„Politik ist nicht das Einzige“
Am 4. Dezember findet in Italien ein Referendum über eine tiefgreifende Verfassungsreform statt. Der italienische Premier Matteo Renzi kündigte Mitte November erneut an, dass er zurücktreten könnte, sollte das Nein bei der Volksbefragung siegen. „Ich kann nicht im Sumpf stecken bleiben. Man bleibt an der Macht, wenn man was ändern kann“, sagte Renzi in einer RAI-Talkshow.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Auf die Frage des Moderators Fabio Fazio, ob er zurücktreten würde, sollte er mit seiner Reform scheitern, antwortete der seit 2014 amtierende Renzi: „Politik ist nicht das Einzige, was im Leben zählt.“ Renzi hatte bereits zuvor das anstehende Referendum immer wieder zur Schicksalswahl erklärt - ein möglicher Rücktritt wurde von Italiens Premier aber immer wieder relativiert. Es gehe nicht um seine Person, sondern um die Sache, hatte Renzi etwa erst vor wenigen Monaten gesagt.
Mit der größten Reform seit Jahrzehnten soll unter anderem das Zweikammernsystem, das aus zwei gleichberechtigten und blockadeanfälligen Parlamentskammern besteht, schlanker und effektiver werden, der Senat wird quasi abgeschafft. Die auf dem Wahlzettel gestellte Frage umfasst zudem eine Reduzierung der Zahl der Abgeordneten, die „Eindämmung der Kosten für das Funktionieren der Institutionen“, die Abschaffung des CNEL (Nationalrat für Wirtschaft und Arbeit) und die „Überarbeitung des V. Titels des II. Teils der Verfassung“.
„Warum sollte man Nein sagen?“
„Wir stehen an einem Scheideweg. Diese Reform ist ein Zug, der erst in 20 Jahren wieder vorbeifährt“, sagte Renzi. „Wir haben uns wahnsinnig angestrengt, um eine Reform zu verabschieden, die Italien vereinfacht und modernisiert. Uns steht eine Zukunft bevor, in der Italien wieder eine Protagonistenrolle spielen kann. Warum sollte man Nein sagen?“
Am Freitag warnte Renzi schließlich auch vor Panikmache und rief zu milderen Tönen auf. Zuletzt wurden die Töne in beiden Lagern immer schriller. Unterdessen mehren sich Stimmen, die das politische Schicksal Renzis nicht vom Ausgang des Referendums abhängig sehen - darunter auch Ex-Premier Silvio Berlusconi.
Reform soll mehr Stabilität schaffen
Laut Regierung soll die Verfassungsreform mehr Stabilität schaffen, weil Italien innerhalb von rund 70 Jahren 63 Regierungen hatte. Mit der Reform soll die Macht des Senats beschnitten werden. Die Volksvertreter sollen Regierungen nicht mehr stürzen und Gesetzesvorhaben dauerhaft blockieren können. Kritiker fürchten dagegen um die Gewaltenteilung.
Vom Referendumsergebnis hängt Renzis politische Zukunft ab. Ein mehrheitliches „Nein“ der Italiener wäre eine schwere Niederlage für den seit zweieinhalb Jahren amtierenden Ministerpräsidenten. Laut Umfragen würde das Referendum derzeit knapp mit „Nein“ ausgehen. Viele Wahlberechtigte sind aber noch unentschlossen.
Lega-Nord-Chef will als Premier kandidieren
Die Opposition hofft auf einen Sturz Renzis. „Die Zeit des Zögerns, der Zweifel und der Ängste ist vorbei. Es fehlt uns nicht an Mut und an Ideen. Wir haben keine Angst, heute beginnt ein langer Weg, um an die Regierung zu gelangen“, sagte Lega-Nord-Chef Matteo Salvini, der die Großdemonstration der Oppositionskräfte anführte. Sollte Renzis Verfassungsreform am Referendum scheitern, will Salvini an der Spitze einer Mitte-rechts-Allianz für das Amt des Regierungschefs kandidieren.

APA/AFP/Giuseppe Cacace
Matteo Salvini ist seit 2013 Vorsitzender der rechtspopulistischen Lega Nord
Ausschreitungen bei Protesten
In den vergangenen Wochen gingen immer wieder Anhänger vor allem rechtsgerichteter Parteien gegen die Verfassungsreform auf die Straße. Dabei kam es auch zu Krawallen wie Anfang November etwa in Florenz.

APA/AP/ANSA/Maurizio Degl'Innocenti
Eine Demonstration Anfang November in Florenz endete in Gewalt
Prominente Befürworter und Gegner
Die Verfechter des „Ja“ und des „Nein“ setzen auf bekannte Gesichter aus Politik, Kultur, Sport und Showbiz, um für ihr Lager zu werben. Regisseur und Oscar-Preisträger Roberto Benigni engagiert sich schon seit Wochen für die Reform.
Dieses Referendum biete den Italienern eine einmalige Gelegenheit zur Verfassungsrevision, auf die das Land schon seit zu vielen Jahren warte, so Benigni. Diese Chance dürfe nicht verschwendet werden. Zum Komitee für das „Nein“ zur Reform gehörte der Mitte Oktober verstorbene Literaturnobelpreisträger Dario Fo.
Steigende Skepsis im Regierungslager
Angesichts ernüchternder Umfragewerte steigt indes innerhalb der Regierung die Sorge, dass es zu einer Niederlage kommen könnte. „Wenn das Nein gewinnt, muss die Regierung einsehen, dass ein wichtiger Vorschlag zur Vereinfachung und zur Modernisierung des Landes nicht angenommen wird“, sagte etwa Verkehrsminister Graziano Delrio.
Auch Reformenministerin Maria Elena Boschi schließt eine Niederlage nicht mehr aus und sagte rund eine Woche vor dem Referendum: „Ich bin überzeugt, dass wir am 4. Dezember gewinnen, doch jeder muss sich für das Ja mit einer Wahlkampagne im eigenen Kreis engagieren.“
Links: