Kleine Fische, große Gefühle
In den USA hat „Findet Dorie“ schon alle Rekorde gebrochen. Nun startet das Spin-off des Pixar-Animationshits „Findet Nemo" auch in Österreich. Eine vergessliche Fischdame stellt sich existenzielle Fragen wie: Wo komme ich her? Wer sind meine Eltern? Wann habe ich gelernt, perfekt Walisch zu sprechen? Und Nina Proll amtiert als Stimme der plappernden Perlmuschel Perlina mit österreichischem Idiom.
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Wir befinden uns im Jahr eins nach dem Happy End von „Findet Nemo“. Längst ist der spektakulär abhanden gekommene Clownfisch-Bub mit Papa Marlin und dem Paletten-Doktorfisch-Mädchen Dorie wieder vereint. Nichts trübt die Idylle im Korallenriff, dem Habitat der flossigen Freunde. Fast nichts. Denn Dorie leidet immer noch an einer Art Demenz für sehr Junge, oder wie Dorie es formuliert: „Gedächtnis-ver-schwund“.

2016 Disney Pixar
Gefahren lauern auf Dorie überall
Prompt fällt es dem vergesslichen Fisch eines Tages wie Schuppen von den Kiemen: Wo sind eigentlich Mama und Papa geblieben? Und vor allem: Wie kann ich sie wiederfinden? Natürlich mit einer umgehend zu startenden Expedition.
Bayrisch parlierende Seerobben
Dass Nemos Papa Einwände hat, ist nachvollziehbar: „Der einzige Grund zu verreisen, ist, dass man dort dann nie wieder hin muss“, macht er seine Abneigung gegenüber neuerlicher Schwarmmobilität deutlich. Ihm ist die nervenzerfetzende Rettungsaktion für Nemo noch zu gut im Gedächtnis. Doch Dorie ist nach ihrem Geistesblitz nicht zu bremsen.
Eine wahnwitzige Odyssee durch die kalifornische Unterwasserwelt mit zahlreichen exzentrischen Bewohnern ist die Folge: Ein wandlungsfähiger, wenn auch misanthropischer Polyp, bairisch parlierende Seerobben und ein Belugawal mit gestörter Echolotfunktion gehören zum liebenswerten Personal rund um die an Amnesie leidende Dorie.
Proll mit Wiener Schmäh
Der neue Unterwasserspaß von Regisseur Andrew Stanton schwimmt im Fahrwasser von „Findet Nemo“ und taucht als Spin-off des einstigen Animationswunderwerks nun in 3-D und mit einem fast feministischen Genderswitch wieder auf: Ex-Star Nemo ist zum Zierfisch degradiert, die einstige Nebendarstellerin Dorie hat, zur Hauptdarstellerin graduiert, ihren großen Auftritt. Im Original von Ellen DeGeneres gesprochen, leiht in der deutschen Synchronisation Anke Engelke dem zerstreuten Fischmädchen ihre Stimme.

