Probelauf für Putins Wiederwahl
Das erste Mal seit der umstrittenen Annexion der Krim wählt Russland am Sonntag ein neues Parlament. Herausragend viel hängt von dessen Zusammensetzung nicht ab, zu klar sind die Verhältnisse in dem autoritär regierten Land. Doch eigentlich - und das ist paradox - geht es doch um viel. Eine Rolle spielen dabei die wirtschaftliche Lage und persönliche Beliebtheitswerte.
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Denn die Wahl kommt zu einem sensiblen Zeitpunkt - und das in mehrerlei Hinsicht: Schließlich steckt Russland nach wie vor in einer tiefen Wirtschaftskrise, verursacht durch fehlende Reformarbeit, niedrige Ölpreise und westliche Sanktionen. Mindestens zwei dieser Umstände sind der regierenden Partei Geeintes Russland anzurechnen bzw. letztlich auch deren führendem Kopf.
Wirkung ausgetestet
Mit der Wahl hat Präsident Wladimir Putin zwar nichts zu tun, doch ist es für ihn ein Gradmesser für die eigene Popularität. 2018 hat er sich einer Präsidentenwahl zu stellen, wenn er weiter der starke Mann Russlands bleiben will. Die Wahl der Staatsduma dient als Probelauf, wobei Putin seine Wirkung zuletzt erfolgreich austestete: Mit Auftritten im Wahlkampffinish verschaffte er der Kreml-Partei Umfragen zufolge prompt Zulauf.

Reuters/Sputnik/Kremlin/Alexei Druzhinin
Wortführer Putin: Auch bei der Präsentation der „Geeintes Russland“- Kandidaten im April drehte sich alles um den Präsidenten
Im Wahlkampf spielten wirtschaftliche Themen eine wichtige Rolle: Die Folgen von Ölpreisverfall, Rubel-Talfahrt und Rezession machen sich auch in den Geldtaschen der Russen bemerkbar. Die Regierung versuchte gegenzusteuern. Ministerpräsident Dmitri Medwedew kündigte jüngst eine Pensionserhöhung an, die den Haushalt weiter belasten dürfte. Die Pensionisten machen ein Drittel der Bevölkerung aus und waren bei den vergangenen Wahlen treue Unterstützer Putins und der Partei Geeintes Russland.
Für die Kreml-Partei geht es darum, ihre Macht zu verteidigen und zu verhindern, dass Unzufriedene ihren Unmut in eine Stimme für die Mitbewerber kanalisieren. Auch nicht vergessen hat die Staatsmacht wohl die Ereignisse nach der vergangenen Parlamentswahl 2011, als die Opposition den Behörden Wahlfälschung vorwarf. Den Frust bekam auch Putin ab, als wochenlang auf den Straßen der Metropolen gegen ihn mobilisiert wurde.
„Zauberer“ abberufen, neues Wahlrecht
Um derartige Unwägbarkeiten nun ausschließen zu können und sich nicht erneut dem Manipulationsvorwurf stellen zu müssen, hat der Kreml im Vorlauf einige Maßnahmen gesetzt. Wahlleiter Wladimir Tschurow, der mit dem Spitznamen „Der Zauberer“ die gewünschten Resultate lieferte, wurde abberufen. Nun soll die bisherige Menschenrechtsbeauftragte Ella Pamfilowa dafür sorgen, dass die Abstimmung ohne Fälschungen abläuft.

APA/AFP/Yuri Kadobnov
Kein „Zauberer“ mehr - die Spitze der Wahlleitung wurde neu besetzt
Außerdem wurde die Direktwahl der Gouverneure wieder eingeführt. Überdies wurde die Sperrklausel bei der Duma-Wahl von sieben auf fünf Prozent gesenkt - was theoretisch kleinen Parteien den Einzug ins Parlament erleichtern könnte. Doch gleichzeitig wurde ein neues Wahlrecht implementiert, das zusammen mit anderen Modifikationen den Erfolg der Kreml-Partei praktisch vorprogrammiert.
Passives Wahlrecht eingeschränkt
Andere Möglichkeiten, das Wahlergebnis zu beeinflussen, würden gar keine Rolle mehr spielen, erklärte der Politologe Aleksandr Kynew vom liberalen Komitee für zivilgesellschaftliche Initiativen (KGI). Schließlich gelte überhaupt nur für jene das passive Wahlrecht, die sich in den Augen der Staatsführung bisher nichts zuschulden kommen hätten lassen. Und der Schuldbegriff ist laut Kynew sehr weit gefasst: Es reiche etwa ein kritisches Facebook-Posting.
Um kandidieren zu können, dürften Kandidaten nach einer weiteren Gesetzesänderungen zudem keine Bankkonten mehr im Ausland haben, erklärt Kynew. Geschäftsleute würden damit an einer Kandidatur gehindert. „Die Regierenden bringen damit zum Ausdruck, dass sie auf Kategorien der Bevölkerung setzt, die vom Staat finanziell abhängen“, sagt der Politikwissenschaftler.
Trotz aller Signale des Kremls rechnete zuletzt mehr als die Hälfte der Russen mit Wahlbetrug durch Behörden und Parteien. Insgesamt seien 51 Prozent der Befragten überzeugt, dass es Verstöße gegen das Wahlrecht geben wird, teilte das angesehene Lewada-Zentrum mit. Der Umfrage zufolge zeigte sich knapp ein Viertel (23 Prozent) der befragten Russen bereit, Stimmen zu teils kleinem Geld zu verkaufen.
Desinteresse und klare Verhältnisse
Generell spielt Geeintes Russland das Desinteresse der rund 110 Millionen Wahlberechtigten in die Hände: Der Lewada-Umfrage zufolge war die Zahl derer, die zur Wahl gehen wollten, zuletzt stets gesunken. Und unter den erklärten Wählern sind die Verhältnisse klar: 41 Prozent werden für Geeintes Russland stimmen, wie die letzte Umfrage des Meinungsforschungsinstituts VCIOM auswies.
Die nationalistischen Liberaldemokraten wurden mit zehn Prozentpunkten auf Platz zwei gesehen. Auf dem dritten Platz sahen Umfragen die Kommunistische Partei, der zuletzt knapp neun Prozent vorausgesagt wurden. Die Partei Gerechtes Russland stand bei etwa fünf Prozent. Anderen Parteien wurde ein Einzug in das Parlament nicht zugetraut. Gut für Geeintes Russland - schließlich stehen die drei Parteien nur formell in Opposition zur Kreml-Partei.
Putin-Gegner zersplittert
Den echten Putin-Gegnern fehlen hingegen zugkräftige Namen. Sie sind zersplittert: Die liberalen Parteien Jabloko und Parnas konnten sich nicht auf eine gemeinsame Liste einigen. Die Kandidaten litten unter hinterhältigen Angriffen. Ex-Regierungschef Michail Kasjanow, Spitzenkandidat bei Parnas, wurde mehrfach mit Farbe beworfen und im Fernsehen mit einem landesweit ausgestrahlten Sexvideo diskreditiert.
Parnas musste sogar fürchten, wegen angeblich extremistischer Äußerungen einzelner Kandidaten von der Wahl ausgeschlossen zu werden. Allerdings zogen die Kläger ihren Antrag vor Gericht zurück, nachdem sich auch Wahlleiterin Pamfilowa gegen einen Ausschluss ausgesprochen hatte.
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