Jungbrunnen aus dem Computer
In den vergangenen Jahren hat die digitale Technik in der Produktion und Nachbearbeitung von Filmen zunehmend an Bedeutung gewonnen. Durch die Neuerungen haben Regisseure mittlerweile fast schon unendliche Möglichkeiten - selbst ewige Jugend ist auf der Kinoleinwand längst keine Utopie mehr.
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Faustkampf der Generationen: Im fünften Teil der „Terminator“-Reihe kämpfte T800 Arnold Schwarzenegger gegen sein computeranimiertes Selbst aus dem Jahr 1984. Für die Szene schufen die Effektkünstler auf Wunsch von Regisseur Alan Taylor einen „Synthespian“, eine Art digitalen Klon. „Ausgangsmaterial“ für den jüngeren Doppelgänger war ein Mensch, der australische Bodybuilder Brett Azar. Der 27-Jährige hat eine Schulterbreite von beeindruckenden 127 Zentimetern - jenes Maß, das „Mister Universe“ Schwarzenegger vor über 30 Jahren hatte.
Aufwendige Produktion
Azar bestritt die Kampfszenen mit dem mittlerweile 67 Jahre alten Schwarzenegger, die Transformation vollzog sich schließlich im Computer. Die Special-Effects-Spezialisten verwerteten jedes Bildschnipsel, das sie zum jungen Schwarzenegger gefunden hätten, berichtete das Onlineportal Geek.com. Zudem wurde Schwarzenegger vor die Kamera gebeten und seine typische Mimik sowie seine Art, sich zu bewegen, eingefangen.
Den letzten Schliff brachten Daten, die die Techniker aus einer Ende der 1970er Jahren entstandenen Dokumentation über den Kraftsportler Schwarzenegger gezogen hatten. Die Produktion der aus 35 Aufnahmen bestehenden Kampfszene dauerte fast ein Jahr. Der Legende nach wurde sie erst eine halbe Stunde, bevor die finale Version an das Hollywood-Studio Paramount verschickt wurde, fertiggestellt.
Der Fantasie auf die Sprünge helfen
Spektakuläre Szenen wie die erwähnte Rauferei und Schwarzenegger gegen Schwarzenegger sind aber nur die Spitze des Eisbergs, was den Umfang von Hollywoods digitalem Arsenal betrifft. Von der Wimmerlentfernung über verschwundene Kilos, härtere Bauchmuskeln und die Beseitigung von Cellulite bis hin zu fein gemeißelten Unterkiefern, schmäleren Nasen und schlanken Silhouetten - die digitale Bildbearbeitung bei Filmen steht der Nachjustierung von Fotos mit Photoshop mittlerweile um nichts mehr nach.
In Hollywood war es immer schon Usus, der Natur ein wenig auf die Sprünge zu helfen. Bereits in den 1920er Jahren wurden Kameralinsen mit Vaseline beschmiert, um Stars auf der Leinwand eine engelsgleiche Aura zu verleihen. „Eine attraktive Person steigt pitschnass aus dem Pool? Niemand will sehen, wie sie wirklich aussieht - es ist alles Fantasie“, brachte es US-Schauspieler Michael Shannon („Man of Steel“) gegenüber dem US-Portal Vulture auf den Punkt. So gesehen macht die digitale Technik Hollywood noch ein bisschen mehr zur Traumfabrik.
Tony Stark, Benjamin Button und die ewige Jugend
Aus dem Blockbusterkino ist die digitale Retusche nicht mehr wegzudenken. Wie weit verbreitet sie ist, illustriert die Projektliste des Marktführers Lola Visual Effects. Im Vorjahr war das Unternehmen aus Kalifornien an insgesamt 14 Produktionen beteiligt. Auf der Liste standen auch „Joy“ und „The Big Short“ - beides Filme, die ohne opulente visuelle Effekte auskommen und bei denen dennoch nachgeholfen wurde. Bekanntheit erlangte Lola Visual Effects im Jahr 2008, als die Spezialisten Brad Pitt in „Der seltsame Fall des Benjamin Button“ vom Greis zum Baby durch alle Altersstufen animierten.
In den vergangenen zwei Jahren half Lola dem Filmfranchise des Comicverlags Marvel, am Alter von Superhelden zu schrauben. Eine eindrucksvolle Demonstration dieser Kunst ist in „Captain America: Civil War“ zu sehen, wo Robert Downey Jr. („Tony Stark“, „Iron Man“) in einer Sequenz von tatsächlichen Anfang 50 auf Anfang 20 verjüngt wurde. Es habe „viele Monate“ gedauert, der Aufnahme Leben einzuhauchen, sagte Regisseur Anthony Russo, so komplex sei die Animation des menschlichen Gesichts gewesen.

Marvel 2015/Zade Rosenthal
Michael Douglas und Regisseur Peyton Reed am Set von „Ant Man“
Ähnliche Arbeit lieferte die Firma zuvor bei „Ant Man“. Michael Douglas (70) spielt im Film den Wissenschaftler Hank Pym, eine zentrale Figur im Comic-Universum von Marvel. In den Rückblenden, die Pym im Jahr 1989 zeigen, ist Douglas als jüngere Version seiner Selbst zu sehen. Das sei Segen und Fluch gewesen, so Lola-Spezialist Trent Claus gegenüber Vulture. Aus den späten 1980er Jahren gibt es zwar genug Filmmaterial von Douglas, das Anhaltspunkte bei der Animation seines Gesichts geliefert hätte, allerdings habe man sich besonders ins Zeug legen müssen, weil Douglas’ jüngeres Antlitz dem Publikum in guter Erinnerung sei.
