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Wilder Streik führt zu zig Ausfällen

Der deutsche Billigflieger Air Berlin kommt derzeit nicht aus den Schlagzeilen. Erst vergangene Woche kündigte die angeschlagene Fluglinie Kündigungen von bis zu 1.200 Mitarbeitern an. Seit Tagen werden Flüge von Air-Berlin-Partner TUIfly wegen fehlenden Personals abgesagt. Zulasten der Passagiere, wie die Fluglinie nun klarstellte.

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Die Fluglinie kämpft mit massenhaften kurzfristigen Krankmeldungen von Piloten und Flugbegleitern. Seit Tagen kommt es daher zu häufigen Flugverspätungen und -ausfällen. Allein am Donnerstag führte TUIfly für den Partner Air Berlin nach dessen Angaben keinen einzigen von 90 geplanten Flügen durch.

Mit Hilfe anderer Crews habe Air Berlin 30 dieser 90 Flüge anbieten können. 60 Flüge seien ausgefallen, so Air-Berlin-Sprecher Uwe Kattwinkel. Auch am Freitag würden beinahe alle 108 TUI-Flüge gestrichen. Um Urlauber aus den Feriengebieten nach Hause zu bringen, habe die Konzernmutter TUI erneut Flugzeuge anderer Airlines gechartert. In den nächsten Tagen sei mit weiteren Annullierungen zu rechnen.

„Außergewöhnlicher, nicht vermeidbarer Umstand“

Der TUI-Konzern beruft sich bei den Verspätungen und Ausfällen auf höhere Gewalt. „Entschädigungs- beziehungsweise Schadensersatzansprüche der Kunden entstehen daraus nicht“, teilte TUI Deutschland in Hannover mit. Die Sprecherin betonte: „Die massenhaften und äußerst kurzfristigen Krankmeldungen sind ein außergewöhnlicher und nicht vermeidbarer Umstand im Sinne von höherer Gewalt.“

Konsumentenschützer: „Normale Betriebsrisiken“

Fluggastrechtsexperten teilen diese Ansicht nicht. „Wenn die Airlines sich bei krankheitsbedingten Personalausfällen auf höhere Gewalt berufen, ist das aus rechtlicher Perspektive schlichtweg falsch und ein Versuch, Entschädigungszahlungen nicht leisten zu müssen“, sagte Philipp Kadelbach, Mitgründer und Geschäftsführer des Flugrechtsportals Flightright, am Donnerstag.

Nach Kadelbachs Ansicht zählen Krankheitswellen zu den „normalen Betriebsrisiken, die Airlines zu jeder Zeit einkalkulieren müssen“. Das gelte auch, wenn es Zweifel gebe, ob tatsächlich eine Krankheit vorliege. Er empfehle daher allen betroffenen Passagieren, ihre Entschädigungsansprüche geltend zu machen.

Verkehrsminister fordert Verhandlungen

In den Streit schaltete sich mittlerweile auch der deutsche Verkehrsminister Alexander Dobrindt ein. Er rief dazu auf, den Konflikt am Verhandlungstisch zu lösen. „Das ist keine akzeptable Situation. Die Airlines müssen ihrer Verantwortung gegenüber den Fluggästen nachkommen“, sagte Dobrindt der „Bild“-Zeitung (Freitag-Ausgabe). „Interne Konflikte müssen am Verhandlungstisch ausgetragen werden und nicht auf den Rücken der Passagiere.“

„Fühlen uns überrollt“

Im Zuge der Crew-Engpässe bei TUIfly musste auch Air Berlin in den vergangenen Tagen immer wieder Flüge streichen. Ein Drittel der TUI-Flotte fliegt samt Besatzung für Air Berlin. Bei TUIfly steht ein tiefgreifender Umbau bevor. Die Fluggesellschaft der Vereinigten Arabischen Emirate, Etihad, und der Touristikkonzern TUI planen eine Kooperation bei Urlaubsflügen. Aus TUIfly und Teilen der Air Berlin soll ein neuer Verbund geformt werden. Etihad hält rund 29 Prozent an Air Berlin.

Flugzeuge der Linien Air Berlin und TUIfly

APA/AFP/dpa/Julian Stratenschulte

Ein Drittel der TUIfly-Flotte fliegt für Air Berlin

Die Mitarbeiter befürchten Jobverluste. „Wir fühlen uns überrollt“, sagte TUIfly-Betriebsratschefin Karin Grobecker. Schon am Mittwoch kam es zu spontanen Mitarbeiterprotesten auf dem Flughafen Hannover, dem Sitz von TUIfly. „Wir sind TUIfly und wollen es auch bleiben“, skandierten dort rund hundert Mitarbeiter.

