Themenüberblick

„Antiterroristische Operation“

Bei koordinierten nächtlichen Razzien hat die türkische Polizei in der Nacht auf Freitag die Chefs der prokurdischen Oppositionspartei HDP, Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag, festgenommen. Das berichteten die Nachrichtenagentur Anadolu und weitere Medien. Auch mehrere weitere HDP-Abgeordnete wurden in Gewahrsam genommen.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Die Zugriffe seien im Rahmen einer „antiterroristischen Operation“ erfolgt, berichtete Anadolu zu den Festnahmen der HDP-Politiker. Insgesamt wurden zwölf Abgeordnete festgenommen, wie aus einer Liste hervorging, die das Innenministerium sowie die Partei selbst herausgaben. Demirtas und Yüksekdag wird Propaganda zugunsten der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) vorgeworfen. Laut Anadolu muss sich Demirtas zudem wegen Anstachelung zur Gewalt bei Protesten im Oktober 2014 verantworten.

Razzien in mehreren Städten

Mit den Festnahmen weiteten die türkischen Behörden ihr Vorgehen gegen Kritiker von Präsident Recep Tayyip Erdogan stark aus. Berichten zufolge gab es kurz nach Mitternacht zeitlich abgestimmte Polizeirazzien in mehreren türkischen Städten. Auch die Parteizentrale in Ankara wurde durchsucht. Die HDP ist mit 59 Sitzen die drittgrößte Partei im Parlament und die größte politische Vertretung der Kurden.

Türkische Polizisten

AP/Burhan Ozbilici

Polizeisperre vor der Parteizentrale der HDP in Ankara

Demirtas wurde aus seinem Haus in Diyarbakir im Südosten der Türkei abgeführt. Kurz vor seiner Festnahme hatte er eine Erklärung über den Internetdienst Twitter verbreitet: „Vor der Tür meines Hauses in Diyarbakir stehen Polizisten mit der Anweisung zur Vollstreckung eines Haftbefehls.“ Am Nachmittag wurde die Untersuchungshaft verhängt. Vergangene Woche hatte ein türkisches Gericht die zweite Parteichefin Yüksekdag bereits mit einem Ausreiseverbot belegt. Sie wurde nun den Berichten zufolge in Ankara festgenommen. Für beide Parteichefs war es die erste Festnahme. In Gewahrsam kamen unter anderen auch Fraktionschef Idris Baluken und der prominente Parlamentarier Sirri Sürreya Önder. Über Baluken wurde am Vormittag die Untersuchungshaft verhängt.

Immunität von Parlamentariern aufgehoben

Die Festnahmen wurden nur möglich, weil das türkische Parlament die Immunität von Parlamentariern gegen Strafverfolgung aufgehoben hatte. Das war eine der international als repressiv kritisierten Maßnahmen, mit denen die Führung um Erdogan auf den gescheiterten Militärputsch im Juli reagierte. Zuletzt waren die Behörden auch massiv gegen kritische Medien vorgegangen, etwa gegen die Zeitung „Cumhuriyet“.

Gegen Demirtas, Yüksekdag und andere HDP-Politiker liefen bereits seit Längerem mehrere Ermittlungsverfahren, in denen es um „Terrorpropaganda“ und „Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation“ geht. Die türkische Regierung wirft der linksliberalen HDP vor, der politische Arm der PKK zu sein, was die Partei zurückweist.

HDP: „Politische Lynchjustiz“

Die HDP verurteilte die Festnahmen. Es handle sich um „politische Lynchjustiz“, sagte Sprecher Ayhan Bilgen am Freitag in einer über den Dienst Periscope live übertragenen Stellungnahme in Ankara. Bilgen rief die HDP-Anhänger zudem zu Solidarität und Protesten auf. Eine Pressekonferenz in der HDP-Parteizentrale in Ankara verhinderte die Polizei. Diese lasse Journalisten auch mit dem Presseausweis der Regierung nicht durch die Absperrungen an der Zentrale, berichteten mehrere Reporter an Ort und Stelle.

Die Festnahmen seien das „Ende der Demokratie“ in der Türkei, wie die Partei in einer am Freitag veröffentlichen Erklärung schrieb. „Das Ziel dieser Maßnahmen ist, die drittgrößte Partei im Parlament stillzulegen. Das ist nicht nur ein dunkler Tag für unsere Partei, sondern für die ganze Türkei und die Region, denn es bedeutet das Ende der Demokratie in der Türkei“, hieß es in der Erklärung weiter. Zugleich bekräftigte die HDP, sie werde sich dieser „diktatorischen Politik“ nicht unterwerfen

Acht Tote bei Anschlag in Diyarbakir

Bei einem Autobombenanschlag in der südosttürkischen Stadt Diyarbakir wurden am Freitag nach Angaben der Regierung acht Menschen getötet und mehr als 100 verletzt. Es handle sich um eine Tat kurdischer Extremisten, sagte Ministerpräsident Binali Yildirim. Ein mutmaßliches Mitglied der PKK sei ebenfalls getötet worden. Anrainer sagten, die Detonation habe sich Freitagfrüh in der Nähe des Polizeihauptquartiers der Provinz Diyarbakir ereignet und sei in weiten Teilen der Stadt zu hören gewesen.

Schwere Schäden nach Anschlag

APA/AFP/Ilyas Akengin

Schwere Schäden nach einer Explosion vor einem Polizeigebäude in Diyarbakir

Anadolu meldete kurz darauf, die Behörden hätten eine Nachrichtensperre verhängt. Das geschieht in der Türkei in der Regel bei Anschlägen. Der mehrheitlich kurdische Südosten der Türkei kommt seit dem Ende eines Waffenstillstands zwischen der PKK und der Armee im Juli 2015 nicht mehr zur Ruhe. Seither wurden mehr als 600 Mitglieder der Sicherheitskräfte und mehr als 7.000 PKK-Kämpfer getötet.

Links: