Üppiges und Blankpoliertes
Unter dem Titel „Seeking Beauty“ macht sich die Vienna Art Week in diesem Jahr auf die Suche nach der Schönheit. Geboten werden Besuchern zahlreiche Ausstellungseröffnungen, Einblicke in die Ateliers diverser Künstler, aber auch die Diskussion über den schwierigen Begriff Schönheit.
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Zuerst Kanada, dann Japan: Will man dem Boulevard vertrauen, dann ist dort in den jeweiligen Underground-Partyszenen eine irritierende Körpermodifikation im Trend - der Bagelhead. Der Name rührt daher, dass sich die Gäste Kochsalz in die Stirn injizieren lassen und die Beule durch Fingerdruck in der Mitte verformen – die Schwellung erinnert optisch eben an einen Bagel. Für bis zu 24 Stunden hält die Intervention an, dann ist der Spuk vorbei.
„Performativer Interviewmarathon“
Es ist ein Phänomen, das ORLAN, die berühmte französische Body-Art-Künstlerin brennend interessiert - und ein Phänomen, das sie auch bei ihrer Lecture Performance beim „Performativen Interviewmarathon“ am Dienstag im Wiener Museum für angewandte Kunst (MAK) zum Thema machte. Die Veranstaltung stand – wie insgesamt die Art Week – unter dem Motto „Seeking Beauty“, und so lag die Einladung ORLANs auf der Hand.

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ORLAN bei ihrem Auftritt in Wien
Nicht nur wegen ihres Interesses am Bagelhead-Trend, den die Künstlerin als subversive Kritik am idealisierten Körper ansieht. Die mittlerweile 69-Jährige war in den frühen 90ern weltberühmt geworden, als sie ihren Körper nach kunsthistorischen Vorbildern modellieren ließ. Schönheits-OPs für eine Stirn wie Mona Lisa, ein Kinn wie Botticellis Venus – ORLAN war die Erste, die die plastische Chirurgie künstlerisch verwertete.
„Wir sollten das Fleisch mehr lieben“
„Ich liebe mein Gesicht eigentlich sehr und habe die OPs nicht gemacht, weil ich Lust darauf hatte. Ich wollte vielmehr die westliche Kultur hinterfragen“, sagte ORLAN im Interview mit ORF.at. Mit ihrer hochtoupierten Frisur und den mit Glitzer verzierten Beulen an den Schläfen – ORLAN ließ sich dort Wangenimplantate einsetzen – ist die Künstlerin nicht nur eine Exzentrikerin, sondern auch eine scharfe Kritikerin etablierter Schönheitsideale. Die dominante Ideologie setze besonders den weiblichen Körper massiv unter Druck: „Wir könnten und sollten das Fleisch mehr lieben.“
Ausstellungshinweis
Die Vienna Art Week läuft noch bis 20. November 2016 an unterschiedlichen Schauplätzen in Wien.
Jenseits aller Debatten über körperfeindliche Schönheitsideale plädierte die deutsch-österreichische Philosophin und Künstlerin Elisabeth von Samsonow, die ebenfalls beim Interviewmarathon auftrat, für den Wert der Schönheit an und für sich: „Wenn man etwas schön findet, ist man erregt, fühlt sich angezogen, ist geöffnet. Das hat affektiven Wert, der nicht abzuschaffen ist. Es gibt ein Recht auf Überwältigung, ein Recht auf Gänsehaut.“ Nur, wodurch wir erregt und angezogen sind, so setzt Samsonow nach, gilt es zu hinterfragen – denn das ist, wie gesagt, gar nicht ideologiefrei.
Schönheitsbilder im Wandel der Kunstgeschichte
Das thematisiert die Vienna Art Week auch mit einem Blick auf die Kunstgeschichte – bei Führungen im Kunsthistorischen Museum (KHM) oder bei einem Talk in der Albertina. Da geht es dann auch um den Wandel von Schönheitsvorstellungen, von der Venus von Willendorf und den sinnlich üppigen Körperbildern von Peter Paul Rubens bis hin zu Kasimir Malewitschs „Rotes Quadrat“. Die Kunst jedenfalls stand über Jahrhunderte unter der Leitidee des Schönen, ja, wurde gar mit der Schönheit selbst gleichgesetzt, bis sie sich im späten 18. Jahrhundert anstelle des Anmutigen vor allem der Wahrheit und Authentizität zuwandte.

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Elisabeth von Samsonow lud zur „Bilderhauerin-Performance mit Happy End“
Wo sie heute steht – ob sie inzwischen wieder ein Stück zur Schönheit zurückgekehrt ist –, darüber ist man sich im Vorfeld der Vienna Art Week offensichtlich nicht ganz einig: Schönheit, so sagte Robert Punkendorfer, der künstlerische Leiter der Vienna Art Week, sei in der Gegenwartskunst noch immer „fast ein Tabu“. ORLAN wiederum sieht die „sehr schönen, sehr dekorativen Arbeiten“ den Kunstmarkt bestimmen.
In diese Kerbe schlägt auch Kunsthallen-Kuratorin Anne Faucheret: Sie verortet im Onlinejournal der Vienna Art Week ein Wiederauftauchen des Schönen im Kunstdiskurs – im 20. Jahrhundert sei es beinahe verschwunden gewesen. Berühmtestes Beispiel für diese Entwicklung: die glänzenden, makellos blankpolierten Objekte von Jeff Koons, die ganz bewusst mit der glatten Werbeästhetik spielen.
Kunst als legitimes Beruhigungsmittel
Jenseits des kunstwissenschaftlichen Diskurses gibt es bei der Vienna Art Week aber auch tatsächlich Kunst zu sehen - beim Open Studio Day in rund 70 Künstlerateliers und bei einer Reihe von Ausstellungseröffnungen: Francis Alys aus Belgien und der US-Amerikaner Avery Singer in der Secession, die Gruppenausstellung „Weiterleben“ an der Akademie der bildenden Künste und die erste große Retrospektive des Fotografen Peter Dressler im Kunst Haus Wien.

ORLAN
ORLANS Kunstwerk „Pekin Opera Facial Design n°2“ (2014)
Versöhnlich gegenüber der aktuellen Schönheitssuche in der Kunst zeigte sich übrigens von Samsonow: „Hat Kunst nicht die Aufgabe, Leute zu beruhigen, durch Schönheit zu balsamieren?“, fragte sie und stellte fest: „Wir brauchen auch die Beruhigung, aber wir brauchen nicht die Narkose.“
Paula Pfoser, für ORF.at
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