„Mittlere Welten“ zwischen SPÖ und FPÖ
Am Mittwochabend sind Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) und FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache zum ersten Mal direkt zu einem öffentlichen Streitgespräch zusammengetroffen. Die Diskussion in der Ö1-Reihe „Klartext“ im vollbesetzten Großen Sendesaal des RadioKulturhauses in Wien verlief überraschend ruhig und sachlich.
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Was die Gesprächsbasis betreffe, sei eine „neue Qualität“ eingetreten, seit Kern Werner Faymann als Bundeskanzler beerbt habe, sagte Strache gleich zu Beginn der Veranstaltung. In den sechs Monaten, seit Kern Kanzler sei, habe es mehr Gespräche gegeben als in der gesamten Amtszeit Faymanns.
Kern und Strache: Das Verhältnis zueinander
Zu Beginn des Streitgesprächs tauschten Kern und Strache Höflichkeiten aus. Scharfe Attacken wurden vermieden.
Auch Kern vermied Angriffe auf den FPÖ-Chef. Er habe bereits zu Beginn seiner Amtszeit betont, mit allen Parteien Gespräche führen zu wollen. Er respektiere, dass auch „Strache will, dass das Land vorankommt“, so Kern. Als Oppositionschef habe Strache allerdings ein anderes Anforderungsprofil: „Er muss nicht umsetzen, was er verspricht.“
Patriotismus und politische „Hunderennen“
Auf die Frage von Moderator Klaus Webhofer, ob Strache ein Nationalist sei, der Bevölkerungsgruppen gegeneinander ausspiele, wich Kern aus. „Wir wissen, dass sich Gesellschaft und Wirtschaft verändern. Da müssen wir reagieren.“ Auch Strache sah sich nicht als „Nationalisten“: „Wir sind Patrioten im besten, positiven Sinn des Wortes.“ Natürlich stelle man die Interessen der Staatsbürger in den Mittelpunkt, aber man wolle sich nicht „überhöhen gegenüber anderen Völkern“.
Der neue Nationalismus
Vom „Brexit“ über Donald Trump zu Marine Le Pen: Kern und Strache über den neuen Nationalismus.
Als „interessante Diskussion“, die ihn aber nicht im Übermaß interessiere, bezeichnete Kern die Frage des Moderators, ob er sich als „Linkspopulist“ sehe. Journalisten wollten politische „Hunderennen“ konstruieren und wollten „sehen, welcher Pudel dabei die Nase vorn hat“. Ob die Gesprächsverweigerung gegenüber den Freiheitlichen in der Vergangenheit ein Fehler gewesen sei, darüber wollte Kern sich ebenfalls nicht ausbreiten, dieses Thema fasziniere lediglich die politischen Kommentatoren.
CETA und der „Öxit“
Inhaltlich kamen unter anderem das Freihandelsabkommen CETA und die EU aufs Tapet. Zu Ersterem hielt Kern fest, dass es sein Ziel gewesen sei, Verbesserungen für Österreich zu erzielen. Strache verwies jedoch auf die SPÖ-Regierungsverantwortung, die bereits vor Kerns Amtsübernahme bestanden habe.

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Kern über Strache: „Er muss nicht umsetzen, was er verspricht.“
Während Strache die EU als reine Wirtschaftskooperation sehen will, pochte Kern auf die EU als „Werteprojekt“, bei dem es um Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und den Respekt vor Menschenwürde gehe. Kern erinnerte Strache daran, dass die Freiheitlichen eine Volksbefragung über den EU-Austritt gefordert hätten - der FPÖ-Chef bestritt jedoch, über den „Öxit“ gesprochen zu haben.

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Strache bestritt, über einen „Öxit“ gesprochen zu haben
„Wir haben ein Programm, da sind die Linien festgelegt“, sagte Strache. Dazu gehöre etwa ein EU-Beitritt der Türkei, der für Strache ein No-Go darstellt. Dasselbe gelte auch für die Einrichtung eines „zentralistischen“ EU-„Bundesstaates“. In solch einem Fall brauche es eine Volksabstimmung, so Strache.
