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„Die Hilfe kam von Herzen“

Großzügigkeit, Spendenfreudigkeit, Herzlichkeit - mit einem Wort gelebte Solidarität - haben die ersten Wochen der Ungarn-Flüchtlingskrise 1956 in Österreich gekennzeichnet. So erlebten es auch drei teils noch sehr junge Burschen, die damals über die burgenländische Grenze nach Österreich kamen und im ORF.at-Interview darüber berichteten.

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„Wahnsinnig nett, sehr hilfsbereit, die Freundlichkeit war gigantisch“, so empfand Josef Hollos die Österreicherinnen und Österreicher als zwölfjähriger Flüchtling. Mitte Jänner 1957 war er unter bereits sehr gefährlichen Umständen nach Österreich gekommen. Die Grenze wurde mittlerweile wieder von ungarischen Soldaten bewacht, es habe aber noch „Löcher“ gegeben - im Seewinkel bei Apetlon etwa. Eine als Lager umfunktionierte Volksschule in Apetlon, ein Lager in Eisenstadt, in Untermiete bei einer Familie in Wien und ein Flüchtlingsinternat bei Tulln waren dann die weiteren Stationen.

Auto ohne Zögern verborgt

In der ersten Zeit sei er ständig mit seinem Vater „im Dauerlauf“ von einer Hilfsorganisation zur nächsten unterwegs gewesen, erzählt der Pädagoge im ORF.at-Interview. Freilich seien die Hilfsleistungen nach einer Weile weniger geworden, vor allem jene aus dem Ausland. Und manche Österreicher befürchteten wohl, dass die Belastung durch die Flüchtlinge zu viel werde, so Hollos. Er selbst habe aber immer nur Großzügigkeit erlebt.

Man sei damals für alles, was man bekam, sehr dankbar gewesen. Die meisten Österreicher hätten selbst wenig gehabt. Doch: „Wenn man selbst wenig hat, gibt man lieber“, ist Hollos überzeugt. So wurde ein Auto damals ohne Zögern an einen Flüchtling weitergeborgt - heute schwer vorstellbar.

Peter Martos

Peter Martos

Der Journalist Peter Martos flüchtete als Achtjähriger nach Österreich

„Wenn es einem Volk schlechtgeht, hilft es gerne“

Ähnlich der Tenor des Journalisten Peter Martos, der acht Jahre alt war, als er in der Silvesternacht 1956/57 mit seinen Eltern über die Grenze kam: zuerst nach Deutschkreutz, Wien, ein Flüchtlingslager in Kärnten, dann in Oberösterreich und elf Monate nach der Flucht wieder nach Wien. „Die Hilfe war hervorragend organisiert, die Leute waren immer nett und freundlich.“ Auch in der Schule, in die Martos knapp ein Jahr nach der Flucht gekommen war, lief es gut: „Die Lehrerin war sehr rücksichtsvoll.“ Ein einziges Mal habe er Ablehnung erlebt, als einer in der Straßenbahn in seine Richtung rief: „Bei uns redma Deitsch. Sonst gehts ham.“

Mindestens fünf Zeugen seien dann aber auf den Mann losgegangen. Martos spricht von einer „gigantischen Leistung“ Österreichs, „das so lange durchzuhalten“. „Wenn es einem Volk schlechtgeht, hilft es gerne“, so Martos. Heute hingegen habe man etwas zu verlieren, die Situation sei in vielerlei Hinsicht nicht zu vergleichen. Dass die Stimmung nach 1956 irgendwann kippte, kann er bestätigen. Das sei aber nachvollziehbar. Außerdem seien später Fehlinformationen verbreitet worden, etwa dass 200.000 Ungarn aufgenommen worden seien, was so nicht stimmte, da die meisten nicht in Österreich geblieben waren.

Peter Martos mit seiner Mutter, ca. 1959

Peter Martos

Martos mit seiner Mutter im Jahr 1959

„Empfangen als Helden von Budapest“

„Wir wurden empfangen als Helden von Budapest“, erzählt Ernö Deak im ORF.at-Interview. „Später stellte sich aber heraus, dass wir normale Menschen waren“. Die Situation sei „für Österreich eine fürchterlich große Belastung“ gewesen. Deak kam Anfang Dezember als Sechzehnjähriger gemeinsam mit einem Schulfreund, aber ohne Familie über die ungarisch-burgenländische Grenze. Er litt unter einer offenen Tuberkulose und schweren Lungenblutungen. Die ersten Tage verliefen chaotisch, dramatisch. Nach zwei Tagen las ein Wiener ihn und seinen Freund in einem burgenländischen Dorf auf und brachte die beiden in seinem Pkw nach Wien.

Die beiden Jugendlichen durften eine Nacht in einem völlig überfüllten Lager bleiben - mit der Zusicherung, am nächsten Tag weiterzuziehen. Sie wurden zu einer Fürsorgestelle geschickt. Dort erklärte Deak seinen gesundheitlichen Zustand und bat um rasche medizinische Versorgung. Daraufhin wurde er der Stadt verwiesen. Er müsse nach Wiener Neustadt gehen. Wie, das erklärte ihm allerdings niemand. Sein Schulfreund ging nach Oberösterreich, die beiden sollten einander erst eineinhalb Jahre später wiedersehen.

Rot-Kreuz-Auto vor dem Wegweiser Sopron - Budapest

APA/Rotes Kreuz Burgenland

Im Zuge der Revolution gelang auch dem vom KP-Regime verurteilten Ex-Adeligen Paul Esterhazy die Flucht via Österreich in die Schweiz

„Niemand hat gefragt, wer die Kosten übernimmt“

Nachdem der schwer kranke Jugendliche einen halben Tag durch Wien geirrt war - ohne Wintermantel und ohne Stadt- und Sprachkenntnisse -, sei er von Passanten „förmlich in den D-Wagen Richtung Südbahnhof geschoben“ worden. In Wiener Neustadt angekommen, entdeckte er zufällig eine Polizeistation. Von dort wurde er ins Krankenhaus überstellt - für eine lange Zeit. „Niemand hat gefragt, wer die Kosten übernimmt nach zehn Monaten im Spital“, zeigt sich Deak „unendlich dankbar“.

Er bezeichnet die erhaltene Hilfe als „menschlich, liebevoll und solidarisch. Die Hilfe kam von Herzen, das haben wir gespürt.“ Nach dem anfänglichen Elan und der Begeisterung der Helferinnen und Helfer sei freilich eine gewisse Ernüchterung zu spüren gewesen. Medien berichteten über Hungerstreik und Schlägereien in den Lagern. Selbstverständlich sei es dort zu Lagerkollern gekommen, so Deak. Mit der heutigen Situation seien die Umstände anno 1956 allerdings nicht vergleichbar, teilt Deak die Einschätzung mit Martos und Hollos.

Doris Manola, ORF.at

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