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„Ist Sherlock nicht ein Superheld?“

Er gilt als Sexsymbol und gehört zu den Superstars der Filmbranche - und ab sofort ist er als „Dr. Strange“ in den Kinos zu sehen: Im Interview mit ORF.at spricht „Sherlock“-Darsteller Benedict Cumberbatch über Gott und die Welt. Und natürlich über seine neueste Rolle als frischgebackener Jungpapa, der schon bald sein zweites Kind erwartet.

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ORF.at: Doctor Strange ist ein Superheld der Magie. Verfügen Sie über spirituelle Erfahrung?

Benedict Cumberbatch: Ich war gleich nach der Schule fünfeinhalb Monate in Indien als Englischlehrer für Mönche in einem tibetanisch-buddhistischen Kloster. Der kleine Ort nahe der Stadt Darjeeling in Westbengalen war auf einer winzigen Bergstation, die doch unglaublich viele Kulturen vereinigte: nepalesische, chinesische, tibetische und natürlich indische. Das war eine völlig andere Art der Bildung, als mir bis zu meinem 19. Lebensjahr aus dem Westen bekannt war.

Diese Kulturenvielfalt zu erleben war eine unglaublich bereichernde Erfahrung, die mein Leben verändert hat. Ich war nicht nur Beobachter, sondern auch aktiver Teil davon, habe zwei Wochen an einem Meditationsretreat teilgenommen, gemeinsam mit anderen Lehrern und Kids in meinem Alter. Mit dem Filmteam sind wir später an einige ähnliche Orte ganz in der Nähe zurückgekehrt, was natürlich eine besondere Erfahrung war. Wir waren in Kathmandu, was mir besonders wichtig war, zumal dort nur Wochen davor ein starkes Erdbeben gewütet hatte.

ORF.at: Was haben Sie aus der Jugenderfahrung mitgenommen für Ihr späteres Leben?

Cumberbatch: Anders als Doctor Strange war ich kein Zyniker, nicht auf der Suche nach Heilung. Ich war nur neugierig und ging mit großer Offenheit in diese Erfahrung. Doctor Strange erlebt ja eine Magical Mystery Tour, die seinen Geist öffnet, aber auch ich erfuhr Profundes. Ich bin im Westen aufgewachsen und fand mich zum ersten mal im Leben mitten im Zentrum der östlichen Mystik wieder.

Wie im Film, wo es darum geht, den Geist zu formen, um seine eigene Realität zu kreieren, geht es auch in östlichen Philosophien um die Beherrschung des Geistes durch Meditation. In den Sixties, als die „Doctor Strange“-Comics entstanden, waren solche Techniken neu und etwas Exotisches. Heute werden sie in großen Firmen in Seminaren angeboten, gehören längst zu unserem Alltag. Ich selbst praktiziere sie auch, seit ich 19 bin.

ORF.at: Spiritualität und Religion sind en vogue. Vom Yoga- und Buddhismus-Boom bis hin zum Erstarken des Islam. Ist das ein Eskapismus aus den Zwängen der modernen Welt, der auch negative Seiten hat?

Cumberbatch: Ich glaube nicht, dass das Fragen sind, die nur mit der modernen Welt zu erklären sind. Die Menschen haben den Glauben in ihrem Leben immer gebraucht. In allen Kulturen und zu allen Zeiten gab es die Sehnsucht nach Spiritualität, das ist ein universelles Bedürfnis. Natürlich leben wir heute in einer Umwelt, die viel mehr auf Wissenschaft und Logik beruht. Wo Technologie und die physische Welt dominieren und als Doktrin der Wahrheit gelten. Aber selbst als Zyniker, Atheisten oder Agnostiker, oder wo immer wir nun auf der spirituellen Skala stehen, fragen wir uns doch nach den tiefen Wahrheiten. Das sehen wir heute in den verschiedensten Ausprägungen.

Wie im Film zu sehen ist, definieren unsere Chakrenpunkte, wie wir funktionieren. Ja, der Körper besteht aus Zellen, aber wie bleiben die am Leben, wenn wir sterben? Und was geschieht, nachdem wir gestorben sind? Fragen vom Leben nach dem Tod sind universelle Fragen, die uns alle beschäftigen. Es ist nicht nur die Poetik des Glaubens, die uns antreibt. Es ist die Frage, wo Wissenschaft ins Unbekannte driftet. Im Film haben sie ein perfektes Zusammentreffen der beiden Welten: einen Mann der realen Welt, der Medizin, der sich plötzlich in einer multidimensionalen Welt zurechtfinden muss. Er muss sich Dämonen stellen, dem Übernatürlichen, der Magie, dem, was außerhalb der erfassbaren Realität steht. Das ist nicht nur ein großer Spaß, diese Welt im Film zu entdecken, es ist auch für Marvel eine ganz neue Richtung.

