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EU bemüht sich um Neustart

Die EU will einen Neustart wagen und bürgernäher werden. „Wir sind entschlossen, mit 27 Mitgliedsstaaten einen Erfolg aus der EU zu machen“, hieß es in der Abschlusserklärung des Sondergipfels von Bratislava am Freitag. Großbritannien war dort nach dem „Brexit“-Votum Ende Juni nicht vertreten. Größtes Streitthema ist und bleibt die Flüchtlingspolitik - wie sich einmal mehr nach dem Treffen zeigte.

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Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban bezeichnete den informellen Sondergipfel der EU in der slowakischen Hauptstadt als Misserfolg. „Er war insofern erfolglos, als dass es nicht gelungen ist, die Einwanderungspolitik Brüssels zu ändern“, sagte der rechtskonservative Politiker nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur MTI am Freitagabend.

„In der Union ist weiterhin dieselbe selbstzerstörerische und naive Einwanderungspolitik vorherrschend wie bisher“, so Orban. „Selbst jetzt sprach man immer noch mehr über die Beschleunigung der Verteilung (von Flüchtlingen) als über das Stoppen der Migranten an den Schengener (Außen-)Grenzen.“

Bulgarien erhält EU-Hilfe bei Grenzschutz

Als einzigen Erfolg bezeichnete Orban, dass beschlossen wurde, Bulgarien mit konkreter Hilfe zu unterstützen. „Denn an der bulgarischen Grenze (zur Türkei) steigt der Druck, und die Verteidigungskosten sind enorm“, sagte er. Die EU-Kommission habe am Freitag beschlossen, der Regierung in Sofia 108 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen, sagte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in Bratislava. Der Betrag solle möglichst auf 160 Millionen Euro wachsen. Zudem werden 200 Frontex-Beamte und 50 Fahrzeuge an die bulgarische EU-Außengrenze geschickt.

Großer Gipfel in Bratislava

Bei ihrem Treffen in Bratislava wollten die Staats- und Regierungschefs der EU die Union nach dem „Brexit“-Votum und dem Streit über die Flüchtlingspolitik wieder auf Kurs bringen.

Kern: Bei Fluchtursachen ansetzen

Unter den entsandten Grenzschützern werden „keine oder nur marginal österreichische Kräfte sein“, sagte Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) nach dem Treffen. Kern begründete das mit den begrenzten Ressourcen im Innenministerium. Denn bereits jetzt seien österreichische Polizisten etwa an der slowenisch-kroatischen und der ungarisch-serbischen Grenze im Einsatz. „Unsere Möglichkeiten sind hier nicht endlos und wir haben auch Sicherheitsfragen im Inland zu lösen“, so der Bundeskanzler.

Aufgabe der Frontex-Beamten soll zunächst eine Sicherung der bulgarisch-türkischen Grenze und damit der EU-Außengrenze sein. Später könnte ihr Einsatzgebiet jedoch „auf andere Länder und Grenzen“ ausgeweitet werden, sagte Kern auf eine entsprechende APA-Frage. Denn bisher „war die Erfahrung mit den Migrationsbewegungen, dass, wenn man an einer Grenze verstärkte Schutzmaßnahmen vorgenommen hat, waren die Wanderungsströme ja nicht weg, sie haben sich bloß verlagert“, so der Bundeskanzler.

Auch deshalb will die EU künftig einmal mehr versuchen, bei den Fluchtursachen in den Herkunftsländern anzusetzen. Dem Beispiel des EU-Türkei-Deals folgend solle bis Ende des Jahres der Grundstein für ähnliche Abkommen mit Niger, Nigeria, Senegal, Mali und Äthiopien gelegt werden, sagte Kern. Die EU-Kommission will hier insgesamt Investitionen im Höhe von acht Mrd. anstoßen, bis Dezember soll nun entschieden werden „in welchem Land in welchem Umfang“, so Kern.

