Themenüberblick

Weltverachtung im Superlativ

Freunde der einfachen Botschaft waren Ja, Panik noch nie. „Amore“-Rufe überlassen die Mitglieder der nach Berlin übersiedelten, österreichischen Band lieber anderen. In ihrem ebenso schrulligen wie unterhaltsamen E-Mail-Roman „Futur II“ begeben sich Andreas Spechtl, Laura Landergott, Stefan Pabst und Sebastian Janata nun als fantastische Romanhelden auf die Suche nach dem verlorengegangenen politischen Anspruch des Pop.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

„Völlig unvermittelt sprang Stefan plötzlich auf und sah mich an. Ich konnte die vielen offenen Stellen in seinem Gesicht sehen, aus seinen Augen lachte der Wahnsinn. Er hielt einen goldenen Uhu in seinen verkrampften Händen.“ (Tag 18, Janata an Spechtl)

Eindrücke zur "Ja, Panik"-Buchvorstellung

ORF.at/Maya McKechneay

Ja, Panik bei Lesung und Diashow in der Wiener Garage X

Nein, eine klassische Bandbiografie ist „Futur II“, das erste Buch der österreichischen Diskurspopband Ja, Panik, sicher nicht. Vielmehr gebärden sich die 271 Seiten, die zum zehnjährigen Bandjubiläum im Berliner Verbrecherverlag erschienen sind, als surreales Manifest, in dem manches dokumentarisch und vieles ausgedacht ist - möglicherweise unter dem Einfluss illegaler Substanzen: „Vielleicht ist doch Heroin die Lösung für die Probleme dieser Welt“, formuliert Frontmann Spechtl an einer Stelle, und wer wüsste schon zu sagen, ob das nur eine Pose ist, in diesem labyrinthischen Spiegelkabinett der popkulturellen Selbstreflektion.

Spechtl macht den Thomas Bernhard

„Futur II“ beginnt mit einem Mission-Statement. Man will die Geschichte der Band aufarbeiten und dabei einen Monat lang Tag für Tag etwas schreiben: die zehn Jahre der Band gespiegelt in einem Monat ziemlich unglamourösen Popstaralltags. Spechtl, Sänger und Gitarrist der Band, hat ja schon in einem FM4-Tourtagebuch 2010 bewiesen, dass ihm diese lose, essayistische Tagebuchform liegt. In „Futur II“ übernimmt er nun die längeren Prosapassagen, in denen er wortgewandt den Kulturbetrieb reflektiert, den eigenen Willen zum Exzess und die prekären Arbeitsbedingungen, die die Bandmitglieder nach und nach zermürben.

Eindrücke zur "Ja, Panik"-Buchvorstellung

ORF.at/Maya McKechneay

Laura Landergott: Gitarre, Keyboard, Gesang - und Interviewerin für das Buch

Lustig lesen sich Spechtls Beschwerden über die neue Heimat Berlin, wo man die burgenländische Band zu deren Leidwesen ausschließlich als Teil des aktuellen Österreich-Hypes wahrnimmt. Ist es Zufall oder Versehen, dass gerade die superlativischen Berlin-Hasstiraden Spechtls klingen wie reinster Thomas Bernhard?

Buchhinweis

Die Gruppe Ja, Panik: „Futur II“. Verbrecher Verlag, 272 Seiten, 16 Euro.

„Es versammelt sich in Berlin, wie in Deutschland sowieso, gerade alles Verachtenswerte der Welt. Nirgendwo zeigt die Verkommenheit dieser Kugel so sehr ihr wahres Gesicht, wie in den aufgehübschten und totrenovierten Wohlfühlzonen zwischen Prenzlauer Berg und Neukölln. Ein Flecken Erde, der nur die opportunistischsten, angepasstesten und uninteressantesten Menschen aus allen Ecken der Welt anzieht. Und außerdem nur die allerschlechtesten und mediokersten Künstler*innen.“

Die Plattenhülle als Notfallklo

Schlagzeuger Janata und Bassist Pabst sind in „Futur II“ unterdessen in Form von E-Mails präsent: Pabst vergräbt sich in einem fiktiven Bandarchiv, wo er allmählich dem Wahnsinn anheimfällt. Und Janata meldet sich als herumjettender Dandy aus immer exotischeren Teilen der Welt. Landergott, im April 2014 als Ersatz für Keyboarder Christian Treppo zur Band gestoßen, reist derweil zu alten Wegbegleitern, um sie zu interviewen.

Eindrücke zur "Ja, Panik"-Buchvorstellung

ORF.at/Maya McKechneay

Ex-Gitarrist Thomas Schleicher erzählt vom Nacktauftritt bei der Popkomm

„Futur II“ ist zugleich dokumentarische Collage und fantastischer Roman, in dessen Fortgang die realen Bandmitglieder zu surrealen Zerrbildern ihrer selbst zerrinnen: Dandy Janata wird zu Narziss, der verliebt den eigenen Seitenscheitel im spiegelnden Fußboden des Wiener Skylinks betrachtet. Der irre gewordene Bassist verrichtet seine Notdurft in leeren Plattenhüllen. Und Sänger Spechtl verteilt als Vogelmann wirre Zettelbotschaften auf den Straßen Berlins.

Auf der Jagd nach der politischen Haltung

Diese Masse bizarrer Einfälle und deren auf den ersten Blick chaotische Struktur - E-Mails im Wechsel mit Tagebucheintragungen, Interviews und Auftrittsstatistiken - sind bei näherer Betrachtung allerdings exakt angeordnet: Der Erzählstrom von „Futur II“ geht vom Alltag zum Rausch. Gegenstände bekommen ein Eigenleben, Räume beginnen zu leben, wie in einem Roman von William S. Burroughs. Die Musiker agieren unterdessen als Märchenhelden in ihrer eigenen Fiktion: Wie die Beatles auf „Magical Mystery Tour“ und im Land der gelben Unterseeboote, nur dass Ja, Panik keine Blaumiesen jagen, sondern die verloren gegangene, politische Haltung in der Kunst.

Eindrücke zur "Ja, Panik"-Buchvorstellung

ORF.at/Maya McKechneay

Auftritt als schräger Vogel: Ex-Keyborder Christian Treppo

Bei der Buchpräsentation in der Wiener Garage X stießen die mittlerweile ausgestiegenen Bandmitglieder, Thomas Schleicher und Christian Treppo, zu den vier in Berlin lebenden und arbeitenden Ja, Paniks. Treppo eröffnete den Abend in einem Adlerkostüm mit Superheldencape. Unter einer Gummimaske skandierte er den Text des neuen Songs „Futur II“: „Ich geb’s zu, es interessiert mich sehr, darüber zu reden, wovon die anderen Leute, wovon die ganzen anderen Leute hier so leben.“ Auch live gilt: Sozialkritik trifft absurde Performance.

Demonstrative Langeweile bei der Lesung

Der Rest der Band, vor allem Frontmann Spechtl, wirkte abgekämpft an diesem Abend. Es wurde Kette geraucht und weißer Spritzer getrunken. Im Tonfall demonstrierte Spechtl eine Weltverachtung und Abgeklärtheit, die bei einem Menschen Anfang 30 schnell aufgesetzt, ja sogar blasiert rüberkommen kann. Aber vielleicht gibt er sich auch einfach keine Mühe mit dem Lesen, weil er es satt hat, etwas darzustellen. Jede Pose, jeder verschlafene Blick wird - so wie in diesem Text - interpretiert. Denn Berühmtsein, das heißt auch: Held sein in einer Erzählung, die man selbst schon lange nicht mehr kontrolliert.

Maya McKechneay, für ORF.at

Links: