Einblicke, Rückblicke, Seitenblicke
Die Sachbücher der Saison spiegeln die großen Debatten und Trends unserer Zeit wider: Von einer Neuaflage der Kapitalismuskritik alter Schule bis zum humorvollen Nachdenken über Superhelden, von historischen Schmökern bis zur Zukunftsvision, von Alltag bis Wissenschaft ist hier alles vertreten.
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Ode an die Indie-Kultur
„Modern Girl. Mein Leben mit Sleater-Kinney“ ist die Autobiografie von Carrie Brownstein, Gitarristin und Sängerin der US-Punkband Sleater-Kinney. Das Buch geht aber weit über die klassischen „Mein Leben in einer erfolgreichen Band“-Memoiren hinaus. Mit Leidenschaft, Witz und schonungsloser Ehrlichkeit erzählt Brownstein von ihren Teenagerjahren im vermeintlichen Kleinstadtidyll in der Nähe von Seattle und von der Riot-Grrrl-Bewegung der 1990er Jahre, aus der Sleater-Kinney entstand. „Modern Girl“ ist eine Ode an Musik und Feminismus, an Freundschaft und Liebe und – nicht zuletzt - an die US-Indie-Kultur.
Carrie Brownstein: Modern Girl. Mein Leben mit Sleater-Kinney. Benevento Verlag, 328 Seiten, 24,00 Euro.
Ein Superfan und seine Helden
„FAZ“-Feuilletonist und Poptheoretiker Dietmar Dath hat in der neuen 100-Seiten-Reihe des Reclamverlags ein Büchlein über Superhelden veröffentlicht, und man glaubt ihm sofort, dass er den Großteil seiner Kindheit in Metropolis und Gotham City verbrachte: Daths Perspektive auf Iron Man, die Fantastischen Vier, Green Lantern und Wonder Woman ist die eines Fans, der sich seitenlang über die mangelnde Texttreue diverser Marvel- und DC-Verfilmungen aufregen kann. Dath gesteht, jahrelang in Kitty Pryde aus dem X-Men-Team verliebt gewesen zu sein, und fragt sich mit Freud, Hegel und Nietzsche, was Superhelden so attraktiv macht. Dass Reclam dem eigenen Image treu bleibt, also textlastig und schwarz-weiß, kontrastiert charmant mit dem beschriebenen Topos: Pong! Zock! Wamm!
Dietmar Dath: Superhelden. Reclam, 100 Seiten, 10,30 Euro.

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Irak und Syrien: Ein Sachbuch als Graphic Novel
Die Zeichnerin Sarah Glidden hat ihren ganzen Mut zusammengenommen und drei Freunde bei einer Reportagereise nach Syrien, in den Irak und in die Türkei begleitet. Daraus ist ein Sachbuch im Stile einer Graphic Novel entstanden - ein Trend, komplexe Themen, ohne sie zu vereinfachen, einer großen Zielgruppe zugänglich zu machen. Es geht um Krieg, Tod und Elend - und um Mut und die Fähigkeit, sich selbst, sein Tun und sein Land kritisch zu beobachten. Ein packendes Buch - nicht nur, aber ganz besonders für junge Menschen, die überlegen, „irgendwas mit Medien“ zu machen.
Sarah Glidden: Im Schatten des Krieges. Reportagen aus Syrien, dem Irak und der Türkei. Reprodukt, 304 Seiten, 29,90 Euro.
Trumps Erfolg
Als Mitdreißiger eine Autobiografie zu schreiben ist ungewöhnlich genug. J. D. Vance hat mit der Geschichte seiner Sozialisation im „Heartland“ von Donald Trumps Wahlerfolg – in Kentucky und Ohio – aber einen Nerv getroffen. Unprätentiös und ergreifend zugleich erklärt er anhand seiner eigenen Geschichte, wie sehr die Menschen dort in Armut, Verwahrlosung, fehlender Perspektive gefangen und zugleich von kulturellen Eigenheiten geprägt sind. Schonungslos zeigt er die bestehenden Missstände auf – und die individuelle Mitverantwortung der Betroffenen jenseits struktureller Probleme.
J. D. Vance: Hillbilly Elegy. A Memoir of a Familiy and Culture in Crisis. Harper Collins, 257 Seiten, 14,99 Euro.
Der Aufstieg der Rechten in Europa
Ob die AfD in Deutschland, die „Front National“ in Frankreich oder „Recht und Gerechtigkeit“ in Polen, von der „Fidesz“ Viktor Orbáns bis zur „Dänischen Volkspartei“ und der britischen UKIP: Begünstigt durch Flüchtlingskrise und Terroranschläge erringen rechtspopulistische und nationalkonservative Parteien bei Wahlen Sieg um Sieg. Geschickt instrumentalisieren die Rechten Wut und Angst. Fremdenfeindliche und nationalistische Töne werden immer lauter. Die etablierten Parteien wirken wie gelähmt und geraten zusehends in die Defensive. Europa, so zeigen die Analysen der ORF-Korrespondenten, steht am Scheideweg: Gelingt es nicht, den Aufstieg der Rechtspopulisten zu stoppen, drohen die Zerstörung der europäischen Demokratie und die Rückkehr zum Nationalstaat – mit unabsehbaren Folgen für Frieden und Wohlstand.
Roland Adrowitzer: Rechts um. Wie Europa abgewählt wird. Styria Premium/ORF, 224 Seiten, 24,90 Euro.