Krisenplan mit Gewerkschaften

„Air Berlin entschuldigt sich aufrichtig für die Unannehmlichkeiten, die ihren Passagieren aktuell durch Flugstreichungen und Verspätungen entstehen“, sagte ein Firmensprecher. „Wir arbeiten mit unseren Partner TUIfly unter Hochdruck daran, um die Situation zu lösen und die Unannehmlichkeiten auf ein Minimum zu reduzieren.“ Fluggäste würden gebeten, sich im Internet unter Airberlin.com/flugstatus über den Status ihres Fluges zu informieren.

Um den Flugplan zu stabilisieren, trafen die Gewerkschaften Vereinigung Cockpit und ver.di inzwischen eine Krisenvereinbarung mit Air Berlin. Gemeinsam rufen sie Piloten, Flugbegleiter und Bodenpersonal zu freiwilligen Einsätzen bis einschließlich Sonntag auf.

Frühzeitige Information unmöglich

Verärgert sei man bei Air Berlin vor allem, dass die Ausfälle so unvorbereitet seien, hieß es von Brancheninsidern. Am Mittwoch musste die Fluglinie fast jeden zwanzigsten Flug streichen, bei TUIFly wurden ebenfalls über 20 Flüge annulliert. Bereits an den beiden Vortagen hatte es bei 30 Prozent der TUIfly-Flüge verspätete Starts gegeben, weil sich plötzlich viele Crews krankgemeldet hatten.

Die kurzfristigen Krankmeldungen bei TUIfly machten es unmöglich, alle betroffenen Kunden frühzeitig zu informieren, teilte die Airline mit. „Die massiven kurzfristigen Krankmeldungen der Kabinen- und Cockpitmitarbeiter schaden Kunden und Mitarbeitern in hohem Maße“, hieß es in einer Erklärung von TUIfly.

Gewerkschaft weist Verantwortung von sich

Das Unternehmen hat nach Meinung des Juristen Robert von Steinau-Steinrück kaum Möglichkeiten, die plötzlichen massenhaften Krankmeldungen zu hinterfragen oder den Mitarbeitern einen „wilden Streik“ gegen die geplanten Änderungen im Unternehmen nachzuweisen: „Kollektive Krankmeldungen unterhalb von drei Tagen sind ein extrem schlaues Teflonmittel, gegen das sich der Arbeitgeber kaum wehren kann“, sagte Steinau-Steinrück gegenüber der dpa. Es sei zwar Betrug, doch der Nachweis sei für den Arbeitgeber schwierig.

Um einen wilden Streit zu beweisen, müsste etwa ein schriftlicher Aufruf der Gewerkschaft zu einer kollektiven Krankmeldung in die Hände des Unternehmens fallen, so der Jurist. Die Flugbegleitergewerkschaft UFO wies jedenfalls jegliche Verantwortung für massenhafte Krankmeldungen bei deutschen Fluggesellschaften von sich: „Das ist definitiv kein Mittel zum Arbeitskampf für uns.“ Man rufe dazu nicht auf und distanziere sich klar von einem möglichen Missbrauch.

UFO-Experte Nicoley Baublies zeigte aber Verständnis für die Flugbegleiter von TUIfly und Air Berlin. Wegen der miserablen Informationspolitik ihrer Gesellschaften wüssten die Beschäftigten nicht, was auf sie bei der Neuordnung des Luftverkehrsmarktes zukomme. Auch der niedersächsische Wirtschaftsminister Olaf Lies übte Kritik: „Die absolut unbefriedigende Informationspolitik gegenüber der Belegschaft ist für mich nicht akzeptabel.“

Mehr Krankenstände auch bei Eurowings

Auch bei der Lufthansa-Tochter Eurowings, die im kommenden Jahr bis zu 40 Jets samt Besatzungen von der Air Berlin für sechs Jahre anmieten will, habe sich der Krankenstand aktuell in etwa verdoppelt, sagte der Gewerkschafter. Air Berlin will sich auf das Kerngeschäft mit einer Flotte von 75 Maschinen von den beiden Drehkreuzen Berlin und Düsseldorf aus konzentrieren.

Bei Eurowings drohen UFO zufolge ab der kommenden Woche zudem Streiks des Kabinenpersonals aufgrund der gescheiterten Tarifverhandlungen. Der deutsche Verkehrsminister Alexander Dobrindt hatte den Air-Berlin-Deal mit der Lufthansa als „nachvollziehbar“ bezeichnet. Die Pläne seien „ein Weg, der überzeugend sein kann“. Damit seien die „Verbindungen außerhalb der großen Drehkreuze“ gesichert.

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