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„Cumhuriyet“ soll mundtot gemacht werden

Nach den Abgeordneten der prokurdischen Oppositionspartei HDP müssen nun auch zahlreiche Mitarbeiter der regierungskritischen Zeitung „Cumhuriyet“ in der Türkei im Gefängnis bleiben. Ein Gericht in Istanbul verhängte am Samstag Untersuchungshaft gegen den „Cumhuriyet“-Chefredakteur Murat Sabuncu und acht seiner Mitarbeiter, wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete.

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Die Journalisten waren am Montag unter Terrorverdacht festgenommen worden. Die Sicherheitsbehörden werfen der Spitze der laizistisch orientierten Zeitung vor, das Netzwerk des Predigers Fethullah Gülen und militante kurdische Gruppen wie etwa die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK zu unterstützen. „Cumhuriyet“ weist den Vorwurf der Komplizenschaft mit der PKK und Gülen zurück. Man habe im Gegenteil gewarnt, Gülen sei eine Gefahr für die Republik, schrieb das Blatt.

Mit harter Hand gegen Journalisten

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hält den im US-Exil lebenden Prediger Fethullah Gülen für den Drahtzieher des gescheiterten Putsches vom 15. Juli. Gülen weist das zurück. Unter dem nach dem Putschversuch verhängten Ausnahmezustand geht die Regierung mit harter Hand gegen Gegner vor. Der türkische Journalistenverband teilte mit, seit dem Putschversuch seien 170 Zeitungen, Zeitschriften, TV-Sender und Nachrichtenagenturen geschlossen worden. 2.500 Journalisten seien arbeitslos. Oppositionelle Medien sollen offenbar mundtot gemacht werden, so die internationale Kritik am Vorgehen gegen Journalisten.

Die 1924 vom Journalisten Yunus Nadi Abalioglu gegründete „Cumhuriyet“ („Republik“) zählt zu den ältesten Tageszeitungen in der Türkei. Das regierungskritische Blatt war über Jahrzehnte staatlichen Repressalien und politisch motivierten Anschlägen ausgesetzt. Im September wurde „Cumhuriyet“ mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet.

Zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt

Nach Branchenangaben erschien die überregionale „Cumhuriyet“ bisher mit einer Auflage von rund 50.000 Exemplaren täglich. Sie gehört zu den 20 größten Tageszeitungen der Türkei. Der bekannte „Cumhuriyet“-Autor Ugur Mumcu wurde 1993 bei einem Bombenattentat getötet. 2015 wurde gegen die Zeitung wegen der Veröffentlichung einer religionskritischen „Charlie-Hebdo“-Karikatur ermittelt, zwei Kolumnisten wurden zu Haftstrafen verurteilt.

Im Mai wurden der Vorgänger von Sabuncu als Chefredakteur, Can Dündar, und sein Hauptstadtbüroleiter Erdem Gül zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Sie hatten geheime Dokumente veröffentlicht, die türkische Waffenlieferungen an Islamisten in Syrien 2015 belegen sollen. Erdogan hatte sie persönlich angezeigt.

Dündar gibt EU Mitschuld

Der nach Deutschland geflohene Dündar gibt den europäischen Regierungen eine Mitschuld an der Verschärfung der Lage in der Türkei. Er habe die deutsche Regierung schon vergangenes Jahr vor alarmierenden Entwicklungen gewarnt, sagte Dündar am Freitag Reuters TV mit Blick auf Verhaftungen der HDP-Parlamentarier.

Jetzt spreche auch die deutsche Regierung von „alarmierenden Entwicklungen“. „Das ist gut, aber spät“, so Cündar. Erdogan versuche, alle kritischen Stimmen zu unterdrücken, warnte der Journalist. Zuerst habe es Mitglieder des öffentlichen Dienstes, Militärs und Journalisten getroffen. Jetzt seien Abgeordnete dran. „Das bedeutet das Ende des parlamentarischen Systems in der Türkei.“

Erdogan „nicht mehr auf Europa angewiesen“

Den europäischen Regierungen warf er vor, Erdogan wegen des Flüchtlingspakts unterstützt zu haben. In dem Abkommen hat sich die Türkei verpflichtet, von ihrem Territorium aus in die EU eingereiste Flüchtlinge zurückzunehmen. Befürworter feierten die Vereinbarung als Wendepunkt in der Flüchtlingskrise. Kritiker warnen dagegen, die EU habe sich damit erpressbar gemacht.

Erdogan sei es mittlerweile egal, was über ihn gedacht werde, sagte Dündar. Er sei jetzt nicht mehr auf Europa angewiesen. In Russland habe er einen Partner gefunden. Zudem gebe es in der Region mit Katar oder Saudi-Arabien ähnlich gesinnte Staaten. Erdogans Traum sei es, ein Sultan in der Türkei zu werden ohne jegliche Opposition.

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