Hollande in der Reihe der Gegner
Umstritten ist die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) schon, seit 2013 die Verhandlungen gestartet sind. Mittlerweile ist der Widerstand auf europäischer Seite aber derart groß, dass TTIP tatsächlich auf Messers Schneide steht. Auch auf US-Seite gibt es angesichts der anstehenden Wahl viele Fragezeichen. Nicht wenige sehen das Abkommen mittlerweile als gestorben an.
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Prominentester Vertreter dieser Sichtweise: der deutsche Wirtschaftsminister und Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD), der mit seinen Äußerungen am Wochenende den TTIP-Gegnern kräftigen Rückenwind gab und die Debatte zusätzlich anfachte.
„Auch wenn es keiner so richtig zugibt“
Gabriel sieht das Abkommen, durch das Zölle und Handelsbarrieren weitgehend abgebaut werden sollen, als „de facto“ gescheitert an, „auch wenn es keiner so richtig zugibt“. Die Schuld sieht er bei den USA: „Ich glaube, dass die Amerikaner TTIP aktiv beendet haben“, legte der SPD-Vorsitzende am Dienstag in Berlin noch einmal nach. Die USA seien selbst Mindestforderungen der EU nicht entgegengekommen.
US-Wahl bringt noch mehr Fragezeichen
Er hält einen Neustart mit neuem Verhandlungsmandat für realistisch - „lange“ nach der US-Präsidentschaftswahl. Denn „der eine will es gar nicht“, sagte der SPD-Chef mit Blick auf den republikanischen Kandidaten Donald Trump, „und die andere hat massive Bedenken“ gegen TTIP, sagte er über die Kandidatin der Demokraten, Hillary Clinton.
Für seine klaren Worte erntete er Kritik von Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Sie distanzierte sich von Gabriels Aussagen. Die Verhandlungen seien noch nicht zu Ende, ließ sie über ihren Sprecher ausrichten. Wenig Freude hatte man naturgemäß auch in Brüssel mit den Aussagen. Die Gespräche seien in der entscheidenden Phase, hieß es dort.
Auch für Frankreich „festgefahren“
Mit Frankreich reihte sich am Dienstag aber ein weiterer mächtiger Akteur in die Reihe der Gegner ein. Der französische Außenhandelsstaatssekretär Matthias Fekl sagte am Dienstag dem Radiosender RMC, Paris wolle die EU-Kommission im kommenden Monat auffordern, die Verhandlungen über den Handelspakt zwischen der EU und den USA zu stoppen. „Es gibt für diese Verhandlungen keine politische Unterstützung Frankreichs mehr.“ Die Amerikaner gäben „nichts oder nur Brösel“. In den Beziehungen zwischen Europa und den USA stehe es derzeit nicht zum Besten. Auch Fekl schlug einen Neustart auf anderer Grundlage vor.
Was TTIP bringen soll
Über TTIP sollen Zölle und andere Handelsbarrieren in weltweit einmaligem Ausmaß abgebaut werden. EU und USA wollen sich etwa auf gemeinsame Standards für Produkte und auf Verfahren zur Beilegung von Streitfällen zwischen Unternehmen und Staaten einigen. Das soll die Wirtschaft ankurbeln.
Staatschef Francois Hollande ging ebenfalls auf Gegenkurs zur Brüsseler EU-Kommission. Konzilianter als Fekl warnte er vor voreiligen Erwartungen. Die TTIP-Gespräche könnten nicht bis zum Jahresende abgeschlossen werden. „Die Verhandlung hat sich festgefahren“, sagte Hollande bei der jährlichen Botschafterkonferenz in Paris: „Das Ungleichgewicht ist offensichtlich.“ Es sei besser, dafür zu sorgen, dass „wir die einen und die anderen warnen können, dass Frankreich nicht in der Lage sein wird, einen Abschluss zu billigen (...)“, so Hollande.
US-Verhandler kündigt Besuch an
Frankreich bremst bei TTIP schon seit Längerem. Paris warf Washington mehrfach mangelndes Entgegenkommen vor. Die TTIP-Debatte dürfte auch bei der Präsidentschaftswahl in acht Monaten eine Rolle spielen. Der konservative Ex-Staatschef Nicolas Sarkozy, der den Elysee-Palast zurückerobern will, schreibt in seinem neuen Buch „Tout pour la France“ (Alles für Frankreich), es sei derzeit unmöglich, den Handelspakt zu unterschreiben.
In den USA zeigt man sich jedenfalls irritiert über die prominente, offene Kritik. Die Gespräche seien im Gange, sagte der Sprecher des Weißen Hauses, Josh Earnest, und die US-Regierung hoffe weiter auf einen Abschluss der Verhandlungen noch in diesem Jahr. Er räumte ein, dass ein Abschluss noch 2016 ein „ambitioniertes Ziel“ sei. Der Sprecher des US-Handelsbeauftragten Michael Froman sagte dem deutschen „Spiegel“: „Die Verhandlungen machen in Wahrheit ständige Fortschritte.“ Angesichts der Missstimmung soll Froman noch im September für Gespräche nach Europa reisen.
EU-Kommissarin überrascht
Die EU-Kommission hält jedenfalls an den Handelsgesprächen mit den USA fest und wirft den Kritikern vor, das Freihandelsabkommen ohne Kenntnis des aktuellen Verhandlungsstandes abzuschreiben. Sie sei ein wenig überrascht, dass einige nun nach einem Ende der Verhandlungen riefen, sagte Handelskommissarin Cecila Malmström am Dienstag vor Journalisten in Brüssel. Sie habe über ihre jüngsten Gespräche mit Froman bisher gar nicht mit den zuständigen Ministern reden können. „Ich stimme dem nicht zu, dass die TTIP-Verhandlungen gescheitert sind“, sagte Malmström. Sie seien sehr schwierig, aber sie kämen voran.
Schelling auf EU-Linie
Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) hält die Verhandlungen nicht für gescheitert. Es handle sich dabei um eine „völlige Fehlinterpretation“, sagte er am Dienstag nach dem Ministerrat auf Journalistenanfrage. Ihren Widerstand gegenüber dem Abkommen wiederholten die FPÖ, die Grünen, das Team Stronach und mehrere Umweltschutzorganisationen.
Oppositionsparteien und NGOs für sofortigen Stopp
Der grüne Europaabgeordnete Michel Reimon forderte Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) auf, sich für den sofortigen Abbruch der TTIP-Verhandlungen einzusetzen. Kern sollte auch zum europäisch-kanadischen Abkommen CETA seine Position so schnell wie möglich öffentlich erklären, so Reimon am Dienstag in einer Aussendung. Die FPÖ befürchtet, dass, nachdem TTIP „offenbar zum Scheitern verurteilt ist“, CETA „durch die Hintertür“ kommen werde.
Mehrere NGOs, darunter Global 2000 und ÖBV Via Campesina Österreich, verwiesen auf einen am Montag veröffentlichten Bericht der kanadischen NGO Council of Canadians, in dem die Kanadier vor umwelt- und gesundheitsschädlichen kanadischen Lebensmitteln warnen. Auf denselben Bericht verwies auch Team-Stronach-Klubobmann Robert Lugar und verlangte, diesen „Angriff auf die Gesundheit und Umwelt der Österreicher“ mit allen Mitteln zu verhindern.
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