„Großer Supermarkt“: Abdel-Samads Korankritik
Mit einem „großen Supermarkt“ vergleicht der Islamkritiker Hamed Abdel-Samad den Koran in seinem neuen kritischen Buch „Der Koran. Botschaft der Liebe. Botschaft des Hasses“. „Man findet dort fast alles: Mitgefühl und Hass; Frieden und Gewalt; Toleranz und Intoleranz; Vergebung und Rache; Zusammenleben und Vertreibung von Andersgläubigen“, so Abdel-Samad. Mit Büchern wie „Der islamische Faschismus“ eroberte der ägyptisch-deutsche Publizist und Autor die deutschsprachigen Bestsellerlisten, sie brachten ihm aber auch Todesdrohungen ein.
Hamed Abdel-Samad: Der Koran. Botschaft der Liebe. Botschaft des Hasses. Droemer Knaur, 240 Seiten, 20,60 Euro.
Der Vatikan und der Pakt mit dem Faschismus
Mit der Deutung, der Vatikan sei dem Faschismus in erster Linie kritisch gegenübergetreten, räumt „Der erste Stellvertreter. Pius XI. und der geheime Pakt mit dem Faschismus“ des US-Historikers David I. Kertzer gründlich auf. Dass Papst Pius XI. (1922 - 1939) gegen die Diskriminierung von Juden heftig protestiert habe, bezeichnet Kertzer als „tröstliche Erzählung“. Im Gegenteil: „Der Vatikan spielte eine zentrale Rolle dabei, das faschistische Regime möglich zu machen und es an der Macht zu halten.“
David I. Kertzer: Der erste Stellvertreter. Pius XI. und der geheime Pakt mit dem Faschismus. Theiss, 608 Seiten, 39,10 Euro.

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Franz von Assisi: Der heilige Ketzer
Spätestens seit dem sehr populären Papst Franziskus hat der heilige Franz wieder Saison: Wie wurde aus dem bürgerlichen Lebemann Giovanni Battista Bernadone der asketische Bettelprediger Franziskus, der „immer kleiner ist als alle anderen“ und trotzdem einen der wichtigsten katholischen Orden gründete? Und was wurde aus seiner Vision von einem Leben in der Nachfolge von Jesus Christus? Der Religionsphilosoph Gunnar Decker geht diesen Fragen in seinem Buch „Franz von Assisi. Der Traum vom einfachen Leben“ nach.
Gunnar Decker: Franz von Assisi. Der Traum vom einfachen Leben. Siedler Verlag, 432 Seiten, 27,80 Euro.
Was die Bibel über die Evolution erzählt
Bibel und Evolutionslehre: Das sind zwei Sphären, die wie Gegensätze scheinen. Doch wie die Menschheitsgeschichte im „Buch der Bücher“ ihren Niederschlag fand, davon erzählt die Neuerscheinung „Das Tagebuch der Menschheit“. Ist die Geschichte um Adam und Eva im Paradies als Metapher für das Dasein der frühen Menschen als Jäger und Sammler zu verstehen? Diese und andere interessante Fragen stellt das Buch, es bietet einiges zur Verteidigung seiner Thesen auf und wirft damit ein spannendes neues Licht auf uralte Texte.
Carel van Schaik, Kai Michel: Das Tagebuch der Menschheit. Was die Bibel über unsere Evolution verrät. Rowohlt, 576 Seiten, 25,70 Euro.
Luther, wie er leibte und lebte
Unter den vielen Luther-Biografien, die zum Reformationsjubiläum auf den Sachbuchmarkt drängen, sticht Lyndal Ropers „Der Mensch Martin Luther“ heraus. Die Oxford-Historikerin nähert sich dem Vater der Reformation mit einem spannenden Ansatz: Bei ihr steht der Mensch Luther im Mittelpunkt. Viel Aufmerksamkeit widmet Roper Luthers Kindheit und Familie, auch die Körperlichkeit kommt dabei nicht zu kurz: Waren es wirklich Teufel, die Luther quälten, oder eher Tinnitus, Depressionen und chronische Verstopfung? Dabei bleibt die Geschichte der Reformation auch nicht auf der Strecke.
Lyndal Roper: Der Mensch Martin Luther. S. Fischer, 736 Seiten, 28,80 Euro.
Die Geschichte des Make-ups
Mit „Face Paint“ setzt Lisa Eldridge, „Make-up-Artist“, Kreativchefin einer großen Kosmetikfirma und Betreiberin eines erfolgreichen Tutorial-Blogs, ihrer großen Leidenschaft für die Geschichte von Make-up ein Denkmal. Eldridge verfolgt die Geschichte der Gesichtsbemalung von der Antike bis heute, dazwischen porträtiert sie Make-up-Ikonen wie Marilyn Monroe, Twiggy und Grace Jones. Illustriert ist das Buch mit prächtigen Bildern. Ein tolles Geschenk für Kosmetikliebhaberinnen.
Lisa Eldridge: Face Paint. The Story of Makeup. Stiebner Verlag, 240 Seiten, 30,80 Euro.

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Ein Ungustl namens Homo sapiens
Gut kommt der Homo sapiens in „Die Erfindung des Menschen“ der Biochemikerin Renee Schröder nicht weg: Er sei ein „Ungustl“, der mit seiner Aggressivität die anderen Menschenarten vermutlich ausradiert habe, urteilt die Wissenschaftlerin. Doch Schröder geht auch ins Detail und blickt tief in die Einzelbestandteile des Menschen hinein. Besonders spannend geraten ist der Abschnitt über CRISPR Cas9, ein Verfahren, das Eingriffe in die menschliche DNA möglich macht. Nebenbei skizziert Schröder auch mögliche Wege in eine bessere Zukunft mit weniger Ungustln.
Renee Schroeder, Ursel Nendzig: Die Erfindung des Menschen. Wie wir die Evolution überlisten. Residenz Verlag, 224 Seiten, 22 Euro.
Hinschauen, wo andere wegschauen
Gleich zweimal kann man sich in dieser Büchersaison davon überzeugen, dass Martin Schenk einer der klügsten Köpfe dieses Landes ist. Philosophisch geschult, mit klarem Blick, schaut er dorthin, wo andere wegschauen, auf den „Rand der Gesellschaft“, aber ohne Larmoyanz und zur Schau gestelltes Mitleid, vielmehr mit dem Blick nach vorne und der jahrzehntelangen Erfahrung aus der Praxis. Schenk ist stellvertretender Direktor der Diakonie.
Eva Maria Bachinger, Martin Schenk: Wert und Würde. Ein Zwischenruf. Hanser Box, E-Book, ca. 72 Seiten, 2,99 Euro.
Katharina Meichenitsch, Michaela Neumayr, Martin Schenk (Hrsg.): Neu! Besser! Billiger! Soziale Innovation als leeres Versprechen. Mandelbaum Verlag, 226 Seiten, 12,80 Euro.
Der Mann, der sah, was andere nicht sehen wollten
In Zeiten, in denen Ereignisse längst vergangen geglaubter Tage verstärkt als warnendes Zeichen hervorgeholt werden, empfiehlt sich eine Lektüre von „Adolf Hitlers erster Feind“. Stefan Aust zeichnet darin den Lebensweg des weitgehend in Vergessenheit geratenen Journalisten Konrad Heiden nach, der sich nach einer 1921 in München miterlebten Hitler-Rede über die dort gehörte „Flut an Unfug“ wunderte. Der spätere Autor der ersten Hitler-Biografie sagte frühzeitig den Aufstieg der Nationalsozialisten voraus und „sah, was andere nicht sehen wollten“.
Stefan Aust: Hitlers erster Feind. Der Kampf des Konrad Heiden. Rowohlt, 384 Seiten, 23,60 Euro.
Warum die Welt ungleicher wird
Branko Milanovic muss es wissen: Er ist Wirtschaftswissenschaftler und war als solcher leitender Ökonom der Forschungsabteilung der Weltbank. Heute unterrichtet er an US-Unis und hat ein Buch über die Ungleichheit geschrieben, das von Größen wie Thomas Piketty („Absolute Pflichtlektüre“) gelobt wurde. Er zeigt nicht nur anhand umfassenden Datenmaterials auf, dass die zwölf reichsten Menschen der Welt so viel besitzen wie die ärmere Hälfte der Menschheit, sondern erklärt auch, warum die Ungleichheit wächst, obwohl sich der Unterschied zwischen dem durchschnittlichen Wohlstand von Ländern verringert.
Branko Milanovic: Die ungleiche Welt. Migration, das eine Prozent und die Zukunft der Mittelschicht. Suhrkamp, 360 Seiten, 21,99 Euro (E-Book; auch als Hardcover erhältlich).
Judith Butler und die Politik der Straße
Der „arabische Frühling“, der Maidan, der Tahrir-Platz, „Occupy Wallstreet“ - und auch PEGIDA: Politik geht heute wieder auf die Straße, wie man es seit den 70er Jahren nicht mehr gekannt hat. Judith Butler, wie immer unbestechliche und akribische Beobachterin, geht der Frage nach den Bedingungen unserer Tage für die Politik der Straße nach. Friedlicher Widerstand hat Konjunktur, aber was, wenn es die anderen sind, die Rassisten und Faschisten, die auf die Straße gehen? Eine lohnenswerte Lektüre.
Judith Butler: Anmerkungen zu einer performativen Theorie der Versammlung. Suhrkamp, 350 Seiten, 23,99 Euro (E-Book; auch als Hardcover erhältlich).
Der Begriff Moral wird reingewaschen
Michael Tomasello ist Psychologe und Anthropologe und führt seine beiden Forschungs- und Unterrichtsschwerpunkte in dicht recherchierten und packend geschriebenen Büchern zusammen. Seine „Naturgeschichte des menschlichen Denkens“ wurde bereits viel beachtet, nun legt er „Eine Naturgeschichte der menschlichen Moral“ nach. Es braucht dieses Buch gerade dringend: Weil es den Moralbegriff entpolitisiert, von ideologischen Debatten reinwäscht und wieder völlig neu nutzbar macht. Moral ist die Grundbedingung und das Ergebnis menschlicher Kooperation - und zwar seit Menschengedenken.
Michael Tomasello: Eine Naturgeschichte der menschlichen Moral. Suhrkamp, 282 Seiten, 32,90 Euro.
Die Sprache als Symbol für Zwang und Freiheit
Noam Chomsky lehrt die Menschheit seit vielen Jahrzehnten, wie aus Wissen zwar niemals Gewissheit, sehr wohl aber ein Gewissen entstehen kann. Nun hat der viel gepriesene Linguist die Gedankenstränge seines bisherigen langen Lebens zusammengefasst: „Was für Lebewesen sind wir?“ ist der Kulminationspunkt seiner Überlegungen zu Themen wie Globalisierung und Kapitalismus, Medienkritik, Linguistik und Strukturalismus. Die Sprache wird uns zwar gelehrt und solchermaßen vorgegeben - doch zugleich ermöglicht sie uns die größte denkbare Freiheit. Ein Paradoxon, das Chomsky hier auf erfrischende Weise auflöst.
