„Brexit“-Unterhändler der EU-Kommission
Herzlich geht anders. Als Michel Barnier Ende Juli zum „Brexit“-Unterhändler der EU-Kommission erkoren wurde, schallten vor allem Schmähungen über den Ärmelkanal. „Das ist Junckers Rache an Großbritannien“, sagte ein Banker der „Financial Times“ („FT“). Von Provokation war die Rede und sogar von einer Kriegserklärung.
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Der ehemalige französische Minister und EU-Kommissar hat am Samstag sein neues Amt angetreten. Seine Mission: möglichst schmerzfreie Bedingungen für das Ausscheiden Großbritanniens aus der Europäischen Union aushandeln. Die nach dem „Brexit“-Votum im Juni erhitzten Gemüter sind inzwischen etwas abgekühlt. Dennoch dürfte es spannend werden, wenn der als „Eurokrat“ verpönte Franzose auf die „Brexiteers“ in London trifft.
Mit seinem britischen Widerpart David Davis soll den 65-jährigen Wirtschaftsexperten eine seit Jahrzehnten kultivierte Abneigung verbinden - auch wenn beide konservativen Parteien entstammen und ähnlich lange im Politikbetrieb Karriere machten. Seinen Ruf als „Briten-Fresser“ hat sich Barnier vor allem als EU-Kommissar erworben.
Juncker: „Ich bin sehr froh“
Nach einer ersten Amtsperiode als Kommissar für Regionalpolitik von 1999 bis 2004 kehrte er 2010 mit dem Portfolio Binnenmarkt und Dienstleistungen in die Brüsseler Machtzentrale zurück. Es war die Zeit der großen Finanzkrise, und Barnier profilierte sich als Bankenregulierer. Die mächtige City of London nervte er unter anderem mit einem Vorstoß zur Deckelung von Bonuszahlungen. Die Banker stöhnten denn auch hörbar auf ob Barniers Ernennung zum „Brexit“-Unterhändler. „Ich wüsste nicht, was schlimmer sein könnte“, zitierte die „FT“ einen nicht genannten Bankenmanager.
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ist dagegen stolz darauf, den stattlich ergrauten Politprofi für die komplizierten und auf Jahre angelegten Verhandlungen mit den abtrünnigen Briten gewonnen zu haben. „Ich bin sehr froh, dass mein Freund Michel Barnier diese wichtige und fordernde Aufgabe angenommen hat“, sagte Juncker nach der Nominierung. „Ich wollte einen erfahrenen Politiker für dieses schwierige Unterfangen.“
Zauberformel gesucht
Schwierig ist es vor allem deshalb, weil die Briten auch nach der Trennung im Interesse der Wirtschaft möglichst Teil des europäischen Binnenmarkts bleiben sollen, aber eine wichtige Bedingung der EU ablehnen: die Freizügigkeit von EU-Bürgern. Gesucht wird also eine Art Zauberformel, die die Scheidungskosten auf beiden Seiten niedrig hält.
Makellose Karriere
Dem 1951 nahe Grenoble geborenen Barnier traut man das in Brüssel offenbar zu. Seine politische Karriere, angefangen von seinem ersten Mandat 1976 in Savoyen, gilt als nahezu makellos. Viermal war er seit 1993 französischer Minister. In Brüssel absolvierte er zwischen seinen Amtszeiten als Kommissar auch kurze Etappen im EU-Parlament und als Vizepräsident der konservativen Europäischen Volkspartei.
Ideologisch war er aber nie so festgelegt, dass ihn nicht auch der Sozialist Francois Hollande als loyalen Verbündeten sehen könnte. „In Brüssel hat er einen starken Ruf, er ist sehr bekannt und verfügt über ein dichtes Netzwerk, das weit über die Konservativen hinausgeht“, bemerkte Hollandes Europaberater Philippe Leglise-Costa unlängst im Magazin der französischen Zeitung „Le Monde“. „Er wurde für die EU-Institutionen zu einem der Verantwortlichen, die zählen.“
Über seine neue Aufgabe äußert sich Barnier selbst bisher nur sehr allgemein, zumal Großbritannien sein offizielles Trennungsgesuch frühestens nächstes Jahr einreichen will. Anfang September sagte er nach Angaben von Teilnehmern bei einer Veranstaltung in Brüssel, er setze alles auf eine Einigung mit den Briten. Die Beziehungen sollten eng bleiben. Und er könne es kaum erwarten, mit den Gesprächen zu beginnen.
Fehlende Englischkenntnisse
Dass er dann mangels Englischkenntnissen Verständigungsprobleme haben könnte, will er nicht gelten lassen. „Das berührt mich nicht, weil es falsch ist“, sagte Barnier dem „Le Monde“-Magazin. „Ich habe seit Jahren Dutzende Reden in Englisch gehalten.“
Auch die Vorhaltung, er habe überhaupt keinen Humor, lässt der hochgewachsene Vater dreier Kinder nicht gelten. „Beim Humor habe ich Fortschritte gemacht“, versicherte er lächelnd. „Aber sagen wir, dass ich noch Spielraum habe.“ Doch sei es ja nicht vordringlichste Aufgabe von Politikern, andere zu unterhalten.
Verena Schmitt-Roschmann und Christian Böhmer, dpa
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