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Flüchtlingstragödie vor Augen geführt

Als die Polizei am 27. August 2015 den Laderaum eines in der Pannenbucht der Ostautobahn (A4) abgestellten Lkw geöffnet hat, hat sich eine Tragödie offenbart, deren Bilder um die Welt gehen sollten: Im Inneren waren 59 Männer, acht Frauen und vier Kinder aneinander gepfercht - alle waren tot. Später erwies sich: Die Menschen waren tagelang eingesperrt, der Laderaum war von innen nicht zu öffnen.

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Auf den Klein-Lkw aufmerksam geworden war ein Mitarbeiter der ASFINAG bei Mäharbeiten. Später hieß es vonseiten der alarmieren Beamten, dass sich ihnen beim Öffnen des Lkw ein Bild geboten habe, wonach sofort klar gewesen sei, „dass es zu 1.000 Prozent keine Überlebenden im Fahrzeug gibt“. Auf der sechs mal 2,5 Meter großen Ladefläche waren die Menschen zusammengepfercht. Das Innenministerium meldete in einer ersten Reaktion: „Es ist ein Lastwagen voller Leichen.“

Laderaum gasdicht

Später kamen Ermittler zum Schluss, dass die Überlebenschance für die Flüchtlinge im Kühl-Lkw nicht gegeben war: Das technische Gutachten wies aus, dass der Aufbau des Lkws gasdicht war, ein Luftaustausch war somit nicht möglich. Auch wurde bekannt, dass der Lkw vor der Entdeckung schon fast zwei Tage bei sengender Hitze in der Pannenbucht abgestellt gewesen war - entsprechend hatten Augenzeugen den entsetzlichen Anblick beschrieben, der sich ihnen geboten hatte.

Ermittler vor dem betroffenen Lastwagen auf der A4 bei Parndorf

APA/Roland Schlager

Ermittler beim Klein-Lkw auf der A4

Politik und Öffentlichkeit wurde auf einen Schlag die eigentliche Nähe des Flüchtlingsproblems vor Augen geführt. Es wurde augenscheinlich, dass die Tragödien, die sich schon zuvor laufend im Mittelmeer ereignet hatten, auch in gleicher Weise in Österreich geschehen. Erst durch die Unmittelbarkeit wurde vielen schlagartig die Tragweite der laufenden Entwicklungen bewusst. Große Teile der Öffentlichkeit waren sensibilisiert.

„Symbolischer Fall“

Zwar rief die damalige ÖVP-Innenministerin Johanna Mikl-Leitner einen Kampf gegen Schlepper aus, musste aber - wie praktisch alle Politiker auf die Wortwahl bedacht und um ein gewisses Maß an verbaler Sensibilität bemüht sein. Betroffenheit und Mitgefühl mit den Toten und deren Angehörigen sei „zu wenig“, es gehe darum, Flüchtlingen aus Kriegs- und Krisengebieten einen „legalen Weg nach Europa“ zu ermöglichen, erklärte sie.

Betroffen zeigte sich auch der damalige Kanzler Werner Faymann (SPÖ) über die Entwicklung. „Wer da nicht sagt, wir müssen etwas tun, um Menschenleben zu retten, ist auf der falschen Seite“, betonte er. Hans Peter Doskozil, damals noch Landespolizeidirektor, später Verteidigungsminister, jetzt SPÖ-Landesrat im Burgenland, wurde politisch, als er von einem „symbolischen Fall“ sprach. Damit bot er sich erstmals öffentlich als SPÖ-Personalreserve an.

Dramatische Bilder

Auch mahnte der damals oberste Polizist des Burgenlands, dass die aktuelle Situation besser nicht in Vergessenheit geraten sollte. Wenn man nun über Flüchtlinge urteile, ihnen kriminelle Dinge unterstelle und wenn man salopp sage, „das sind nur Wirtschaftsflüchtlinge“, dann solle man auch bedenken, „mit welchem Druck diese Menschen in diesen Lkw eingestiegen sind“ und unter welchen Umständen sie geschleppt worden seien, sagte Doskozil damals.

In den darauffolgenden Tagen blieben die Entwicklungen dramatisch - was auch die Haltung der Öffentlichkeit weiter beeinflusste. So ging am 2. September - also nur wenige Tage nach der Tragödie auf der A4 das Foto des dreijährigen Syrers Ailan um die Welt und sorgte für einen Aufschrei. Die Leiche des kleinen Buben war an einen türkischen Strand angespült worden - er war ertrunken, als er mit seiner Familie in einem Schlauchboot von der Türkei nach Griechenland unterwegs war.

Volle Härte in Ungarn

Tags darauf folgten beängstigende Bilder aus Ungarn, wo Tausende Flüchtlinge den Ostbahnhof in Budapest stürmten. Es konnte rasch vermutet werden, dass das Land mit voller Härte gegen die Schutzsuchenden vorging - die Schilderungen aus dem Flüchtlingslager Röszke an der ungarisch-serbischen Grenze sowie aus Budapest lösten Empörung in ganz Europa aus. Mit Bussen wurden Flüchtlinge in Richtung österreichischer Grenze gebracht - als sich abzeichnete, dass die Grenzkontrollen ausgesetzt würden.

Hunderte Flüchtlinge hinter einem Zaun

APA/AFP/Armend Nimani

Die Situation der Flüchtlinge im Lager Röszke an der ungarisch-serbischen Grenze sorgte für Entsetzen

In der Folge rückte insbesondere der Wiener Westbahnhof in den Fokus, wo Züge mit Flüchtlingen aus Ungarn ankamen. Das war gleichzeitig die Geburtsstunde einer (neben jener Doskozils) zweiten Politikerkarriere, als der damalige ÖBB-Chef und nunmehrige Ex-Kanzler und SPÖ-Chef, Christian Kern der ZIB ein Liveinterview gab. Er sprach von einer „Überraschung“, weil Ungarn die Weiterreise der Flüchtlinge nicht mehr verhindere. Zusätzlich plädierte er dafür, die Ankömmlinge „menschenwürdig“ unterzubringen.

Flüchtlinge versuchen verzweifelt, einen Zug von Györ nach Hegyeshalom zu besteigen

APA/AFP/Vladimir Simicek

Flüchtlinge drängen in einen Zug in Györ - er sollte sie nach Österreich bringen

„Ein Auge zudrücken“

Auch die Ticketfrage wurde „pragmatisch“ gelöst - Kern damals: „Die Menschen haben nur das Nötigste, da ist es sinnvoll, bei der Kontrolle ein Auge zuzudrücken.“ Die politische Entwicklung seither ist bekannt - Faymanns Kurswechsel zu einer härteren Asylpolitik ging mit dem Ende seiner Kanzlerschaft und des Parteivorsitzes einher. Zu groß war der Druck aus der eigenen Partei auf ihn geworden. Und der Nachfolger war schnell gefunden.

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