Noam Chomsky: Was für Lebewesen sind wir? Suhrkamp, 248 Seiten, 21,99 Euro.
Schönheit und Schrecken
Ein literarischer und intellektueller Doppelschlag ist Bernd Schuchter mit seinen Büchern über Jacques Callot gelungen, jenen Kupferstecher, der die Schrecken des 30-jährigen Krieges in ungewöhnlichen, teils fantasievollen Bildern festgehalten hat und Inspiration für zahlreiche Denker und Künstler war. Schuchter hat in dem von ihm selbst 2006 gegründeten Limbus-Verlag Kupferstiche in einem kleinen, feinen Bildband abgedruckt und für den Braumüller Verlag ein spannendes Buch über Callots Leben geschrieben - mit Erkenntnissen, die nicht nur historischer Natur sind.
Jacques Callot: Die großen Schrecken des Krieges. Limbus Preziosen, 66 Seiten, 20 Euro.
Bernd Schuchter: Jacques Callot und die Erfindung des Individuums. Braumüller, 160 Seiten, 18 Euro.

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Verantwortung über den Tod hinaus
Jedes Jahr wird eine große Anzahl Menschen begraben, ohne dass irgendjemand davon Notiz nimmt. Beim Projekt „Das einsame Begräbnis“ schreiben renommierte Autorinnen und Autoren für Menschen, die vereinsamt gestorben sind, anhand einer Recherche ein persönliches Gedicht und tragen dieses während des Begräbnisses vor. Dichter sind keine Sozialarbeiter, aber sie können die Aufmerksamkeit für das Leben und Sterben von Einsamen verändern. Der vorliegende Band präsentiert 32 Beispiele einsamer Begräbnisse in Amsterdam und Antwerpen.
Maarten Inghels, Frank Starik: Das Einsame Begräbnis. Geschichten und Gedichte zu vergessenen Leben. Edition Korrespondenzen, 224 Seiten, 19 Euro.
Can A Shirt Save Your Life?
Können Band-T-Shirts Leben verändern oder gar die Welt retten? Handelt es sich bei all den Nirvana- und Beatles-Shirts um eine moderne Variante von Heiligenverehrung? Eignen sich Männer gar besser für Band-T-Shirts als Frauen? Oder ist es einfach nur affig, seinen Musikgeschmack für alle Menschen sichtbar vor sich herzutragen? Antworten auf diese und andere Fragen geben in „I Love My Shirt“ Kenner der österreichischen und internationalen Popkulturszene: Austrofred, Irene Diwiak, Rainer Krispel, Mike Markart, Günter Neuwirth, Wolfgang Pollanz, Andrea Stift-Laube und Andrea Wolfmayr.
Wolfgang Pollanz (Hg.): I Love My Shirt. Edition kürbis, 108 Seiten, 16 Euro.
Sigmund Freud, eine eigene literarische Gattung
Über Sigmund Freud zu schreiben, ist eine dankbare Aufgabe: So viel Kultur, so viel Geistes- und Zeitgeschichte steckt in seinem Leben. Bei wem die Lektüre von Peter Gays legendärer Biografie schon zu lange her ist, dem sei zur Auffrischung die neue Biografie von Peter-Andre Alt empfohlen, der auch neues, bisher unterwähnt gebliebenes Material verwendete und so auch eine gewisse Berechtigung hat, noch ein Buch mehr über Freuds Leben zu schreiben.
Peter-Andre Alt: Sigmund Freud. Arzt der Moderne. Eine Biographie. C. H. Beck, 1.036 Seiten, 36 Euro.
Gesund leben nach dem Krebs
Viele Krebspatienten und ihre Angehörigen fühlen sich nach der Therapie von der Schulmedizin alleingelassen. Wie soll man mit häufigen Folgeerscheinungen wie Erschöpfung, Schmerzen, Gewichtsproblemen oder Übelkeit richtig umgehen? Anschaulich und anhand vieler Beispiele aus seiner ärztlichen Praxis erklärt Michael H. Schönberg, wie der Patient selbst aktiv werden kann, und beschreibt das richtige Zusammenspiel aus Bewegung, Ernährung und psychischer Stabilisierung. Eine ermutigende Anleitung zur Aktivierung der Selbstheilungskräfte.
Michael H. Schoenberg: Aktiv leben gegen Krebs. Piper, 352 Seiten, 22,70 Euro.
Über Chemtrails und Organhändler
„Zuerst denken, dann klicken“ lautet der Slogan der Kommunikationsexperten Tom Wannenmacher und Andre Wolf. Auf ihrer Website Mimikama („Gefällt mir“ auf Suaheli, Anm.) gehen sie dem Wahrheitsgehalt von Meldungen im Internet nach. Sind die Kondensstreifen am Himmel Chemtrails, die uns im Auftrag einer Regierung vergiften sollen? Wie gefährlich ist die Organmafia? Und wird uns bei Operationen heimlich ein Chip eingesetzt? Mit akribischer Recherche und Sinn für Humor schreiben die Autoren jetzt über ihre skurrilsten Fälle und zeigen, wie man selbst zum „Fake-Jäger“ wird.
Tom Wannenmacher, Andre Wolf: Die Fake-Jäger: Wie Gerüchte im Internet entstehen und wie man sich schützen kann. Komplettmedia, 266 Seiten, 18,50 Euro.