ORF.at: Von jemandem aus der Oberliga des schauspielerischen Qualitätsfaches, wie Sie es sind - dem gefeierten „Sherlock“, Hamlet-Darsteller am Theater, oscarnominiert -, erwartet man nicht unbedingt, dass er einen Superhelden spielt. Was reizte Sie am Comic-Blockbuster?

Cumberbatch: Ist Sherlock Holmes nicht so etwas wie ein Superheld? Ich habe große Vorgänger: Anthony Hopkins, Patrick Stewart, Ian McKellen haben solche Filme vor mir gemacht. Wir sind Schauspieler, wir übernehmen Jobs. Superheldenfilme haben einen besonderen Reiz, weil sie eine Abwechslung sind. Und dann sind sie natürlich eine wunderbare Gelegenheit, all die Qualifikationen zu erlernen, die ein Superheld eben so mitbringen muss: Stunts draufzuhaben, Kung-Fu zu üben. Natürlich bekommt man ein ganz anderes Körpergefühl, andere Stimmnuancen, und, was sehr wichtig ist, man spielt eine Rolle, die man noch nie zuvor gespielt hat. In meinem Fall einen amerikanischen Helden. Das macht einfach Spaß. Diesen arroganten Neurochirurgen in seiner Egowelt zu spielen, der lernt, dass es nicht nur um ihn geht. Das ist fantastisch. Der Film hat Komödie und Drama und Action, das ist eine tolle Reise für einen Schauspieler. Ich wusste gar nichts über die Figur, als ich anfing, hatte zu dem Comic keine Beziehung. Ich habe mich von Experten aufklären lassen.

ORF.at: Pflegen Sie strategische Karriereplanung?

Cumberbatch: Nein. Mein einziger Anspruch ist: Ich will mich selber überraschen. Oder die Rolle sollte zumindest in einem Aspekt - wenn sie schon keine komplette Kehrtwendung bietet - etwas Neues, anderes sein, was ich noch nie gespielt habe. Je älter ich werde, desto wichtiger ist mir, mit welchen Regisseuren ich spiele, das ist inzwischen mein Hauptkriterium geworden. Ich laufe damit weniger Gefahr, auf Rollen festgelegt zu werden, auch wenn ich viele ikonische Charaktere spiele. Auf meinem Grabstein wird einst mein Familienname stehen, nicht Dr. Strange. Da bin ich mir sicher.

ORF.at: Heuer 40 geworden, sind Sie ein Superstar. Haben Sie sich an die Schattenseiten gewöhnt, wie die Punze als Sexsymbol? Das Internet-Fanphänomen der „Cumberbitches“ scheint Sie doch irritiert zu haben.

Cumberbatch: Man gewöhnt sich daran. Ich liebe meine Arbeit, also muss man auch mit den Konsequenzen umgehen lernen. Die „Cumberbitches“ ist eine Gruppe intelligenter junger Damen zwischen 14 und 25, glaube ich, die das vorrangig als Spaß gemeint haben. Es steckt keine Böswilligkeit dahinter, und war nicht beleidigend gemeint. Es kam vom Herzen, ohne Aggressivität. Bei diesem Sprachspiel ging es um die Ähnlichkeit von -batch, der Endung meines Namens, und dem Wort bitch. Das sind junge Leute, die Spaß an meiner Arbeit haben. Ich hatte also nie ein wirklich großes Problem damit. Ich hatte lediglich vorgeschlagen, sie könnten doch einen etwas eleganteren Namen erfinden.

ORF.at: Haben Sie einen Vorschlag?

Cumberbatch: Da würde ich Journalisten, wie Sie, bitten, aktiv zu werden.

ORF.at: Ist es die neue Vaterschaft, die Sie so entspannt hat? Wie hat sie Ihr Leben verändert?

