Diplomatisches Ringen geht weiter
Im Bemühen um einen Ausweg aus der Katastrophe von Aleppo hat der UNO-Syrien-Gesandte Staffan de Mistura einen ungewöhnlichen Vorstoß gewagt. Er bot am Donnerstag den Kämpfern der einstigen Al-Nusra-Front persönliches Geleit an, sollten die Extremisten den Ostteil von Aleppo verlassen. Von Damaskus und Moskau erhofft er sich in diesem Fall ein Ende der Luftangriffe auf Ostaleppo.
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De Mistura warnte eindringlich davor, dass der Osten von Aleppo „in zwei, maximal zweieinhalb Monaten komplett zerstört“ sein werde, sollte die von Russland unterstützte syrische Führung ihre Angriffe in dieser Härte fortsetzen. Es gehe vor allem um die Altstadt, sagte de Mistura in Genf. „Tausende syrische Zivilisten werden getötet werden“, mahnte er.
De Mistura sagte an die rund 900 Kämpfer der Islamistengruppe gerichtet, die sich mittlerweile Fateh al-Scham-Front nennt: „Wenn ihr euch dafür entscheidet, in Würde und mit euren Waffen zu gehen, bin ich persönlich bereit, euch zu begleiten.“ Damaskus und Moskau bat er, in diesem Fall die Bombardierungen auszusetzen. Die UNO erhofft sich davon aber auch, eingeschlossene Zivilisten zu erreichen, die dringend Hilfe brauchen.
„Unausweichliches Schicksal“ für Bleibende
Nach mehr als zwei Wochen heftiger Bombardierungen der Großstadt Aleppo stellten die syrische und die russische Luftwaffe ihre Angriffe offenbar vorerst ein. Die Regierungstruppen waren zuvor in ein Rebellenviertel im Norden der Stadt vorgedrungen. Die Armee rief Rebellen und Bewohner von Ostaleppo zum Verlassen der Metropole auf.

Grafik: APA/omniscale/OSM/ORF.at; Quelle: APA/BBC
Alle, die bleiben, würden sich ihrem „unausweichlichen Schicksal“ ergeben, hieß es in einer Mitteilung der Armee. Die Versorgungswege der Rebellen im Norden der Stadt seien abgeschnitten worden. Zudem habe das Militär Kenntnis von sämtlichen Rebellenstellungen und Waffenlagern in der Stadt.
Hintergründe unklar
Das syrische Militär treibt seit Tagen mit russischer Unterstützung eine Großoffensive in Aleppo voran. Am Mittwoch kündigte die Heeresleitung staatlichen Medien zufolge an, die Luftangriffe auf den Osten der Stadt zurückzufahren, damit Zivilisten den von Rebellen beherrschten Stadtteil verlassen könnten. Nach Angaben der UNO hält jedoch die militärische Präsenz der Regierung an den Ein- und Ausgängen Ostaleppos die Menschen vom Verlassen der Stadt ab.
Die genauen Hintergründe der überraschenden Ankündigung blieben unklar. Die Armeeführung in Damaskus verwies auf die „Erfolge unserer Streitkräfte in Aleppo“. Nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit Sitz in Großbritannien rückten die Regierungstruppen vom Stadtzentrum in das nördliche Viertel Bustan al-Bascha vor, das seit 2013 von Rebellen kontrolliert wird.
Donnerstagfrüh sei in die Stadt Ruhe eingekehrt, meldete die Beobachtungsstelle am Donnerstag. Die Angaben der in Großbritannien ansässigen Beobachtungsstelle, die sich auf ein Netzwerk aus Informanten in Syrien beruft, sind von unabhängiger Seite schwer überprüfbar.
„Presse“: "Zynische Strategie
Aleppo in Nordsyrien hatte in den vergangenen Tagen die heftigsten Angriffe der russischen und syrischen Luftwaffe seit Beginn des Bürgerkriegs im Jahr 2001 erlebt. „Syriens Regime und seine russischen Verbündeten wollen die strategisch wichtige Großstadt Aleppo wieder völlig unter ihre Kontrolle bringen - auch zum Preis einer humanitären Katastrophe“, schrieb die „Presse“ (Mittwoch-Ausgabe).
„Diese scheint sogar fix eingeplanter Teil einer zynischen Strategie zu sein: belagern, aushungern und zugleich sturmreif bombardieren.“ Die „Presse" erinnerte daran, dass die russischen Streitkräfte auch 1999/2000 bei der Rückeroberung der tschetschenischen Hauptstadt Grosny so vorgegangen seien.“
USA und Russland sprechen wieder
Auf Diplomatieebene war am Mittwoch wieder Bewegung in den Syrien-Konflikt gekommen. Zwei Tage nach dem Abbruch der Gespräche nahmen die Außenminister der USA und Russlands wieder Kontakt auf. US-Außenminister John Kerry und sein russischer Amtskollege Sergej Lawrow hatten miteinander telefoniert und dabei auch über das Bürgerkriegsland gesprochen. Das Telefonat bedeute jedoch kein schnelles Einlenken der US-Regierung, die bilateralen Gespräche über den Konflikt in Syrien blieben ausgesetzt, sagte Kerrys Sprecher Mark Toner in Washington.
Frankreich bemüht sich um Resolution
Auch Frankreich bemüht sich weiter um eine diplomatische Lösung des Konflikts. Außenminister Jean-Marc Ayrault reiste am Donnerstag nach Moskau und am Freitag nach Washington, um für Unterstützung für den französischen Resolutionsentwurf im UNO-Sicherheitsrat zu werben. Die Lage in Aleppo sei „schockierend und beschämend“, sagte Ayrault. „Nichts kann diesen Feuer- und Todessturm rechtfertigen. Diese Grausamkeiten produzieren die Dschihadisten von morgen. Die Spirale der Gewalt muss gestoppt werden“, forderte er.
Der Resolutionsentwurf sieht vor, dass die von den USA und Russland Anfang September ausgehandelte Feuerpause wieder aufgenommen wird, damit die eingeschlossene Bevölkerung mit humanitären Hilfen versorgt werden kann. Außerdem sollen alle syrischen und russischen Kampfflugzeuge auf dem Boden bleiben.
Obama prüft Sanktionen
US-Präsident Barack Obama erwägt unterdessen neue Sanktionen gegen syrische Armeeangehörige. Nach Angaben aus Regierungskreisen sollen diese auf Soldaten abzielen, die am Einsatz von Chemiewaffen beteiligt waren. Laut den Angaben will Washington nach der Vorlage eines weiteren Berichts durch die zuständige UNO-Untersuchungskommission Strafmaßnahmen gegen die Verantwortlichen anstreben.
Angriffe auf Rebellengebiete
Die syrische Armee und mit ihnen verbündete Milizen begannen zugleich Angriffe auf Rebellengebiete. Bei einer Explosion an der syrisch-türkischen Grenze wurden nach Angaben von Aktivisten mindestens 20 syrische Rebellen getötet und 20 weitere verletzt. Die staatliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu bestätigte die Explosion und die Totenzahl. Die Detonation habe sich während eines „Wachwechsels“ der Rebellenkämpfer ereignet.
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