Auferstehung von den Toten
Mit Hilfe der digitalen Trickkiste lassen sich aber nicht nur die unvermeidlichen Spuren beseitigen, die die Zeit in den Gesichtern der Schauspieler hinterlässt. Auch die Kunst, während Dreharbeiten verstorbene Darsteller wieder zum Leben zu erwecken, hat mittlerweile ein hohes Level erreicht.
Mehr als 20 Jahre ist es her, dass Regisseur Alex Proyas den Film „The Crow“ vollendete, obwohl Hauptdarsteller Brandon Lee am Filmset ums Leben kam. Ende der 1990er Jahre nutzte Ridley Scott nicht verwendete Aufnahmen, um den während des Drehs auf Malta verstorbenen britischen Schauspielstar Oliver Reed doch noch in „Gladiator“ unterzubringen. Und bereits in den 1980er Jahren ließ ein US-Softdrink-Hersteller lange verstorbene Unterhaltungsgrößen wie Louis „Satchmo“ Armstrong in Werbespots auftreten.
Paul Walker als „Benchmark“
Eine neue „Benchmark“ in Sachen digitaler Wiederauferstehung hätten aber die Macher von „Fast & Furious 7“ gesetzt, so die „Washington Post“. Hauptdarsteller Paul Walker starb im Jahr 2013 bei einem Verkehrsunfall. Der Film kam zwei Jahre später dennoch in die Kinos - und wurde prompt ein Kassenschlager.

Universal Pictures
Paul Walker - der Hauptdarsteller starb während der Dreharbeiten
Regisseur James Wan vertraute dabei auf das Können von Peter Jacksons („Der Herr der Ringe“) Post-Production-Firma Weta Digital, die ein digitales Double Walkers schuf. Tatkräftig unterstützt wurde Wan von Pauls Brüdern Caleb und Cody Walker, deren Bewegungen mittels „Motion Capturing“ eingefangen wurden. Anschließend wurden Paul Walkers Gesicht in die Aufnahmen implementiert und die Lichtverhältnisse so angepasst, dass es aussieht, als wäre tatsächlich der Verstorbene vor der Kamera gestanden.
Walker ist nicht der einzige Hollywood-Star, der in jüngerer Zeit als digitales Double wiedererweckt wurde. In „Die Tribute von Panem – Mockingjay Teil 2“ stammen die Szenen mit dem während der Dreharbeiten verstorbenen Philip Seymour Hoffman ebenfalls aus dem Computer.
Schweigen ist Gold
Bei noch lebenden Schauspielern und Schauspielerinnen ist es indes ein gut gehütetes Geheimnis, wann, wo und vor allem wofür die digitale Nachbearbeitung zum Einsatz kommt. „Immer wenn man an visuelle Effekte denkt, denkt man an eine Explosion oder einen gigantischen Roboter“, sagte der Visual-Effects-Spezialist Vince Cirelli von der Produktionsfirma Luma Pictures gegenüber Vulture. „Aber mittlerweile benutzen wir sie, um die Story voranzutreiben.“
Für das Publikum sei dieser Vorgang quasi „unsichtbar“. Beispiele könne er nicht nennen, so Cirelli: Er habe so viele Stillschweigevereinbarungen unterzeichnet, dass „jemand mit einer Kalaschnikow durchs Fenster geflogen kommt“, sollte er den Mund aufmachen.
„Unmoralisch“, aber nicht mehr wegzudenken
Ein beliebter und vergleichsweise billiger Trick ist es etwa, einen Schauspieler digital in die Länge zu ziehen, um ihn schlanker aussehen zu lassen. „Wir hatten eine Schauspielerin, die wir um 95 Prozent zusammendrücken mussten, um sie schlanker aussehen zu lassen“, sagte der Cutter Joe Walker („Sicario“). Der Trick funktioniere, allerdings habe es sich „unmoralisch“ angefühlt, ihn einzusetzen, so Walker.
Um wen es sich bei der angesprochenen Schauspielerin handelte, verriet Walker gegenüber Vulture nicht. Spezialisten für digitale Nachbearbeitung gehörten aber mittlerweile gewissermaßen zum Stab vieler Schauspielgrößen wie Make-up-Fachleute und Friseure, schrieb das Magazin.
Für Hollywoods Schauspielelite scheint der Verzicht auf die digitale Verschönerungskur zunehmend schwieriger zu werden. Ein namentlich nicht genannter Studiomitarbeiter schilderte Vulture den Fall einer bekannten Aktrice in einer Blockbusterproduktion. Zunächst habe sie die digitale Retusche verweigert - bis sie gesehen habe, wie ihre männlichen Kostars im Computer verschönert wurden. Und so seien am Ende gleich 275 digitale Retuscheschritte an der Schauspielerin vorgenommen worden.
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