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Die Sogkraft der Hauptstädte

Die EU-Statistikbehörde Eurostat hat eben erst ihr Jahrbuch über Zustand und Zukunft der insgesamt 322 „NUTS-2“-Regionen, darunter die neun Bundesländer, veröffentlicht. Dabei zeigt sich, dass Europa weiter altert und sich die Urbanisierung beschleunigt. In Österreich heißt das nur für Wien Positives.

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Denn Wien ist bei den zehn größten Gewinnern dabei - mit einem erwarteten Anstieg von 44 Prozent. Das größte Plus wird laut Eurostat die spanische Exklave in Afrika, Melilla, mit 127 Prozent verzeichnen. Luxemburg und Brüssel kommen mit 87 und 83 Prozent einer Verdoppelung ihrer Bevölkerung nahe. Inner London/Ost und Stockholm werden ebenfalls um deutlich mehr als die Hälfte zunehmen.

Grafik zur Altersquote

Grafik: ORF.at; Quelle: Eurostat

Triste Aussichten für den Osten

Für viele europäische Regionen sind die Aussichten dagegen trist: Ganze Landschaften werden bis 2050 regelrecht entvölkert werden. In drei Regionen wird die Bevölkerung fast halbiert werden. Neben der südwestbulgarischen Verwaltungseinheit Severozapaden sind das die beiden ostdeutschen Regionen Sachsen-Anhalt und Chemnitz. Insgesamt finden sich gleich sechs deutsche Regionen, darunter auch Koblenz, unter den Top Ten der Bevölkerungsverlierer. Generell gilt, dass Osteuropa stärker vom negativen Trend betroffen ist.

Viele im arbeitsfähigen Alter

Die Bevölkerungsentwicklung und die sich verstärkende Urbanisierung in der EU hilft Wien auch bei einem weiteren wichtigen Statistikwert - dem Verhältnis 65-plus-Jähriger zur Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter (15 bis 64 Jahre). Auch hier wird sich Wien laut der Prognose im Jahr 2050 auf Platz zehn befinden - sollte der „Brexit“ bis dahin vollzogen sein, sogar auf Platz sieben. Wien kommt beim Altenquotienten auf 31 Prozent - auf einen Pensionisten kommen damit rein statistisch mehr als drei Personen im erwerbsfähigen Alter. In Brüssel wird das Verhältnis 1:4 sein.

Grafik zur Altersquote

Grafik: ORF.at; Quelle: Eurostat

Die Schlusslichter der 322-Regionen-Tabelle bilden laut Bericht fünf ostdeutsche Bundesländer. In vier von ihnen wird auf jeden Erwerbsfähigen mindestens ein Mensch im Alter von 65 oder mehr kommen. Das bedeutet eine enorme Belastung des Sozialsystems - anders ausgedrückt: hohe Kosten bei Gesundheits- und Pensionsausgaben.

Kärnten als Gegensatz zu Wien

In Österreich bildet dagegen Kärnten beim Altenquotienten den Gegenpol zu Wien: Das südliche Bundesland weist mit 66,4 Prozent mit Abstand den höchsten Wert auf, gefolgt vom Burgenland und von Niederösterreich.

Grafik zur Altersquote

Grafik: ORF.at; Quelle: Eurostat

Großstädte werden in Europa immer mehr zum Anziehungspunkt und führen dazu, dass die umliegenden Regionen stärker an solche Bevölkerungs- und Arbeitsplatzmagnete gebunden werden. Das auch auf EU-Ebene relevante heimische Beispiel dafür ist das Verhältnis von Wien zu Niederösterreich (und dem Burgenland). Wien gehört neben London und Brüssel zu den Hauptstädten mit der höchsten Rate an Arbeitnehmern, die in die Stadt einpendeln. 28,1 Prozent der Niederösterreicher machen sich laut Eurostat zur Arbeit nach Wien auf.

Mehrheitlich männlich und gut gebildet

Pendler sind, diese Tendenz gilt - mit Abstufungen - EU-weit, mehrheitlich männlich, zwischen 25 und 54 Jahren alt, besser gebildet und überwiegend im Dienstleistungssektor tätig. EU-weit gilt, dass das überwiegende Gros der Pendelei zwischen Regionen innerhalb des jeweiligen Staates erfolgt. Bei den Regionen mit grenzüberschreitenden Pendlern findet sich Vorarlberg, das traditionell viele Auspendler in die Schweiz aufweist, auf Platz 19.

Klar ist bereits jetzt, dass sich der Trend wohl verstärken wird: In Wien wird sich laut Prognose der Statistik Austria im Vergleich zu heute relativ an der Altersstruktur wenig ändern - anders als in vielen anderen Regionen kommt die Alterspyramide aber nicht noch mehr ins Wanken. In absoluten Zahlen wird aber nicht nur Wien wachsen, sondern auch der Speckgürtel und das Pendeln. Denn einer der Hauptgründe dafür, dass Menschen ins Umland von Großstädten ziehen, sind die hohen Wohnkosten. Und die werden gerade in Städten wie Wien auch in Zukunft nicht sinken.

Guido Tiefenthaler, ORF.at

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