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Von Intimrasur bis sexy Selfie
Von der Intimrasur im alten Ägypten bis hin zu Kim Kardashians Selfies – die Geschichte der Sexualität wird in „Zehntausend Jahre Sex“ auf amüsante Weise dargelegt. „Dieses schöne Buch zeigt: Das Entdecken der eigenen Sexualität gleicht dem Erlernen eines Handwerks. Es dauert, bis man mit dem gegebenen Werkzeug umgehen kann. Und allzu früh fällt es einem wieder aus den Händen“, sagte Wolfgang Joop über das Werk, das zeigen will, dass „die Menschheit schon immer oversexed war“. Geboten wird eine unterhaltsame, mehr als 200-seitige Reise durch die Sexualgeschichte.
Nansen & Piccard: Zehntausend Jahre Sex. Ecowin, 208 Seiten, 19,95 Euro.
Welche Bücher heilen können
Liebeskummer, Ängste oder Sinnsuche – nicht selten geben Bücher genau die passende Antwort. Doch welche sind die richtigen, um Lebenskrisen zu bewältigen? Damit beschäftigt sich die noch recht junge Therapieform Bibliotherapie. Sie setzt dort an, wo „die klassische Psychotherapie an ihre Grenzen stößt“, erklärt der Psychologe Norman Schmid in seinem Buch „Auf der Couch mit Doktor Buch“. Die Literaturliste reicht von Klassikern wie „Siddhartha“ von Herman Hesse über „Fight Club“ von Cuck Palahniuk bis zum Jugendbuchbestseller „Tschick“ von Wolfgang Herrndorf. Durch die therapeutische Herangehensweise entdeckt man selbst in Büchern, die man schon oft gelesen hat, völlig neue Aspekte.
Norman Schmid: Auf der Couch mit Doktor Buch. Maudrich, 245 Seiten, 22,50 Euro.
Kochen mit Colette
Seit ihrer Kindheit sammelt die Grazerin Colette Prommer Schätze der ganz besonderen Art: Geschmackserinnerungen. Das Bratensafterl der Großmutter und die Schokoladentorte der Mutter, ein unvergesslich cremiges Risotto in Venedig und eine Steinpilzcreme, bei der sie die „Engerl singen hörte“. Wer Rezepte nicht nur gerne nachkocht, sondern auch die persönlichen Geschichten dahinter mag, kann sich in diesem Buch viele Inspirationen holen. Highlight: Bananensuppe a la Josephine Baker.
Colette Prommer: Colette kocht. Genießen mit Flair. Löwenzahn, 240 Seiten, 20,70 Euro.
Der Alltag, die Sau
Ärgerlich ist das mit den Kolumnen von Doris Knecht: Man versäumt sie viel zu oft. Deshalb werden sie zwischendurch immer wieder einmal vom Czernin-Verlag zu Sammelbänden zusammengefasst. Diesmal heißt es „Langsam, langsam, nicht so schnell!“. Erzählt werden, in erster Linie, aber nicht nur, „Geschichten vom Leben unter Teenagern“. Man nervt einander, wundert sich übereinander, freut sich aneinander. Eigentlich wäre alles super, wenn einem nicht dauernd der Alltag dreinpfuschen würde, die Sau.
Doris Knecht: Langsam, langsam, nicht so schnell! Geschichten vom Leben unter Teenagern. Czernin, 220 Seiten, 17,90 Euro.
Was ein Apfel alles kann
Wenn Österreichs Starköchin Johanna Maier ein Kochbuch schreibt, dann könnte man annehmen, dass der unbedarfte Hobbykoch schon beim Suppenrezept scheitert. Nicht so bei ihrem neuesten Buch „Meine gesunde Küche“. Denn neben durchaus bodenständigen Rezepten vermittelt sie unglaublich viel Wissen über einzelne Lebensmittel, ihre Zubereitungsarten und die Wirkung auf den Organismus. Das Buch ist ein Lexikon über heimische Pflanzen und deren Heilwirkungen. Vielleicht zu umfangreich, wenn man nur schnell Inspiration für das Mittagessen sucht, aber spannend für alle, die sich tiefer mit dem Thema Ernährung auseinandersetzen wollen.
Johanna Maier: Meine gesunde Küche. Servus, 256 Seiten, 30 Euro.

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Bach, ein Leben lang
Ein Dirigent ehrt seinen Lebenskomponisten: John Eliot Gardiner hat ein Buch über Bach geschrieben, mehr noch über seine Musik. Viel weiß man nicht über Bachs Leben, aber was es zu wissen gilt, verwebt Gardiner gekonnt mit historischen Fakten und mit Betrachtungen zu den Vokalwerken des Komponisten. Dieses Buch, in Kombination mit einer dicken CD-Box von Bachs Werken, ist mit Sicherheit ein Weihnachtsgeschenk, von dem der Beschenkte sein Leben lang profitiert.
John Eliot Gardiner: Bach. Musik für die Himmelsburg. Hanser, 735 Seiten, 35 Euro.
Gesprächsthemen abseits des Alltagstrotts
Also, es wird von einem Verlag vertrieben, man wüsste außerdem nicht, wo man es sonst empfehlen könnte, wenn nicht hier: „Aesk“ ist kein Buch, sondern eine kleine Box mit 200 Karten. Auf diesen Karten findet sich jeweils eine Frage, die Kickstarter für ein Gespräch sein kann. Das sind teils philosophische Fragen wie „Wurde Ihre Geschichte schon geschrieben und Sie müssen sie nur noch wiederfinden?“, teils recht absurde wie „Woher wissen Sie, was das Ende ist?“. Spannend mit neuen Bekannten zu „spielen“, aber auch mit dem Partner: Gesprächs- und Nachdenkthemen abseits vom Alltagstrott.
