Wenn Außerirdische auf der Erde landen, dann inszeniert Hollywood das bevorzugt als unheimliche Bedrohung, die mit Effektgewitter und Waffengewalt beseitigt werden muss. In Denis Villeneuves „Arrival“ wird stattdessen nachgefragt: Amy Adams übt sich als Alien-Flüsterin - und sieht sich dabei in erster Linie mit durchwegs irdischen Problemen konfrontiert.
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Kommunikation ist eine der zentralen Herausforderungen des „ersten Kontakts“, jenes Moments, in dem erstmals irdisches auf außerirdisches Leben trifft. Die richtigen - oder überhaupt - Worte zu finden wird zur Aufgabe von Linguistin Louise Banks (Amy Adams). Basierend auf einer Kurzgeschichte des amerikanischen Science-Fiction-Autors Ted Chiang rückt Regisseur Villeneuve („Sicario“) die Sprache in den Fokus von „Arrival“.
Mysteriöse Raumschiffe in „2001“-Optik
Kurze Sequenzen gewähren zu Beginn episodenhaften Einblick in das Leben der Sprachwissenschaftlerin, das vor allem von ihrer Karriere und dem frühen Tod ihrer Tochter gezeichnet ist. Doch ehe der Verdacht entsteht, die Protagonistin sei eine hauptsächlich über ihr familiäres Schicksal definierte Figur, lässt Villeneuve bereits die Aliens auf der Erde landen.
Dabei greift der Regisseur auf gewohnte Motive der Science-Fiction-Blockbuster zurück: erst Kampfjets, die im Tiefflug über aufgebrachte Menschenmassen hinwegziehen, dann leer geräumte Hallen und schaurige Stille. Zwölf „Muscheln“ verteilen sich quer über den Globus: Es sind Hunderte Meter hohe, schwarze Gebilde, die in ihrer visuellen Opulenz wohl nicht zufällig an den Monolithen aus Stanley Kubricks „2001: Odyssee im Weltall“ erinnern.
Besuch oder Invasion?
Es bleibt die Frage nach dem Warum? Welchen Zweck verfolgen die geheimnisvollen Aliens, die visuell an Kraken angelehnt sind und deren Sprache entfernt an Walgesang erinnert, mit ihrer Anwesenheit? Dazu stockt das Militär, vertreten durch Forest Whitaker, nicht das eigene Arsenal auf, sondern setzt - entgegen etablierten Hollywood-Standards - auf die Wissenschaft: Neben Linguistin Banks wird mit Ian Donnelly (Jeremy Renner) auch ein Naturwissenschaftler engagiert.
Sony Pictures
Adams vermittelt zwischen Außerirdischen und Menschen, nachdem zwölf geheimnisvolle „Muscheln“ auf der Erde landen
Das Aufeinandertreffen der zwei Forscher und der nach ihren sieben Gliedmaßen benannten Heptapoden bildet den Kern von „Arrival“. Wie funktioniert die Verständigung mit Außerirdischen? Wie kann eine gemeinsame sprachliche Basis geschaffen werden? Villeneuve unternimmt, getreu seiner literarischen Vorlage, Ausflüge in die Sprachwissenschaft, um Antworten zu finden - das mag trocken klingen, doch der Film driftet nie in Langeweile ab.
Das ist zu einem wesentlichen Teil der Performance von Adams geschuldet, die die Neugier und Zielstrebigkeit ihrer Figur authentisch auf die Leinwand bringt. Doch „Arrival“ lebt noch mehr von der Atmosphäre, die Villeneuve sowohl visuell als auch akustisch zu erzeugen versteht: Während auf Explosionen und detaillierte Alien-Darstellungen zugunsten eines überschaubaren Budgets großteils verzichtet wird, sind die Szenen optisch aufwendig durchkonstruiert, der Soundtrack von Johann Johannsson unterstützt die düstere Atmosphäre.
Nachhilfe von „WolframAlpha“-Gründer
Dass Villeneuve die „Science“ der Science-Fiction am Herzen liegt - nicht so, dass der Film akkurat ist, aber die Wissenschaft den Charakteren immerhin nicht unterordnet -, wird auch an einer Zusammenarbeit mit dem Mathematiker Stephen Wolfram und dessen Sohn ersichtlich. Die geschriebene Sprache der Außerirdischen ist kreisförmig aufgebaut, sie wird als ähnlich Mandalas beschrieben. Die Analyse auf den Computerschirmen wurde tatsächlich programmiert, eine Veröffentlichung des Alien-Vokabulars zumindest angedacht.
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Sind die Außerirdischen gefährlich? Kein „erster Kontakt“ ohne Schutzanzüge
Internationale Zusammenarbeit als Hürde
Gute Science-Fiction schafft es, zeitgenössische Themen in einen futuristischen Kontext zu stellen - „Arrival“ trifft dabei genau den Nerv der Zeit: Es ist letztlich nicht die Kommunikation mit den Aliens, die sich am schwierigsten gestaltet, sondern die Zusammenarbeit zwischen den betroffenen Nationen, die die gesamte Menschheit vor eine Zerreißprobe stellt.
Doch „Arrival“ holt wie seine Vorlage noch viel weiter aus, stellt Sprache und Kultur gegenüber, versucht den gesamten Denkprozess zu hinterfragen und rüttelt nebenbei an der sonst üblichen Erzählstruktur. Trotz formaler Windungen, die den Film von der Genrekonkurrenz abheben, gelingt es Villeneuve, seine Figuren zu entwickeln und selbst Platz für ein bisschen Liebe - ganz ohne Kitsch - zu lassen.
Generalprobe für „Blade Runner“-Sequel geglückt
Science-Fiction, die zum Denken anregt: „Arrival“ verpackt große Themen und komplexe Fragen in einem zugänglichen Paket, das optisch und akustisch den Vergleich mit den größten Blockbustern nicht scheuen muss - ohne Kompromisse bei der Handlung einzugehen. Für „Blade Runner“-Fans ist das ein gutes Omen: Villeneuve, der bei der für 2017 angekündigten Fortsetzung Regie führt, hat mit „Arrival“ bewiesen, dass er sich selbst vor den größten Namen des Genres keineswegs verstecken muss.