Ein Held für die Hippies
Diesen Film muss man gesehen haben: Was im Trailer von „Doctor Strange“ zu sehen ist, ist keineswegs ein Best-of, sondern nur ein kleiner Vorgeschmack. Das Special-Effects-Feuerwerk mit Benedict Cumberbatch als Superhelden, der Jüngste im Marvel-Universum, setzt neue Maßstäbe für Comicverfilmungen. ORF.at traf Regisseur und Protagonisten zu Interviews in London.
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Eine Mischung aus „Inception“, „Interstellar“ und der „Harry Potter“-Serie, dazu eine Prise Witz aus „Guardians of the Galaxy“ - so kann man sich den neuesten Heldenstreifen aus dem Hause Marvel vorstellen. Der magische „Doctor Strange“ führt den Zuseher auf eine Achterbahnfahrt durch Zeit und Raum und auf eine Magical-Mystery-Tour-de-Force durch mehrere Kontinente und Dimensionen.
„Trauma, Zorn und Erleuchtung“
Ganze Weltmetropolen werden zusammengefaltet, Hochhäuser und Straßenzüge biegen sich. Die Protagonisten, ein Hochglanzensemble aus Oscar-Preisträgern und -Nominierten, liefern sich Verfolgungsjagden per Zeitsprüngen und Ortswechseln. Und es ist ausgerechnet ein Brite, der den psychedelischen US-Comichelden Doctor Strange, von Marvel in den Sixties für die vernachlässigte Zielgruppe der Hippies ersonnen, verkörpert.

Marvel/Jay Maidment
Benedict Cumberbatch sticht aus dem Hochglanzensemble hervor
Einen Besseren als Cumberbatch hätte man sich für die Rolle nicht denken können - wer sonst biete schon diese Kombi aus Intelligenz und Schauspielkunst, so Regisseur Scott Derrickson im ORF.at-Interview. „Man muss ihm abnehmen können, dass er ein hochqualifizierter Neurochirurg in New York ist. Und Ben könnte das auch im wahren Leben sein. Zudem muß er ein breites Spielspektrum beherrschen: von Trauma, Zorn und Angst bis Demut und Erleuchtung.“ Obendrein müsse er noch einen guten Actionstar abgeben. „Beim letzten Punkt waren wir uns nicht sicher: Ist der Typ auch ein Actionstar? Bis er losgelegt hat: Er hat Stunts selbst gemacht, wild für die Kampfszenen trainiert - und er war toll."

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The Ancient One (Tilda Swinton) und der Doktor (Cumberbatch)
Der Plot in Kürze: Doctor Strange wird als egomanischer Karrierist eingeführt. Bis bei einem Unfall seine Hände so stark verletzt werden, dass er nicht mehr operieren kann. Die Schulmedizin erweist sich als wenig hilfreich, der Arzt sucht Heilung an einem wundersamen Ort namens Kamar-Taj. Die Reise wird zum Selbstfindungstrip, Selbstheilung des Patienten inbegriffen. Der Doktor entdeckt die Metaphysik, ordiniert fortan als Magier und graduiert nebstbei zum Weltenretter gegen das Böse.
Diversity als Pflichtprogramm
Begleitet wird die Läuterung von der Mentorin The Ancient One, einer übernatürlichen Meisterin der Mystik. Dass die mit der Oscar-Preisträgerin Tilda Swinton besetzt wurde, erzeugte öffentliche Erregung, da die Figur ursprünglich männlich und Asiate ist. Den Vorwurf des „Whitewashings“ wies Derrickson zurück: „Diversität und sensibler Umgang mit ethnischen Stereotypen hat für mich oberste Priorität. Die Figur aus dem Comic-Original ist ein typisches Stereotyp der Sechzigerjahre. Der weise spirituelle Führer, der Eremit auf einem Berg. Um das zu dekonstruieren, habe ich daraus eine Frau gemacht. Nicht irgendein Traumgirl eines Fanboy, sondern eine in ihren besten Jahren."

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Diskussion über Diversität: Im Comic ist The Ancient One ein männlicher Asiate, im Film übernahm Swinton die Rolle
Ein noch viel schlimmeres Stereotyp sei die Figur des Sidekicks Wong gewesen, im Film verkörpert durch Benedict Wong. „Im Comic ist er ein unterwürfiger Diener. Bei uns ist er ein Bibliothekar. Ein Mentor der mystischen Künste. Asiaten wurden über ein Jahrhundert lang rassistisch stereotypisiert im amerikanischen Kino. Die Leute sollten darüber verärgert sein“, so der Regisseur. Die Aufregung über seine Besetzung hält er für unangebracht.
Der perfekte Bösewicht
Mads Mikkelsen, schon als Kind ein großer Comicfan, hätte sich nie träumen lassen, später selbst als Comicfigur zu fungieren. Warum ist er an Bord? „Zum einen weil ich Marvel toll find, dann, weil Ben Cumberbatch den Helden gibt. Kein anderer könnte es besser." Den Ausschlag habe der Regisseur gegeben, „als er die Zauberworte sprach“, wie Mikkelsen im Interview sagte: „flying kung fu“.

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Mads Mikkelsen gibt den Bösewicht
Der Däne gibt Kaecilius, den Antagonisten des Doktors. Was macht für ihn einen wirklich guten Bösewicht aus? „Ein sehr gutes Drehbuch und ein fantastischer Held. Die Rolle des Unholds hat sich modernisiert. Ein gänzlich durchgeknallter Bösewicht, der - womöglich völlig unmotiviert - kleine Babys fressen will, funktionierte vielleicht früher einmal. Heute muss er auf seine Weise den Helden wie ein Spiegelbild reflektieren. Den inneren Kampf des Helden widerspiegeln, zwischen Gut und Böse.“
Alle lieben Haneke
Mikkelsen, der schon als Bösewicht das Bond-Universum bereicherte, wird demnächst im neuen „Star Wars“-Spin-off „Rogue one“ zu sehen sein. Dem europäischen Kino will er trotz seiner Ausflüge Richtung Hollywood treu bleiben. „Gerne in einem Film von Michael Haneke.“ Mit Haneke zu drehen wäre auch für Cumberbatch ein Traum. Der Brite kann auf ein spezielles Nahverhältnis zu Wien verweisen, seit er hier in Jugendjahren Theater gespielt hat.
„Superheldenfilme haben einen besonderen Reiz, weil sie eine Abwechslung darstellen. Und dann sind sie natürlich eine wunderbare Gelegenheit, all die Qualifikationen zu erlernen, die ein Superheld eben so mitbringen muss: Stunts draufzuhaben, Kung-Fu zu üben", so Cumberbatch, der demnächst auch wieder als „Sherlock Holmes“ im TV zu sehen sein wird, gegenüber ORF.at. "Natürlich bekommt man ein ganz anderes Körpergefühl, andere Stimmnuancen, und, was sehr wichtig ist, man spielt eine Rolle, die man noch nie zuvor gespielt hat.“
Der neue Superheld aus dem Marvel-Universum scheint gekommen, um zu bleiben. Das legt der Nachspann nahe, in dem Doctor Strange mit Chris Hemsworth als Thor parliert. Im Marvel-Universum hat sich Doctor Strange jedenfalls gleich mit seinem Einstand einen Fixplatz im Olymp der Überhelden gesichert.
Nadja Sarwat, für ORF.at aus London
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