Aesk. Das Interview Ihres Lebens. 200 Fragen, die Sie sich noch nicht gestellt haben. Kong, 200 Karten in einer Box, 29 Euro.
Österreich im Netz der Agenten
Schnell einmal gerät man in Verdacht, Verschwörungstheoretiker zu sein, wenn man schon im Untertitel behauptet, dass Agenten „Österreich unterwandern“. Aber Florian Horcicka ist seit vielen Jahren Journalist und versteht sein Handwerk. Er zeichnet in seinem Buch „Im Fadenkreuz der Spione“ nach, wie es sich ergeben hat, dass Österreich auch heute noch eine Drehscheibe der internationalen Spionage ist - und er erklärt, wie Spionage auf Österreichisch funktioniert.
Florian Horcicka: Im Fadenkreuz der Spione. Wie Agenten Österreich unterwandern. Kremayr & Scheriau, 192 Seiten, 22 Euro.
Erzählen über das Schweigen der Täter
Der Schweizer Journalist Sacha Batthyany benötigt für sein Buch keinen Funken Fiktion, denn die wildesten Geschichten schreibt das Leben. Batthyany, Korrespondent der „Süddeutschen Zeitung“ in Washington, wurde mit seiner Familiengeschichte vor knapp zehn Jahren aus heiterem Himmel konfrontiert. Damals berichtete die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ über das Massaker an jüdischen Zwangsarbeitern im burgenländischen Rechnitz. Kurz vor Kriegsende 1945 kam es auf dem Familienschloss Rechnitz zur Hinrichtung von 200 Juden – sie diente zur Belustigung der Gäste. Die Familie hüllte sich über den Vorfall seit Ende des Krieges in Schweigen. Nun erzählt Batthyany von dem Massenmord - und von dem Schweigen.
Sacha Batthyany: Und was hat das mit mir zu tun? Ein Verbrechen im März 1945. Die Geschichte meiner Familie. Kiepenheuer & Witsch, 256 Seiten, 20,60 Euro.

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Hesse im Garten
Andere gärtnern einfach so dilettantisch vor sich hin, außer sie sind in Pension. Nicht so Hermann Hesse. Er hat bereits als 30-Jähriger akribisch seinen ersten Garten geplant. Was heute als große Erkenntnis verkauft wird, wusste er schon damals: „Die Beschäftigung mit Erde und Pflanzen kann der Seele eine ähnliche Entlastung und Ruhe geben wie die Meditation.“ Wundervoll kontemplativ ist auch ein neues Buch über seine Gärten: mit Texten von und über Hesse und zahlreichen Fotos.
Eva Eberwein: Der Garten von Hermann Hesse. Von der Wiederentdeckung einer verlorenen Welt. DVA, 163 Seiten, 30,90 Euro.
Alte Artikel über „Spektakuläres“
Der kleine Wiener Metroverlag macht munter weiter mit seiner lustvollen Erkundung der Stadtgeschichte. Nach den „Unglücksfällen aus dem Alten Wien“ sind es nun „Spektakuläre Nachrichten aus dem Alten Wien“. In alten Zeitungsartikeln werden die großen Erfindungen rund um die vorletzte Jahrhundertwende angepriesen - das ist witzig und lehrreich zugleich. Ebenfalls im Metroverlag ist das fast noch spannendere Buch über Wien im Jahr 1796 erschienen. Wieso 1796? Gegenfrage: Wieso nicht?
Andreas Kloner: Spektakuläre Nachrichten aus dem Alten Wien. Metroverlag, 192 Seiten, 22 Euro.
Wolfgang Franz: Wien 1796. Alltag in der pulsierenden Stadt. Metroverlag, 189 Seiten, 22 Euro.
Die Lebenslügen von Teheran
Man muss sich eben arrangieren. Das gilt überall, aber ganz besonders in einem repressiven Regime wie jenem des Iran. Doch auch in dieser Gesellschaft muss man sich nehmen, was einem zusteht. Über Menschen, die das tun, berichtet die Autorin Ramita Navai in „Stadt der Lügen“: Sie erzählt etwa die Geschichten einer Geheimprostituierten, eines Gangsters, eines Crystal-Meth-Kochs und eines Regimetreuen, der eine Geschlechtsumwandlung plant.
Ramita Navai: Stadt der Lügen. Liebe, Sex und Tod in Teheran. Kein & Aber, 287 Seiten, 22,60 Euro.
Die falschen Versprechen der digitalen Märkte
Orientierung verschaffen, das versuchen mehrere Verlage momentan mit knackigen E-Books oder, wie die Hamburger Edition, mit kleinen Büchlein zu Themen der Zeit. Philipp Staab hat sich in diesem Sinn den falschen Versprechungen des digitalen Kapitalismus gewidmet. Denn genauso, wie das Internet nur zum Teil das Wissen demokratisiert hat, hat es durch den Zugang zu internationalen Märkten nicht Gerechtigkeit auf selbigen hergestellt, eher sogar im Gegenteil - siehe die Geschäftspraktiken von Amazon, Google, Facebook und Co. Übrigens: Die Bücher, die hier empfohlen werden, kann alle auch ihr Buchhändler in der Nähe bestellen, falls er sie nicht ohnehin lagernd hat - es muss nicht immer Amazon sein.
Philipp Staab: Falsche Versprechen. Wachstum im digitalen Kapitalismus. Hamburger Edition, 136 Seiten, 12 Euro.