Visegrad-Vorschlag für Merkel „positiver Ansatz“

Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel versuchte unterdessen, den Visegrad-Staaten in Sachen Flüchtlingspolitik entgegenzukommen. Ungarn, Polen, Tschechien und die Slowakei hatten zuvor am Rande des Treffens eine eigene Erklärung veröffentlicht, in der es heißt, die EU-Mitgliedsstaaten sollten entsprechend „ihrer Erfahrung und ihres Potenzials“ entscheiden dürfen, wie sie in der Flüchtlingskrise helfen wollen. Um zu kontrollieren, wer sich in der EU aufhält, fordern die Visegrad-Staaten zudem ein Einreiseverfahren, wie es in den USA üblich ist, wo alle Daten bereits vor einem Besuch mitgeteilt werden müssen. Generell sei der Grenzschutz ein „effektiver Weg zum Kampf gegen illegale Einwanderung“.

Merkel begrüßte die Forderung nach einer „flexiblen Solidarität“. Sie sehe in der Forderung der vier Länder, „flexibel vorzugehen, aber immerhin Lösungen zu suchen, durchaus einen positiven Ansatz“, sagte Merkel. Es müsse mit diesen Staaten geklärt werden, „was sie sich genau vorstellen“. „Wir müssen ja am Ende alle zu Lösungen kommen“, sagte Merkel. Europa sei immer darauf angewiesen, Kompromisse zu finden.

Die vier postkommunistischen Staaten boten zudem an, die EU-Grenzschutzagentur Frontex stärker zu unterstützen. Sie sind seit Beginn der Flüchtlingskrise auf Konfrontationskurs zur Politik von Merkel. Ungarn und die Slowakei haben gegen den vor einem Jahr gefassten Mehrheitsbeschluss der EU-Innenminister geklagt, 120.000 Flüchtlinge aus den Hauptankunftsländern Griechenland und Italien auf die anderen EU-Staaten zu verteilen.

Tusk rechnet Anfang 2017 mit „Brexit“-Antrag

Neuigkeiten gab es nach dem EU-Gipfel auch in Sachen „Brexit“: Die britische Regierung wird nach Angaben von EU-Ratspräsident Donald Tusk wohl Anfang 2017 den Austritt aus der Europäischen Union beantragen. Die britische Regierungschefin Theresa May habe bei seinem Besuch in London kürzlich sehr offen darüber geredet, dass es fast unmöglich sei, den Austritt noch dieses Jahr zu beantragen. „Aber es ist ziemlich wahrscheinlich, dass sie vielleicht im Jänner, vielleicht im Februar nächsten Jahres bereit sind“, sagte Tusk.

Für den Austritt ist ein förmlicher Antrag nach Artikel 50 der Europäischen Verträge nötig. Vorher will die übrige EU auch nicht darüber verhandeln, wie die Beziehungen zu London künftig gestaltet werden.

Bratislava als „Beginn des Prozesses“

Ungeachtet des bevorstehenden Austritts der Briten wollten die 27 verbliebenen Mitgliedsstaaten „in den kommenden Monaten die Vision einer attraktiven EU“ schaffen. Dazu gibt es einen „Fahrplan“ für Projekte etwa im Bereich des Grenzschutzes, der Verteidigung und im Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit.

„Obwohl ein Land beschlossen hat auszutreten, bleibt die EU unverzichtbar für den Rest von uns“, heißt es in der „Erklärung von Bratislava“. „Die EU ist nicht perfekt, aber sie ist das beste Instrument, das wir haben, um die Herausforderungen anzugehen, denen wir gegenüberstehen.“ Die EU müsse nicht nur Frieden und Demokratie garantieren, sondern „auch die Sicherheit ihrer Bürger“.

Zudem versprachen die Staaten, „die Kommunikation untereinander zu verbessern“, aber auch mit den EU-Institutionen und den -Bürgern. Ziel müsse es sein, sich „mit starkem Mut“ gegen „vereinfachende Lösungen von extremen oder populistischen politischen Kräften“ zu stellen. Bratislava ist dabei „der Beginn des Prozesses“, heißt es.

Erste Ergebnisse im März 2017

Fortgesetzt soll die Arbeit bei den regulären EU-Gipfeln im Oktober und Dezember, aber auch bei einem informellen Gipfel der EU-27 im nächsten EU-Ratsvorsitz von Malta Anfang 2017 werden. Erste konkrete Ergebnisse wollen die 27 EU-Staaten Ende März vorweisen, wenn sie in Rom den 60. Jahrestag der Römischen Verträge feiern, mit denen die EU-Vorläuferin EWG (Europäische Wirtschaftsgemeinschaft) gegründet wurde.

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