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„Schreiben ist lernbar, Humor nicht“

Auf der einen Seite hundert Schreibwillige, die Sibylle Berg aus den Medien kennen. Auf der anderen Seite die Autorin, die nichts weiß über die Poster, die sich hinter Pseudonymen wie schreibhals, wurlitzer und trivialpoet verbergen. ORF.at wollte von Berg wissen, wie es sich anfühlt, als „Professorin“ eine unsichtbare Klasse zu leiten.

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Bei Berg liegt das Tragische immer nah an der Komik: „Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot", hieß der Roman, mit dem sie 1997 bekannt wurde. Und das Totlachen meinte sie darin durchaus ernst. Jetzt lud die Züricher Autorin zum Onlineschreibseminar an die Wiener Schule für Dichtung. Bis zum 17. November konnte jeder einen Text auf der Seite der Schule posten. Das Thema formulierte Berg in webaffiner Kleinschreibung so: „was bedeutet das wort böse für einen serienmörder? was meint es für sie? gibt es heute mehr boshaftigkeit in der welt, oder scheint es uns nur so, wenn wir kommentare im netz lesen?“ Überschrieben war das Projekt mit: „Hitler hatte Angst vor Katzen“.

Sibylle Berg bei einer Lesung

picturedesk.com/EPA/Britta Pedersen

Sibylle Berg bei einer Lesung 2013 in Berlin

Das „Böse“ sprachlich spürbar machen

„Dieser Titel vermittelt eine Idee davon, wie absurd der Begriff des Bösen eigentlich ist“, erklärt die Autorin im E-Mail-Interview mit ORF.at. „Es ist erstmal nur ein Wort, seine Bedeutung bestimmen am Ende wir, die sprechen. Die Beiträge der Netzklasse haben mir gezeigt, dass die Verführung durch so ein einfaches Wort wie ‚Böse‘ groß ist.“ Viele Beiträge hätten mit Gegensätzen gearbeitet: Gut/Böse, Schwarz/Weiß. Besser hätten Berg jene Kurztexte gefallen, in denen das Wort Böse gar nicht vorgekommen, dafür aber im Inhalt spürbar geworden sei.

600 Zeichen hatten die Schreibschüler Platz. Das sind weniger, als der erste Absatz dieses Artikels umfasst: Gar nicht so leicht, in dieser Kürze ein Bild entstehen zu lassen. Aber Berg liebt die knappe, pointierte Aussage. Mitmachen konnte jeder kostenlos – die Autorin versprach, zumindest die ersten 120 Einsendungen persönlich zu kommentieren.

„Bis auf den letzten Satz könnte alles weg“

Der erste Beitrag mit dem Titel „moby-dick fleischkonserve“ wirkt wie eine Paraphrase auf die Wiener Popsängerin Gustav: „rettet die wale. schlachtet sie ab. aber! – ab!“, endet er. Frau Berg ist irritiert: „ein geheimnis? ein code? der widerspruch?“, wundert sie sich in ihrem Kommentar. Und auch die folgenden Einsendungen verlangen Diplomatie in der Beurteilung: „ich verstehe die schwierigkeit auf so wenigen zeichen einen guten text zu bewerkstelligen“, kommentiert sie. Oder: „Nicht versuchen die ganze Welt zu umrunden. ich würde sagen: bis auf den letzten satz könnte alles weg.“

Screenshot eines Beitrags auf sfd.at

picturedesk.com/EPA/Britta Pedersen

Manchmal stößt aber auch die Diplomatie an Grenzen: „würde ich wütend werden, dann wüsste ich zumindest, dass sie das thema nicht verfehlt haben. leider bin ich ratlos. auch ihre perspektive als frau mitbedenkend ... “, postet Berg unter einen Beitrag, der offenbar versucht, sexistische Werbetafeln am Rande der Autobahn zu persiflieren: „Da war eine nackte Frau. Splitternackt mit Rundungen, die selbst ein Fußball nicht schöner hätte zustande bringen können. Nimm mich, jetzt und von hinten, forderte sie alle Autofahrer auf. Grölend stießen wir unsere Bierflaschen zusammen, kleine Schaumfontänen tropften auf die Sitze.“

Respekt vor der Mühe

„In der Beurteilung der Texte kann ich nicht so streng sein, wie ich es gern wäre“, erklärt Berg, die sich gerade als Feministin normalerweise kein Blatt vor den Mund nimmt. Sie gehe aber davon aus, dass sich alle Teilnehmer Mühe mit ihren Beiträgen gemacht hätten, und davor habe sie Respekt. „Ich hoffe, ich habe freundlich und konstruktiv kommentiert.“ Interessanterweise hält Berg das Schreiben selbst übrigens für ein erlernbares Handwerk. Beobachten, Denken, Haltung und Humor seien dagegen Eigenschaften, die man von Natur aus mitbringen müsse.

Ein sehr schön pointierter Beitrag von einer (oder einem?) gewissen Haike begibt sich unter dem harmlosen Titel „Abendland“ in die Verteidigungshaltung der Kriegsgeneration: „Ja, es gab Exzesse. Jetzt weiß man das. Wir hatten ja keine Vorstellung. Wir dachten, jetzt müssen sie arbeiten, mal etwas arbeiten, die Damen und Herren. Und über Zahlen lässt sich streiten, wissen Sie. (...) Was die Juden unserem Volk alles angetan haben. Was denken Sie denn. Und dann heißt es immer gleich: Nazi.“ - „Sehr lustig“, kommentiert Berg, sichtlich angetan von der Schlichtheit des Textes. Gruselig auf den Punkt gebracht, könnte man auch sagen - denn wer hätte diese tatsächlich bösen Beschwichtigungssätze nicht schon hundertmal gehört?

Locker zu schreiben ist harte Arbeit

Wenn ein Text funktioniert, funktioniert er. Dann reichen auch 600 Zeichen, um ein vertrautes Unbehagen aufzurufen. Aber wie ist das eigentlich bei „Frau Professor“ Berg selbst, deren Texte immer so direkt und locker klingen wie das beiläufig gesprochene Wort. Fließen ihre Kolumnen (z. B. im „Spiegel“), ihre Theaterstücke, Hörspiele, Romane und Facebook-Posts wirklich einfach so vom Kopf in die Tastatur?

„Traurige Wahrheit“, gesteht Berg: „Was so locker klingt in Büchern oder Stücken, soll locker klingen, es soll den ZuschauerInnen oder LeserInnen den direkten Zugang zum Gedanken hinter den Worten ermöglichen. In Wirklichkeit korrigiere ich bis zu zehn Mal, streiche alles Gefällige, alles Verschwurbelte, Sprachverliebte.“ Zur Beruhigung also, für alle Schreibenden: Es ist noch keine Bestsellerautorin vom Himmel gefallen.

Maya McKechneay, für ORF.at

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