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Plötzlich versagen die Bremsen

Dutzende Szenarien hat das Media Lab des Massachusetts Institute of Technology (MIT) ausgearbeitet, in denen ein selbstfahrendes Auto eigenständig über Leben und Tod entscheidet. In dem Onlineprojekt „Moral Machine“ können User laut deutschem „Spiegel“ die fiktiven, nicht unwahrscheinlichen Situationen durchgehen - und sehen sich vor einem moralischen Dilemma.

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Das Grundszenario ist stets unverändert: Ein Roboterauto fährt auf einen Zebrastreifen zu, plötzlich versagen die Bremsen. Just in diesem Moment überqueren in einem Fallbeispiel sowohl fünf Menschen auf der einen Seite als auch fünf Katzen auf der anderen Seite den Zebrastreifen. Der User und letztlich das Auto müssen sich entscheiden, wer sterben muss. Während dieses Beispiel noch wenig ethisch belastend ist, werden die Szenarien immer fordernder.

13 Szenarien pro Testlauf

Überfährt das Fahrzeug fünf Passanten, darunter eine Schwangere, ein Krimineller und ein Jogger, oder zerschellt es mit drei Insassen an einer Betonwand? Rast es auf vier Kinder oder auf vier Erwachsene zu? Tötet es einen Mann und zwei Buben oder eine Frau und zwei Mädchen? Kommen mehrere Obdachlose oder einige gut situierte Menschen ums Leben?

Grafik zum Verhalten von selbstfahrenden Autos

MIT Media Lab

Die User der „Moral Machine“ stehen vor einer schwierigen Entscheidung

Jeweils 13 Szenarien stehen pro Testdurchlauf zur Verfügung, am Ende gibt es eine nüchterne statistisch Auswertung. Moralische Einschätzung wird keine vorgenommen. Der Umgang mit der „Moral Machine“ ist zwar spielerisch, letztlich wird aber von Fall zu Fall entschieden, wer sterben muss und wer überleben darf. Das müssen hinkünftig selbstfahrende Autos selbst übernehmen.

Tödlicher Unfall mit Teslas Fahrassistenzsystem

Die Debatte darüber, inwieweit Roboterautos überhaupt in der Lage sind, im Ernstfall lebensrettende Entscheidungen zu treffen, ist erst diesen Sommer wieder hochgekocht. Anfang Juli war der US-Elektroautokonzern Tesla nach einem tödlichen Unfall mit seinem Fahrassistenzsystem „Autopilot“ in die Kritik geraten. Nach bisherigen Informationen hielt das System einen Lastwagenanhänger, der die Fahrbahn überquerte, vermutlich für ein hoch hängendes Autobahnschild und bremste deswegen nicht ab.

Tesla betont allerdings, dass „Autopilot“ die Fahrzeuge nicht zu selbstfahrenden Autos mache und die Fahrer immer den Überblick über die Verkehrslage behalten müssten. Die Diskussion über Künstliche Intelligenz und darüber, wie sich diese verhalten soll, wird freilich schon seit Jahrzehnten geführt.

Asimovs Robotergesetze von 1942

Bereits 1942 setzte der US-amerikanische Biochemiker und Science-Fiction-Autor Isaac Asimov seine legendären Robotergesetze auf. Deren erster Grundsatz besagt, dass ein Roboter (nichts andere ist ja ein selbstfahrendes Auto) kein menschliches Wesen verletzen oder durch Untätigkeit zulassen darf, dass einem menschlichen Wesen Schaden zugefügt wird. Ist das Resultat einer seiner Entscheidungen in jedem Fall letal, so sieht sich auch die Maschine vor ein ethisches Problem gestellt.

Dennoch wollen auch große Automobilhersteller in das Geschäft mit den selbstfahrenden Autos einsteigen. BMW und zuletzt auch Ford legten sich auf das Jahr 2021 für die Markteinführung ihrer selbstfahrenden Autos fest. VW-Digitalchef Johann Jungwirth hält gar den Führerschein für überflüssig. „Ich bin der festen Überzeugung, dass meine Kinder keinen Führerschein mehr brauchen“, sagte er unlängst.

„Das nächste große Ding“ für die Autobranche

Selbstfahrende Fahrzeuge seien „das nächste große Ding“ für die Autobranche. Was im 20. Jahrhundert noch der Motor war, seien im 21. Jahrhundert die „Self-Driving-Systeme“. Diese Systeme, die Autos ohne Fahrer lenken, reihen sich nach Ansicht Jungwirths in die großen Kernerfindungen der Menschheit wie Dampfmaschine, Eisenbahn und Elektrizität ein.

In der Schweiz etwa werden bereits jetzt fahrerlose Linienbusse getestet. Anders als beim Google-Auto, in dem bisher nur Experten mitfahren, kann hier jedermann gratis einsteigen. Und Ende August nahmen im Stadtstaat Singapur die ersten selbtfahrenden Taxis ihren Dienst auf - eine Weltpremiere. Die sechs Autos fahren auf einem vier Quadratkilometer großen Forschungscampus feste Haltepunkte an, um Passagiere ein- und aussteigen zu lassen. Angefordert werden sie per Smartphone-App.

Selbstfahrende Taxis in ganz Singapur ab 2018

Hinter dem Projekt steht das US-Start-up Nutonomy, das die Software für die autonom fahrenden Autos liefert. Das Unternehmen will die Taxis im Jahr 2018 in ganz Singapur auf die Straßen bringen. Der nun gestartete Versuch biete die Möglichkeit, „in einer realen Umgebung Feedback von den Fahrgästen zu sammeln“, sagte Nutonomy-Chef Karl Iagnemma.

Selbstfahrendes Taxi von nuTomony

APA/AP/Yong Teck Lim

In Singapur sind die weltweit ersten selbstfahrenden Taxis in Betrieb

Doch auch wenn es in den Autos von Renault und Mitsubishi keinen Fahrer gibt, ist während der Testphase immer ein Mitarbeiter von Nutonomy an Bord, der das Fahrverhalten überwacht und notfalls eingreifen kann. Der menschliche Faktor scheint also immer noch entscheidend zu sein. Das Start-up schlägt mit dem Beginn der Testphase großen Konkurrenten wie Uber und Google jedenfalls ein Schnippchen.

Der Fahrdienstvermittler Uber hat angekündigt, Ende August die ersten fahrerlosen Autos in der US-Metropole Pittsburgh rollen zu lassen. Die Google-Mutter Alphabet wiederum hofft, dass ihre gemeinsam mit Fiat Chrysler entwickelten selbstfahrenden Autos Ende des Jahres einsatzbereit sind.

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