ORF.at/Lukas Krummholz
Die Geheimnisse von Twin Peaks
Pst, nicht verraten: Die wirklich geheimen Geheimdokumente plus jede Menge eigentlich öffentlich zugängliches Recherchematerial zu den Vorgängen in Twin Peaks liegen jetzt in Form eines wirklich schön gemachten Buches vor. Faksimiles, Fotos, Zeitungsausschnitte, mit Blaupause kopierte Akten. Wer sich da geduldig durchblättert, weiß Bescheid - und ist vor allem bestens gerüstet für die Fortsetzung.
Mark Frost: Die geheime Geschichte von Twin Peaks. Kiepenheuer & Witsch, 369 Seiten, 41,10 Euro.
Karl Kraus und das 21. Jahrhundert
Obwohl Karl Kraus selbst das Thema ist, weist Richard Schuberth mit seiner eigenen Essaykunst meisterhaft darüber hinaus. Denn ganz ohne die hinlänglich bekannte Sekundärliteratur nachzubeten, zeigt er, was Gesellschafts- und Kulturkritik heute zu leisten vermag, wenn sie nur tief genug ins Herz der Kraus’schen Kritik vorstößt - ein interessanter, radikaler und unkonventioneller Versuch, Kraus im frühen 21. Jahrhundert zu assistieren, ohne ihn zu imitieren.
Richard Schuberth: Karl Kraus. 30 und drei Anstiftungen. Klever Verlag, 250 Seiten, 22 Euro.
Über den besten Freund des Menschen
Ohne Hunde wären die Menschen nicht nur weniger gesund, sondern auch psychisch unvollständig. Warum dem so ist, legt der österreichische Verhaltensforscher Kurt Kotrschal auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse dar. Eine vergleichbare Partnerschaft ist mit keinem anderen Tier denkbar und besonders in einer zunehmend technisierten Welt unverzichtbar. Bei Kotrschal gewinnt die Redewendung vom besten Freund des Menschen eine neue Bedeutung.
Kurt Kotrschal: Hund & Mensch. Brandstätter Verlag, 272 Seiten, 24,90 Euro.
Einmal um die Welt essen
Ceviche in einem Plastikbecher in einer Holzhütte in Belize oder Macaroni and Cheese gegen die Kälte in Kanada – Jasmin Parapatits hat in ihrem Leben schon einige Orte bereist und ihre kulinarischen Mitbringsel in einem Buch gesammelt. Die kleinen Reiseberichte sind zwar persönlich, aber auch beliebig – die Rezepte jedoch fast durchwegs einfach zuzubereiten, und das mit Zutaten, die man ohne Schwierigkeiten auch in heimischen Geschäften findet.
Jasmin Parapatits: Fernweh - Heimweh - Sehnsuchtsküche. Maudrich, 199 Seiten, 23,60 Euro.

ORF.at/Lukas Krummholz
Der Weg in den Krieg
Antisemitismus, nationaler Chauvinismus, territoriale Streitigkeiten - und die Wirtschaftskrise als Funken, der das Gemenge zur Explosion brachte: Der Historiker und Karl-Renner-Biograf Walter Rauscher ergründet in seinem neuen Werk, wie Europa in den Zweiten Weltkrieg schlitterte. Als Ausgangslage für sein kompaktes und gut geschriebenes Buch nimmt er die Situation Mitteleuropas in der Zwischenkriegszeit.
Walter Rauscher: Das Scheitern Mitteleuropas 1918 - 1939. Kremayr & Scheriau, 208 Seiten, 22 Euro.
Selbstporträt einer Weltbürgerin
A. L. Kennedy gilt als eine der kompromisslosesten Schriftstellerinnen der englischsprachigen Literatur. Die 1965 geborene Friedensaktivistin denkt in ihrem jüngsten Werk über das Schreiben nach. Sie macht das mit derselben analytischen Beobachtungsgabe, die man aus ihrer Prosa kennt. Indem sie über Figurengestaltung, Inspiration für ihre Geschichten und über Lesererwartungen reflektiert, gibt sie Einblick in ihr Handwerk, und es entsteht das Selbstporträt einer Autorin als engagierter und ironischer Weltbürgerin.
A. L. Kennedy: Schreiben. Blogs & Essays. Hanser, 208 Seiten, 22,70 Euro.
Welche Abdrücke hinterließ der Mensch in der Geschichte?
Einen Überblick über mehr als drei Millionen Jahre gibt der deutsche Prähistoriker Hermann Parzinger in „Abenteuer Archäologie: Eine Reise durch die Menschheitsgeschichte“. Mit großen Fachwissen werden die einzelnen Ausgrabungen und das Besondere, das Sensationelle und Wegweisende daran auf den Punkt gebracht. Auch Illustrationen kommen in dem für den abgesteckten zeitlichen Rahmen doch recht schmalen, aber ansehlichen Band nicht zu kurz.
Hermann Parzinger: Abenteuer Archäologie: Eine Reise durch die Menschheitsgeschichte. C. H.Beck, 255 Seiten, 20,60 Euro.
Rom von unten her betrachtet
Wie ging es der Bevölkerung in Rom zum Ende des Mittelalters bis zu Beginn der Renaissance? Dieser Frage stellt sich der deutsche Historiker Arnold Esch. Wie nahm die einfache Frau, der einfache Mann die historischen Ereignisse etwa des Heiligen Jahres in der Stadt wahr, und welche Auswirkungen von wirtschaftlichen Erfolgen bis hin zu Mietpreisanstiegen hatten diese? Die Verrückung der Perspektive von den großen Ereignissen, wie sie Historiker sonst oft erforschen und erzählen, hin zum Lebensalltag der sich ob des Internationalismus der Papst-Stadt aus verschiedenen Ländern und Schichten zusammensetzenden Bevölkerung fasst ein kaum beachtetes Forschungsfeld zusammen und eröffnet eine neue Sichtweise.
Arnold Esch: Rom: Vom Mittelalter zur Renaissance. C. H.Beck, 410 Seiten, 30,80 Euro.
Die religiöse Revolution aus der Provinz
2017 jährt sich der Anschlag der 95 Thesen von Martin Luther an das Tor der Schlosskirche von Wittenberg zum 500. Mal. Doch was trieb Luther und die Gruppe der Reformatoren, die er um sich versammelte, an? Die Erneuerung des als korrupt und nur auf den eigenen Vorteil bedacht verschrienen Papsttums, die Angst um das Seelenheil der Gläubigen oder ganz weltliche politische Motive? Wie und warum diese religiöse Revolution aus der Provinz ganz Europa in Aufruhr versetzte, erklärt der evangelische Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann - mit allen ihren Konsequenzen, die bis heute noch spürbar sind.
Thomas Kaufmann: Erlöste und Verdammte: Eine Geschichte der Reformation. C. H.Beck, 508 Seiten, 27,80 Euro.

ORF.at/Lukas Krummholz
Wie die Griechen zu Griechen wurden
Mit der griechischen Frühzeit beschäftigt sich Althistoriker Klaus Bringmann sein ganzes Berufsleben lang. Nun liegt mit „Im Schatten der Paläste“ sein eloquentes Alterswerk vor - dem man ebenjene Lässigkeit der lebenslangen Beschäftigung mit dem Untersuchungsgegenstand anmerkt. Warum sind „die Griechen“ auch nach Tausenden Jahren noch so faszinierend? Von Tausenden kleinen Gemeinden hin zu autonomen Stadtstaaten erklärt Bringmann den zivilisatorischen und oft befremdlich grausamen Weg zum eigenen Selbstverständnis als Griechen in Unterscheidung etwa zu den viel mächtigeren und fortschrittlicheren Völkern und Reichen im Osten - auf die immer wieder mit Faszination, aber auch Furcht geschielt wurde. Enorm wichtig für die Entwicklung: das Meer.
Klaus Bringmann: Im Schatten der Paläste: Geschichte des frühen Griechenlands. C. H. Beck, 413 Seiten, 30,80 Euro.
Ein Blick ins Reich der antiken Götter und Kulte
Der Geschichte der vorchristlichen Religionen in der Antike widmet sich „Pantheon“ von Jörg Rüpke. So vielfältig die antiken Religionen auch waren, sie unterscheiden sich in ihren Riten und Opferritualen grundlegend von ihren Nachfolgern. Auch das Verhältnis der Menschen zu ihren Göttern war ein für das heutige Verständnis ungewöhnliches. Rüpke unternimmt eine Wanderung durch mehrere Jahrtausende. Von den riesigen Grabanlagen zu kleinen Hausaltären, von Priestern und Laien bis zu den Götter- und Kaiserkulten reicht die Reise in das Feld der antiken Religion.
Jörg Rüpke: Pantheon: Geschichte der antiken Religionen. C. H. Beck, 559 Seiten, 35 Euro.
Terror aus dem Werkzeugkasten des Revolutionärs
Die Wurzeln des modernen Terrorismus untersucht Carola Dietze und findet sich dabei nicht etwa im Nahen Osten, sondern in der Mitte des 19. Jahrhunderts in Europa, Russland und den USA - so auch der Untertitel des Buches. Wie kam es zur Herausbildung von nicht staatlicher Gewalt als politischem Instrument? Begünstigt durch die Herausbildung von Öffentlichkeit und Massenmedien wurde der Terrorimus zum Werkzeug von Revolutionären. Waren vorerst nur Herrscher und Herscherinnen Ziel von Attentaten, präsentierte sich der Terrorismus in 20. Jahrhundert mit einem ganz anderen Bild.
Carola Dietze. Die Erfindung des Terrorismus in Europa, Russland und den USA 1858-1866. Hamburger Edition HIS, 752 Seiten, 43,10 Euro.
Gandhi im Kinderzimmer
David, 14 Jahre, bleibt tagelang fort, ohne seinen Eltern Bescheid zu sagen. Als er endlich wieder einmal daheim ist, setzen sich die Eltern schweigend in sein Zimmer: ein Sitzstreik im Geiste Gandhis, der ohne Vorwürfe und Drohungen Präsenz demonstrieren soll. Haim Omer und Philip Streit verbinden in „Neue Autorität - Das Geheimnis starker Eltern“ Fallbeispiele aus der eigenen Praxis mit theoretischen Erläuterungen. Gelegentlich fragt man sich schon, wie die Vorschläge der beiden in der Praxis funktionieren sollen. Aber wer weiß? Vielleicht ist allein der Überraschungseffekt beim trotzenden Nachwuchs Trumpf.
Haim Omer/Philip Streit: Neue Autorität - Das Geheimnis starker Eltern. Vandenhoeck & Ruprecht, 145 Seiten, 15,50 Euro.
Peter Bauer, Romana Beer, Gabriele Greiner, Johanna Grillmayer, Simon Hadler, Sonia Neufeld, Philip Pfleger, Peter Prantner, Armin Sattler, Guido Tiefenthaler, alle ORF.at; Maya McKechneay, für ORF.at
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