Cumberbatch: Ich dachte, um Hamlet zu spielen, braucht man nur Sohn zu sein. Und dass ich alles über Vater-Sohn-Beziehungen wüsste. Mitnichten. Wie jeder weiß, der selbst Kinder hat, sieht man, wenn man selbst Kinder bekommt, die eigenen Eltern dann aus einer anderen Perspektive. Und reflektiert auch seine eigene Kindheit ganz neu. Man bekommt ein ganz anderes Verständnis dafür, was die Eltern für einen getan haben und wie sie es getan haben. In meinem Fall bin ich unglaublich dankbar, für alles, was sie für mich getan haben. Und bewegt. Heute, im Wissen, was die Geburt eines Kindes bedeutet. Was es bedeutet, ein Kind zu haben, was meine Eltern alles mit mir durchlebt haben. Haben Sie Kinder?

ORF.at: Ja, drei Buben.

Cumberbatch: Dann wissen Sie ja, was das bedeutet. Es gibt unglaublich viele Leute, die mich vorab gewarnt haben: Das wird deine Karriere beeinflussen. Das hat mein Sohn auch tatsächlich getan, aber nur zum Positiven! Ich weiß, ich bin in einer privilegierten Situation. Aber ich glaube, auch wenn jemand in einer herausfordernden Phase seines Lebens ist: Du gewinnst so viel Stärke durch deine Kinder. Und Inspiration. Sie sind in jeder Hinsicht bereichernd.

ORF.at: Würden Sie „Sherlock“ als ihren Türöffner zur Weltkarriere bezeichnen?

Cumberbatch: Ich bin nicht gut darin, meine Karriere rückwärts zu analysieren, das ist Ihr Job, als Journalisten. Natürlich bin ich unendlich dankbar für diese Rolle, die mich weit gebracht hat. Aber ich sehe es eher als Cluster mehrerer großer Projekte, die ich damals gleichzeitig hatte. Wie „Tinker, Taylor, Soldier, Spy“ und Steven Spielberg, der mich für „Gefährten“ castete. Erst danach kam „Sherlock“. Ich habe eigentlich immer kontinuierlich gearbeitet, auch schon anderes im Fernsehen gemacht, nicht immer nur in Hauptrollen. Ich hatte einen großen Startvorteil: dass ich meine Karriere begann mit zwei Eltern, die bereits erfolgreich Karriere in der Branche gemacht hatten. Ich dachte immer, wenn ich nur halb so gut bin wie diese beiden, dann hab ich es schon geschafft.

ORF.at: Wie stolz sind Ihre Eltern heute?

Cumberbatch: Meine Eltern haben mich immer unterstützt, auch wenn sie vielleicht anfangs etwas Solideres für mich gewünscht haben, wie viele Eltern sich das für ihre Kinder wünschen. Etwas Erwachseneres wie Rechtsanwalt, Arzt oder Lehrer, hätten sie sich gut vorstellen können für mich. Jus war noch am ehesten in meiner Auswahl. Ein Plädoyer vor Gericht ist ja auch eine Performance. Aber das ist auch nicht der sicherste Job, es gibt auch da brillante Leute, die keinen Job bekommen. Also warum es nicht mit dem großen Traum versuchen? Die Dinge so nehmen, wie sie kommen? Mein Glück war, dass ich das Milieu schon kannte. Ich kannte die guten Seiten, aber auch die Schattenseiten der Schauspielerei. Ich war sehr genau darüber informiert, wie diese Welt aussieht, die ich da betreten wollte.

ORF.at: Nach einem Magazinbericht hatte sich das Gerücht verbreitet, mit „Sherlock“ sei Schluss. Die Aufregung war entsprechend.

Cumberbatch: Der unverantwortliche Flügel Ihrer Profession ist dafür verantwortlich. Ich habe es live im Radio gesagt und sage es hier gerne noch einmal: Das stimmt nicht. Ich habe nie gesagt, „Sherlock“ sei zu Ende. Vielleicht war der Interviewer vom Chefredakteur unter Druck gesetzt worden. Printmedien stehen wegen der Krise ja unter immensem Druck. Offenbar muss deshalb aus einem normalen Interview eine Story gemacht werden, in der bewusst Tatsachen verdreht werden, zu einem Clickbait aufgeblasen werden. Ich sagte, wir seien am Ende der aktuellen Staffel, und dass es eine Weile dauern könnte, bis es weitergeht. Der neue „Sherlock“ hat viel Potenzial, weitererzählt zu werden. Was „Sherlock“ betrifft, heißt es für mich: Sag niemals nie.

Das Gespräch führte Nadja Sarwat, für ORF.at