Provinz- und Bezirksvorsitzende
In der Türkei sind am Samstag neun weitere Funktionäre der prokurdischen Oppositionspartei HDP festgenommen worden. Es handle sich unter anderem um Provinz- und Bezirksvorsitzende der Partei in der südöstlichen Region Adana, sagte ein HDP-Funktionär der Nachrichtenagentur Reuters.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Bereits in der Nacht auf Freitag hatte die türkische Polizei bei koordinierten nächtlichen Razzien die Chefs der HDP, Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag, festgenommen. Auch mehrere weitere HDP-Abgeordnete wurden in Gewahrsam genommen. Die Zugriffe seien im Rahmen einer „antiterroristischen Operation“ erfolgt, berichtete Anadolu zu den Festnahmen der HDP-Politiker.
Insgesamt wurden in der Nacht auf Freitag zwölf Abgeordnete festgenommen, wie aus einer Liste hervorging, die das Innenministerium sowie die Partei selbst herausgaben. Demirtas und Yüksekdag wird Propaganda zugunsten der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) vorgeworfen. Laut Anadolu muss sich Demirtas zudem wegen Anstachelung zur Gewalt bei Protesten im Oktober 2014 verantworten.
Demonstration in Istanbul aufgelöst
Spontane Proteste von Hunderten Demonstranten wurden am Samstagnachmittag von der Polizei mit Tränengas und Wasserwerfern auseinandergetrieben. Wie mehrere AFP-Reporter berichteten, demonstrierte die Menge vor einer Moschee im Bezirk Sisli im europäischen Teil von Istanbul. Viele betitelten den Staat in Sprechchören als „faschistisch“ und riefen „Wir werden nicht schweigen“.
Dieses Element ist nicht mehr verfügbar
Demonstration von Polizei aufgelöst
Die türkische Polizei setzte Wasserwerfer und Tränengas gegen Demonstranten in Istanbul ein.
Auch international kam es zu Demonstrationen, so auch in Österreich. In Graz gingen rund 200 Menschen auf die Straße - mehr dazu in steiermark.ORF.at. In Köln zogen rund 6.500 Kurden durch die Innenstadt und riefen Parolen wie „Terrorist Erdogan“ und „Erdogan Faschist“. In Stuttgart beteiligten sich rund 2.000 Menschen - und damit weit mehr als erwartet. In Bremen gingen 1.200 Menschen und in Karlsruhe rund 250 Demonstranten auf die Straße.
U-Haft gegen „Cumhuriyet“-Journalisten erlassen
Zudem gehen die Behörden massiv gegen die oppositionelle Presse vor. Am Samstag wurden nach einem Bericht des türkischen Senders NTV Haftbefehle gegen den Chefredakteur der regierungskritischen Zeitung „Cumhuriyet“ und acht führende Mitarbeiter erlassen, die am Montag festgenommen worden waren. Das Vorgehen der türkischen Regierung gegen kritische Medien und Oppositionspolitiker hat international Empörung und Protest ausgelöst.

APA/AFP/Yasin Akgul
Dutzende Demonstranten protestierten gegen die Festnahme der Journalisten
„Vor der Tür meines Hauses stehen Polizisten“
Auch die Parteizentrale der HDP in Ankara wurde am Freitag durchsucht. Die HDP ist mit 59 Sitzen die drittgrößte Partei im Parlament und die größte politische Vertretung der Kurden. Demirtas wurde aus seinem Haus in Diyarbakir im Südosten der Türkei abgeführt. Kurz vor seiner Festnahme hatte er eine Erklärung über den Internetdienst Twitter verbreitet: „Vor der Tür meines Hauses in Diyarbakir stehen Polizisten mit der Anweisung zur Vollstreckung eines Haftbefehls.“ Am Nachmittag wurde die Untersuchungshaft verhängt.
Vergangene Woche hatte ein türkisches Gericht die zweite Parteichefin Yüksekdag bereits mit einem Ausreiseverbot belegt. Sie wurde nun den Berichten zufolge in Ankara festgenommen. Für beide Parteichefs war es die erste Festnahme. In Gewahrsam kamen unter anderen auch Fraktionschef Idris Baluken und der prominente Parlamentarier Sirri Sürreya Önder. Über Baluken wurde am Freitagvormittag die Untersuchungshaft verhängt.

AP/Burhan Ozbilici
Polizeisperre vor der Parteizentrale der HDP in Ankara
Immunität von Parlamentariern aufgehoben
Die Festnahmen wurden nur möglich, weil das türkische Parlament die Immunität von Parlamentariern gegen Strafverfolgung aufgehoben hatte. Das war eine der international als repressiv kritisierten Maßnahmen, mit denen die Führung um Erdogan auf den gescheiterten Militärputsch im Juli reagierte. Zuletzt waren die Behörden auch massiv gegen kritische Medien vorgegangen, etwa gegen die Zeitung „Cumhuriyet“.
Gegen Demirtas, Yüksekdag und andere HDP-Politiker liefen bereits seit Längerem mehrere Ermittlungsverfahren, in denen es um „Terrorpropaganda“ und „Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation“ geht. Die türkische Regierung wirft der linksliberalen HDP vor, der politische Arm der PKK zu sein, was die Partei zurückweist.
HDP: „Politische Lynchjustiz“
Die HDP verurteilte die Festnahmen. Es handle sich um „politische Lynchjustiz“, sagte Sprecher Ayhan Bilgen am Freitag in einer über den Dienst Periscope live übertragenen Stellungnahme in Ankara. Bilgen rief die HDP-Anhänger zudem zu Solidarität und Protesten auf. Eine Pressekonferenz in der HDP-Parteizentrale in Ankara verhinderte die Polizei. Diese lasse Journalisten auch mit dem Presseausweis der Regierung nicht durch die Absperrungen an der Zentrale, berichteten mehrere Reporter an Ort und Stelle.
Die Festnahmen seien das „Ende der Demokratie“ in der Türkei, wie die Partei in einer am Freitag veröffentlichen Erklärung schrieb. „Das Ziel dieser Maßnahmen ist, die drittgrößte Partei im Parlament stillzulegen. Das ist nicht nur ein dunkler Tag für unsere Partei, sondern für die ganze Türkei und die Region, denn es bedeutet das Ende der Demokratie in der Türkei“, hieß es in der Erklärung weiter. Zugleich bekräftigte die HDP, sie werde sich dieser „diktatorischen Politik“ nicht unterwerfen
Links: