Filmdoku über Alltag eines Bergdoktors
Mit poetischer Langsamkeit und reduzierten Bildern zeigt der Dokumentarfilmer Hans Andreas Guttner in einem Porträt seines Bruders die unspektakuläre Wirklichkeit eines Kärntner Landarztes. „Bei Tag und bei Nacht - aus dem Leben eines Bergdoktors“ läuft diese Woche in den österreichischen Kinos an.
Kitsch und Drama vs. beschauliche Realität
Wenn der Bergdoktor in der TV-Serie dem Chirurgen buchstäblich das Skalpell aus der Hand reißt, um eine schwierige Operation selbst bravourös durchzuführen, muss Dokumentarfilmer Guttner manchmal schmunzeln, wie er sagt. Der Diskrepanz zwischen der Realität und der Serie setzt er ein weit unspektakuläreres Bild des Berufes entgegen.
Er begleitete seinen Bruder Martin bei Sprechstunden und Patientenbesuchen auf entlegene Höfe, teils mehrstündige Fußwege vom Ort entfernt. Statt faszinierender neurochirurgischer Eingriffe zeigt er ihn bei Autofahrten durch Schneegestöber, beim Blutdruckmessen, Impfen und anderen Routineeingriffen.
Idylle und Mühsal
Manchmal bestehe seine wichtigste Aufgabe nur darin, einfach da zu sein, erzählt der Landarzt selbst. Vor allem ältere Menschen freuen sich auf einen Gesprächspartner in ihrer sonstigen Abgeschiedenheit. In manchmal minutenlangen statischen Einstellungen fängt Guttner das beschauliche, aber mühsame Leben des Bergdoktors und der übrigen Dorfbewohner ein. Er filmt sie beim Tratsch im Wartezimmer, bei der beschwerlichen Heuernte auf den Steilhängen, beim Holzfällen und beim Schnapsbrennen.
Versteck vor Neoliberalismus
Guttner präsentiert seine Protagonisten als intakte Dorfgemeinschaft, die sich - ähnlich den Bewohnern eines gewissen, unbeugsamen gallischen Dorfes - erfolgreich gegen die Vereinnahmung durch Industrialisierung und Globalisierung zur Wehr setzte.
Volksschulkinder lesen Texte über Abwanderung vor, dazwischen spielen sie auf den scheinbar endlosen Wiesen und Berghängen. Die Schattenseiten dieser Idylle klingen nur selten durch – Überalterung, Mangel an Arbeitsplätzen, Abwanderung und die unsichere wirtschaftliche Lage.
Landschaft als wichtiger Protagonist
Dazwischen bleibt viel Raum für die Landschaft. Die Panoramaaufnahmen sind reichlich mit atmosphärischer Musik unterlegt. Jede dieser Aufnahmen könnte direkt einem Katalog der Tourismuswerbung entspringen. Das sei keine Inszenierung, sondern reiner Zufall, beteuert Guttner.
Ohne jede Hast zeigt er seine Sichtweise auf die Bergwelt und den Bergdoktor. Vielleicht ist das ebenfalls kein gänzlich realistisches Bild, aber in jedem Fall ein interessanter und aufschlussreicher Perspektivenwechsel und Denkanstoß.
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