2016 Disney Pixar
Perlina schiebt eine Wuchtel nach der anderen - mit Nina Prolls Stimme
Das Highlight für heimische Konsumenten der Disney/Pixar-Produktion: Proll gibt die Synchronstimme der plappernden Perlmuschel Perlina und legt sie als Schmähtandlerin im Wiener Slang an. „Seid’s es deppat?“ höre sich eben witziger an als „habt ihr sie nicht alle“, erklärte der Star im Interview mit ORF.at die subversive Energie heimischer Kraftausdrücke.
„Der Dialekt hat immer mehr Kraft als das neutrale Hochdeutsch. Ich spiele und singe auch gerne im Dialekt. Es hat immer mehr ‚punch‘. Und mehr Humor! Es gibt Witze, die funktionieren nur im Dialekt und nicht auf Hochdeutsch.“ Dort entlade sich „eine Spannung, Energie, vielleicht sogar Aggression, die man mit normalen Worten nicht rüberbringt. Das ist im normalen Leben so und auf der Bühne genauso.“
Surfen auf der Erfolgswelle
Schon 2003 surfte der von einer animalischen Armada gesuchte Clownfisch auf der Erfolgswelle: „Findet Nemo“ fuhr nicht nur einen „Oscar“ und multiple Millionen ein, der Pixar-Hit aus dem Hause Disney löste auch eine veritable Hysterie um seinen Hauptdarsteller aus. Weltweit erbettelten minderjährige Fans ein Exemplar des herzigen Meeresbewohners in natura fürs eigene Kinderzimmer.
13 Jahre nachdem Nemo die Massen enthusiasmierte, hat Disney 200 Millionen Dollar für das aktuelle Spin-off springen lassen. Ein lukratives Investment: Schon vor dem Österreich-Start hat „Findet Dorie“ sämtliche Rekorde gebrochen.
In den USA legte er das historisch beste Startergebnis eines Animationsfilms hin und ist aktuell mit knapp 484 Millionen Dollar am Boxoffice der erfolgreichste „Trickfilm“ aller Zeiten. Verwies „Shrek 2“ und den Brüller „König der Löwen“ auf die Ränge. Weltweit hat der Animationsfilmhit des Jahres bisher knapp 962 Millionen Dollar eingespielt. Die Kritiken fielen großteils wohlwollend bis euphorisch aus. „Variety“ hat das Werk sogar als heißen Anwärter für die Oscars ins Gerede gebracht.
„Zufluchtsort“ Disneyland
Disney hat seine Vorherrschaft im Genre einmal mehr eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Doch wie macht das Animationshaus das eigentlich? Proll analysiert für ORF.at das Phänomen: „Ich bin mit ‚Cinderella‘, ‚Aristocats‘ und ‚Dschungelbuch‘ aufgewachsen und habe das geliebt. Für mich waren das immer Zufluchtsorte. Das kann man anschauen in dem Wissen, es wird alles gut. Jeder Film hat seine Message. Es geht oft um Identität, die Frage: Wie finde ich meinen Weg? Das ist beim ‚Dschungelbuch‘ faszinierend. Mogli findet, aufgewachsen unter Tieren, die Familie, zu der er eigentlich gehört, als Menschenkind.“

2016 Disney Pixar
Dorie macht sich auf den Weg - gemeinsam mit einer charmanten Truppe
Auch Dorie stelle Grundsatzfragen der Identität, die jeden beträfen: „Disney schafft es, in 90 Minuten diese Fragen zu beantworten oder diese Geschichte zu erzählen. Immer mit einem positiven Ausgang. Mit der positiven Nachricht: Ja, wenn du an dich glaubst, kannst du es schaffen. Du musst nur an dich glauben, dann wird alles gut.“
Leise Töne und furioses Finale
Das aktuelle Abenteuer punktet denn auch mit jener Kunstfertigkeit, die Disney am besten beherrscht - wenn auch einer Kunst, die weniger Wohlwollende unter Kitsch subsummieren: auf der Klaviatur der Emotionalität den Takt anzugeben.
Beim Storytelling nimmt man sich Zeit, in Fahrt zu kommen, entwickelt dann aber immer mehr inszenatorisches Tempo und endet in einem furiosen Finale. Nicht ganz so witzig wie der Ur-„Nemo“, und vielleicht einen Tick weniger originell, entfaltet Dorie mit einiger Herzenswärme doch einen eigenen Charme. Animationstechnisch befindet man sich sowieso auf allerhöchstem Niveau.
Fazit: Nicht ganz so fein ziseliert wie Ausnahmewerke der Marke „Oben“ - das übrigens in einer meisterlichen Synchronisation von Otto Schenk als Misanthrop Carl Fredricksen auf Österreichisch verfügbar ist -, bietet das bunte Unterwasserspektakel doch rundum gelungene, sympathische, rasante und ausreichend freche Familienunterhaltung, dem berühmten Vorgänger „Nemo“ durchaus würdig.
PS: „Findet Dorie“ hätte durchaus eine eigene österreichische Synchronfassung vertragen und verdient. Ein bisserl mehr von Proll und ihren Austriazismen hätten es schon sein dürfen. Dass das österreichische Idiom zumindest in homöopathischer Dosis im Mainstream-Popkultur-Universum des Kinos überhaupt noch verabreicht wird, ist aber immerhin bemerkenswert.
Nadja Sarwat, für ORF.at
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