Kleine Spitzen
Kern räumte ein, dass man bei der EU-Erweiterung Änderungen bei den Entscheidungsprozessen verabsäumt habe. Etwas später attestierte ihm Strache dann: „Sie sind der Meister der schön gekleideten, leeren Worthülsen“ - eine der wenigen Spitzen an diesem Abend. Eine gemeinsame Europaarmee lehnten beide Parteichefs mit Verweis etwa auf die Neutralität ab.
Das Verhältnis zur EU und Positionierung innerhalb Europas
Beim Verhältnis von SPÖ und FPÖ in der Europapolitik kam auch die Diskussion über einen möglichen „Öxit“ zur Sprache.
Gesprochen wurde auch über die Ost-Orientierung des freiheitlichen Bundespräsidentschaftskandidaten Norbert Hofer. Dazu betonte Strache, dass dies keine Position der Partei sei, sondern lediglich zeige, dass es keine internationale Isolation ihm gegenüber gebe. Er unterstütze das, sei selbst aber derzeit nicht in der Funktion, von den osteuropäischen Staaten eingeladen zu werden, so Strache.
Kern verwies hier auf die Solidarität in Europa und schwenkte auf die Steuerflucht, die inakzeptabel sei. Anders als große Konzerne habe „jede Würstelbude eine höhere Steuerbelastung“. Auch kam er bei dem Thema auf das Lohn- und Sozialdumpinggesetz auf europäischer Ebene zu sprechen. Die Gruppe der Visegrad-Länder wolle hier keine Verschärfungen, seien sie doch die Profiteure.
FPÖ, SPÖ und ihr „Knittelfeld“
Strache wiederum brachte das Gespräch auf die Situation in der Wiener SPÖ und sprach von „Kernspaltung“. Was diverse Wortspiele anbelangt, zeigte sich Kern aber „schmerzbefreit“: „Halten Sie sich nicht zurück.“ „Wir sind von einem Knittelfeld auf Sozialdemokratisch weit entfernt“, betonte der Parteichef dazu weiter.
Es habe immer wieder Diskussionen und unterschiedliche Positionen gegeben, aber: „Ich habe völliges Vertrauen, dass der Bürgermeister (Michael Häupl, Anm.) die richtigen Entscheidungen trifft.“ Strache verwies auf aktuelle Umfragen, die die FPÖ weit vorne sehen, und meinte: „Dass da kein Problem sein soll, das ist abseits der Realität.“ Kern konterte: „Ich schätze das, dass Sie sich um die SPÖ Sorgen machen. Aber wenn die Umfragen stimmen würden, wäre Großbritannien noch in der EU und Hillary Clinton Präsidentin.“
„Erhebliche Unterschiede“ bei Zuwanderung
Beim Thema Zuwanderung attestierte Kern den beiden Parteien „erhebliche Unterschiede“. Er hob die Bedeutung einer sicheren EU-Außengrenze hervor sowie eine nachhaltige Lösung in den Herkunftsstaaten. Was den erneuten Streit über die „Obergrenze“ der Asylanträge in der Koalition betrifft, zeigte der Kanzler Unverständnis: „Wir haben eine Obergrenze definiert, die ist verbindlich, die ist umzusetzen.“ Ob dies in der Verfassung sei oder nicht, sei juristisch zu klären, so Kern.
Zwischen Willkommenskultur und „Obergrenze“
Kern und Strache über ihre Differenzen in der Flüchtlings- und Zuwanderungspolitik.
