenzen hinweg und trotz Regierungswechseln, Schritt für Schritt umgesetzt“, lobte OECD-Fachmann Schleicher. „Da wusste jeder Lehrer, was kommt.“

Der Erfolg wird auf die vor 17 Jahren eingeführten Mittelschulen zurückgeführt. Das Leistungsniveau wurde angehoben und die Chancengleichheit auf eine gute Matura erhöht, heißt es. Doch nun sehen Experten die Erfolge durch eine hastig vorangetriebene neue Schulreform bedroht: Polens Nationalkonservative wollen die Mittelschulen mit dem nächsten Schuljahr wieder abschaffen.

Kolumbien schüttelt Vergangenheit ab

Einen etwas weiteren Weg hat Kolumbien noch vor sich. Das südamerikanische Land arbeitete sich auf den PISA-Ranglisten von ganz unten in Richtung Mittelfeld vor: Nach 392 PISA-Punkten im Schnitt (2012) sind es jetzt immerhin schon 410. „Es gab dort bis in die 90er Jahre überhaupt kein Schulsystem. Heute steht man auf dem Niveau von Mexiko - bei deutlich geringerem Ressourceneinsatz für Bildung“, so Schleicher.

Bildungsexperte Pablo Gentili hob hervor, Kolumbien sei ein Land, das gut 50 Jahre im Kriegszustand gelebt habe - mit über fünf Millionen Vertriebenen. Nun aber sei das System auf „permanentes Lernen“ ausgerichtet, auch kulturelle und soziale Belange spielten eine Rolle. Der Staat sorgt dafür, dass es überall adäquates Schulmaterial gibt. Mit zwei Jahren kommen Kleinkinder in Kindergärten, Schulen arbeiten meist im Ganztagsbetrieb. Dort werden nun Krieg und Friedensprozess verstärkt thematisiert.

Tristesse in Frankreich

Große Enttäuschung herrscht in Frankreich. Im Schulsystem klafft ein Graben zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Im Land von „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ beschwören Politiker die Schule oft als Motor für soziale Gerechtigkeit und Integration. Seit 1975 gibt es ein Gesamtschulmodell - alle Kinder gehen nach der Volksschule auf das College. Doch die PISA-Studien zeigen seit Jahren wachsende Ungleichheiten.

Im breiten PISA-Mittelfeld ist Frankreich abgerutscht - von fast 500 auf zuletzt 495 Punkte im Schnitt. Wissenschaftler verweisen auf veraltete Lehrmethoden und die soziale Ghettobildung in wirtschaftlich schwachen Vorstädten. Obwohl die Politik dort mehr Geld bereitstellen will, ist die Unterrichtsqualität schlechter geworden, kritisierte ein unabhängiges Expertengremium. „In Bezug auf die soziale Kluft steht Frankreich deutlich schlechter da als Deutschland“, bestätigte auch PISA-Experte Schleicher.

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