Beide Seiten werben um Ja-Stimmen
Die Vereinbarung, mit der der 52 Jahre lang dauernde Bürgerkrieg in Kolumbien beendet werden soll, ist in mehrerlei Hinsicht besonders: Selten hat ein Friedensvertrag mehr Gräben überwunden und beiden Seiten so harte Zugeständnisse abverlangt. Vor allem aber macht den Vertrag besonders, dass das Volk als Souverän entscheidet, ob Frieden geschlossen oder weitergekämpft werden soll.
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Die Unterzeichung des Friedensvertrags, auf den sich die die kolumbianische Regierung und die marxistischen FARC-Rebellen seit 2012 in kleinsten Schritten zubewegt haben, wurde am Montag als großer Staatsakt gefeiert. Im Beisein von zahlreichen Staats- und Regierungschefs sowie UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon besiegelten Präsident Juan Manuel Santos und FARC-Kommandeur Rodrigo Londono alias „Timochenko“ in Cartagena de Indias an der kolumbianischen Karibik-Küste das Friedensabkommen. Am Wochenende entscheidet das Volk, ob das Papier etwas wert ist.
Fast eine Viertelmillion Tote
Die noch rund 8.000 Kämpfer der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) sollen in 28 Zonen ihre Waffen abgeben. Auch die kleinere Rebellengruppe ELN stellte am Montag in Aussicht, aus freien Stücken dem Friedensvertrag beizutreten. In dem Konflikt zwischen Militär, rechten Paramilitärs und linken Guerillagruppen wurden über 220.000 Menschen getötet, rund sechs Millionen Menschen wurden aus ihren Orten vertrieben.

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Kämpfer der FARC in einem Lager
Der Konflikt gilt als der älteste in Lateinamerika. Die Rebellen hatten 1964 zu den Waffen gegriffen, um gegen das Elend der armen Landbevölkerung zu protestieren. Fünf Jahre zuvor war der Sieg der kubanischen Revolution zum Vorbild für zahlreiche linke Guerillagruppen auf dem ganzen Kontinent avanciert. Über die Jahre wurde der Konflikt jedoch de facto ein zunehmend apolitisches Ringen um Macht, finanziert vor allem auch durch Drogenhandel.
Vom Erzfeind zum Abgeordnetenkollegen
Beide Konfliktparteien waren mit den Bedingungen für das Abkommen über ihren Schatten gesprungen: Beide bekannten sich zu Gräueltaten während des Bürgerkriegs, die nun von einem Sondertribunal verhandelt werden sollen. Die Taten sind jedoch mit höchstens acht Jahren Gefängnisstrafe bedroht, was ein politisches Ausschlachten von Sühnegedanken ausschließt und vor allem den Opfern und Hinterbliebenen einiges abverlangt.

Reuters/Enrique de la Osa
Kolumbiens Regierungschef Juan Manuel Santos und FARC-Kommandant Timoleon „Timochenko“ Jimenez mit Kubas Staatschef Raul Castro, der als Mittler fungierte
Für einen Aufschrei der FARC-Gegner sorgte wiederum die Einbindung der Rebellen in das Parlament - vorerst sogar ohne Wahl mit einer Mindestzahl von Abgeordnetensitzen. Die kolumbianische Regierung leistete nach Kräften Überzeugungsarbeit dafür, dass anders eine Einbindung der FARC in demokratische politische Prozesse nicht möglich sei. Die FARC-Rebellen willigten ihrerseits ein, ihre Entwaffnung von der UNO überwachen zu lassen.
Gegner des Abkommens erhalten Zulauf
Schwer das kolumbianische Budget belasten werden außerdem jene Maßnahmen, die die ursprünglichen politischen Forderungen der FARC aus den 60er Jahren erfüllen sollen: Millionen Hektar von Land werden an FARC-Anhänger de facto verschenkt, Billigkredite mit staatlicher Stützung für die Landbevölkerung kommen noch dazu. Gegner des Deals argumentierten, dass das unnötig sei und gerade in jüngster Zeit ein militärischer Sieg gegen die Rebellen so möglich geschienen habe wie noch nie.
Die Zustimmung zum Friedensabkommen ist damit alles andere als abgemacht: Laut Umfragen will über ein Drittel der Wahlberechtigten dagegen stimmen und nur rund die Hälfte der Bevölkerung zustimmen. Der Rest ist noch unentschieden. Mit dem Bekanntwerden der Details aus dem Friedensabkommen konnte das Lager seiner Gegner zudem deutlichen Zulauf verzeichnen. Seit Wochen werben beide Konfliktparteien geeint um die Zustimmung der Bevölkerung. Noch am Montag kritisierte der frühere kolumbianische Staatschef Alvaro Uribe den Friedensvertrag während einer Demonstration mit rund 2.000 Teilnehmern scharf.
Symbolhafter Ort für Unterzeichnung
Betont staatstragend und symbolbehaftet fällt angesichts des bevorstehenden Referendums auch die Unterzeichnungszeremonie aus: Die malerische Stadt Cartagena war die Wirkungsstätte des katalanischen Jesuiten San Pedro Claver, der hier im 17. Jahrhundert afrikanischen Sklaven geholfen und sich für ein friedvolles Miteinander starkgemacht hatte. Claver wurde 1888 heiliggesprochen und gilt als der Schutzheilige Kolumbiens, er wird im Land als Patron der Menschenrechte verehrt.

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Cartagena
Frieden als gute Rechnung
Sowohl FARC als auch Regierung müssen vor allem darauf bauen, dass die 48 Millionen Kolumbianer des Konflikts so überdrüssig sind, dass Rachegedanken und Kalkül dahinter verblassen - noch dazu, da sich das Land damit jahrzehntelang den wirtschaftlichen Aufschwung selbst verunmöglicht hat. Schon ein vorläufiger Waffenstillstand machte sich positiv bemerkbar: 2015 legte die Wirtschaftsleistung um 3,1 Prozent zu, 2016 dürfte das Wachstum ähnlich ausfallen. Die Armut in der Bevölkerung sank zugleich.
Bisherige Konfliktgebiete können künftig für den Anbau vor allem von Kaffee, Bananen, Palmöl und Schnittblumen genutzt werden, auch die Bauwirtschaft könnte profitieren. Bisher brachliegende Vorkommen von Öl und Kohle harren der Nutzung, zudem gilt Kolumbien als ungeschliffener Diamant unter den touristischen Destinationen. Auch kann die Regierung künftig pro Jahr rund 7,35 Milliarden Euro ausgeben, die der Kampf gegen die FARC bisher gekostet hat.
EU will FARC von Terrorliste nehmen
Die Europäische Union hat am Montagabend angekündigt, die FARC von der Terrorliste nehmen zu wollen. Die Entscheidung werde mit der Unterzeichnung des Friedensvertrags in Kraft treten. Gegen Personen und Körperschaften auf der Liste sind unter anderem Vermögenssperren in Kraft. „Heute sendet Kolumbien eine Botschaft der Hoffnung an den Rest der Welt“, so die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini Sie kündigte zudem die Gründung eines Treuhandfonds mit einem Umfang von 600 Millionen Euro an, an dem sich viele EU-Staaten beteiligen wollten.
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