Einen aktuellen Streit würde er „nicht ausblenden“: „Aber der ist von wenig Rationalität geschlagen.“ Strache kritisierte einmal mehr die Vorgangsweise der Bundesregierung bei der Flüchtlingswelle im Vorjahr, seien mit dieser doch auch radikale Islamisten und Terroristen mitgekommen. Kritik übte er auch daran, dass Hilfsgelder für die betroffenen Regionen zurückgefahren wurden. Er pochte auch darauf, dass Flüchtlinge im ersten sicheren Drittstaat um Asyl ansuchen müssen und nicht in ihre „Wunschdestination“ Österreich reisen dürfen. Strache warnte weiters davon, dass „teilweise faschistoide Ideologie“ hinter Religion versteckt werde und Parallelgesellschaften entstanden seien.
Die gute Kinderstube
Bei der Wirtschaftspolitik forderte der FPÖ-Chef eine Steuersenkung mit einer Quote unter 40 Prozent, um den Standort zu attraktivieren. Kern wollte neben dem „Riesenskandal“ hohe Arbeitslosigkeit auch den Beschäftigungsrekord genannt wissen. Auch verwies er auf das „Megathema“ Bildung.
Zum - Zitat Kern - „Lieblingsthema der Kommentatoren“, nämlich eine Zusammenarbeit von SPÖ und FPÖ, meinte der Kanzler: Eine „große, stolze Partei, die den Führungsanspruch stellt“, müsse sich darüber definieren, wofür sie steht, nicht darüber, was sie nicht tut. Zunächst werde die SPÖ nun die Kriterien für künftige Koalitionen ausarbeiten und dann gebe es darauf basierend Entscheidungen.

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Kern und Strache lieferten sich einen gesitteten Schlagabtausch
Das Gespräch scheinen die beiden genossen zu haben: „So ein amikales Gespräch wie heute haben wir noch nie geführt“, so Kern, denn im Parlament „klescht’s“ regelmäßig. Es sei aber „gut zu sehen, dass wir eine gute Kinderstube haben“. Inhaltlich freilich „trennen uns mittlere Welten“, meinte der SPÖ-Chef. Strache bekräftigte: „Ich grenze grundsätzlich niemanden aus.“ Anspruch der FPÖ sei es, stärkste Partei zu werden und dann mit dem Zweiten und Dritten zu reden. Zwar gebe es Schnittstellen mit der SPÖ, etwa bei der Infrastruktur, der Gesundheit oder beim Thema Soziales. Bei den Pensionen sei man jedoch „schon kritischer“, vor allem die soeben beschlossenen 100 Euro „Almosen“ störten Strache.
„Im Infight mit der FPÖ ist nichts zu gewinnen“
Die Meinungsforscher Peter Hajek und Christina Matzka (Meinungsraum.at) zeigen sich bei der Analyse des „Klartext“-Duells in der ZIB2 überrascht von dem unaufgeregten Gesprächsstil von Kern und Strache. Hajek sieht darin taktisches Kalkül des Bundeskanzlers, denn „er weiß, dass wenn man in den Infight mit den Freiheitlichen geht, man wenig zu gewinnen hat“.
Matzak verortet den neuen „Kuschelkurs“ hingegen eher bei Strache. Der „Kniefall“, mit dem er das Gespräch begonnen habe, sei ungewöhnlich, so die Meinungsforscherin. Sie sieht darin aber das klare Ziel, den freiheitlichen Spitzenkandidaten für die Bundespräsidentenwahl, Norbert Hofer, „nicht in den Rücken zu fallen“.
Positionierung für Neuwahlen?
Das neue Klima zwischen SPÖ und den Freiheitlichen könnte beim linken Flügel der Partei jedoch Widerstand hervorrufen, warnt Matzka. Kern habe allein aus koalitionstaktischen Gesichtspunkte jedoch „keine andere Wahl“. Auch Hajek attestiert Kern den Versuch, dem politischen Gespräch eine neue „Rahmenbedingung“ zu verpassen. Laut Umfragen habe Kern gute Werte, doch seine Optionen hingen davon ab, „wann der Wahltermin stattfindet und welchen Gegenkandidaten die ÖVP aufstellt“.
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