Zwei Kandidaten und eine ratlose Mehrheit
Warum hat Donald Trump die US-Wahl gewonnen? Mit seinem Anti-Establishment-Habitus wird sein Erfolg erklärt – und damit, dass ein Trend, der in Europa bemerkbar sei, nun auch die USA erreicht habe. Doch ein paar andere Faktoren begründen mit, warum am Ende Trump und nicht die lange favorisierte Politikerin Hillary Clinton das Rennen gemacht hat.
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Es wäre nach 1945 erst das zweite Mal gewesen, dass eine Partei drei Amtszeiten hintereinander den Präsidenten bzw. die Präsidentin stellt, hätte Hillary Clinton den Sieg eingefahren. 1981 bis 1993 waren Republikaner an der Macht (Ronald Reagan - für zwei Amtszeiten - sowie George Bush sen. eine Periode lang). Zumindest vor diesen statistischen Werten erweisen sich die Vereinigten Staaten als wertkonservativ.
Wahltagsstudie mit überraschenden Ergebnissen
Aufhorchen durfte man zum Ausgang dieser Wahl eigentlich schon knapp nach Mitternacht (MEZ), als die Agentur Reuters und das Institut Ipsos eine große Umfrage präsentierten, die bei den meisten Beobachtern die Alarmglocken hätte läuten lassen können. Ein Gros der 10.000 Befragten fühlte sich vom politischen System einfach nicht mehr repräsentiert. 75 Prozent gaben an, dass sie sich eine starke Führung für das Land wünschten.
Und: dass das Land wieder aus der Hand der Wohlhabenden an die einfachen Leute zurückgegeben werde. „Ein Großteil der Befragten“, so die Veröffentlichung der Umfrage, identifiziere sich nicht mehr damit, „was aus Amerika geworden sei.“ Allerdings fühlte sich auch die Mehrheit der Befragten weder von Clintons noch von Trumps Wahlkampfstil angesprochen.
Überwältigende Mehrheit dachte an Clinton-Sieg
Zwar waren sich fast 90 Prozent sicher, dass Clinton gute Chancen gehabt hätte, Trump zu besiegen und die erste Präsidentin im Weißen Haus zu werden. Allerdings war der Anteil all jener, die sich erst in der allerletzten Minute entschieden haben, wen sie wählen, am allerhöchsten bei einer US-Wahl.
Der Reuters/Ipsos-Umfrage zufolge haben sich 13 Prozent der Wähler erst in der letzten Woche des Wahlkampfs für einen Kandidaten entschieden. Im Jahr 2012 waren es neun Prozent. Wahlforscher hatten auf die hohe Zahl von Unentschlossenen verwiesen.
Wo hat Clinton ihr Ziel nicht erreicht?
Viele Kommentatoren werden sich den Kampf zwischen Trump und Clinton um die weißen Stimmen anschauen. Allerdings: Clinton schnitt im Bereich der Hispanics weniger gut ab als erwartet. Auch bei den schwarzen Stimmen lag Clinton doch deutlich hinter der Performance von Präsident Barack Obama zurück. Clinton holte „nur“ 88 Prozent der afroamerikanischen Stimmen - im Gegensatz zu den 93 Prozent von Obama 2012. Bei den Latinos erzielte Clinton 65 Prozent gegenüber 71 Prozent von Obama vor vier Jahren. Dabei hatten alle Beobachter Clinton einen höheren Latino-Bonus gegenüber Obama bescheinigt.
Auffallend ist der Gender-Gap in der Wahlentscheidung. Bei den Frauen schlug Clinton laut Analyse von ABC News Trump um zwölf Prozent, bei den Männern gewann Trump gegen Clinton mit diesem Abstand. Allerdings: In der Gruppe all jener, die nicht im College waren, holte Trump auch die Mehrheit der weiblichen Stimmen deutlich. Und er hatte auch die Mehrheit der Männerstimmen mit College-Abschluss. Nur bei den Frauen mit College-Abschluss war Clinton die klare Gewinnerin.
„Unmögliche All-inclusive-Koalition“
Geht man nach dem slowenischen Philosophen und Politprovokateur Slavoj Zizek, gibt es für den Ausgang dieser Wahl ein klares Szenario. Clinton sei vollkommen falsch positioniert gewesen. „Hillary hat eine unmögliche All-inclusive-Koalition betreut“, so Zizek in einem Videointerview fünf Tage vor der Wahl. Bernie Sanders’ Wählerschaft auf ihre Seite zu ziehen sei im Grunde so absurd gewesen, als würde „Occupy Wallstreet“ Lehman Brothers ins eigene Team integrieren.
Gegen all diese unmöglich zu erfüllenden Ansprüche sei mit Trump jemand ins Feld gezogen, der jeden politischen Konsens zerstört habe: „In jeder Gesellschaft gibt es ein Netz ungeschriebener Gesetze darüber, wie Politik funktioniert und wie man Konsens aufbaut“; diesen Konsens habe Trump zerstört.
Die „New York Times“ brachte das Ergebnis der Wahl in der Nacht auf Mittwoch so auf den Punkt: „Trump war stark angeschlagen durch sein Benehmen, doch der Schaden wäre viel größer gewesen, wenn die Menschen seiner Gegnerin vertraut hätten. Weil Donald Trumps Mängel so groß sind, haben europäische Beobachter unterschätzt, wie viele Amerikaner der Ansicht sind, dass Hillary Clintons Mängel mindestens ebenso groß sind. Das mag für viele auf dieser Seite des Atlantiks eine außerordentliche Einschätzung sein. Doch wenn man das nicht begreift, ist es unmöglich, die US-Wahl von 2016 zu verstehen."
Gerald Heidegger, ORF.at
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