Asylpolitik, Türkei-Beitritt und „Brexit“
Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) ist am Samstag nahe Berlin mit seiner deutschen Amtskollegin Angela Merkel und drei weiteren EU-Regierungschefs zusammengetroffen. Er plant nun eine Art Mini-Gipfel noch im September in Wien.
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Thema würden weitere Fragen einer gemeinsamen Asyl- bzw. Flüchtlingspolitik sein, hieß es nach dem gemeinsamen Mittagessen mit Merkel im Schloss Meseberg nahe Berlin. An dem geplanten Treffen teilnehmen sollen jedenfalls Slowenien, Kroatien, Bulgarien und Griechenland, möglicherweise auch noch weitere Länder. Merkel ist ebenfalls eingeladen.
Es handle sich um ein Nachfolgetreffen der Gespräche bei der deutschen Kanzlerin, so Kern. Das genaue Format werde noch überlegt. „Gipfel wäre aber zu viel gesagt.“ Einen genauen Termin gab es am Samstag noch nicht. Vor dem informellen EU-Gipfel am 16. September in Bratislava werde es sich aber nicht mehr ausgehen, meinte der Bundeskanzler. An dem Mittagessen in Berlin hatten außer ihm die Regierungschefs Bulgariens, Sloweniens und Kroatiens, Bojko Borissow, Miro Cerar und Tihomir Oreskovic, teilgenommen.
Problemlösung auch vor Ort „nicht gratis“
Prinzipiell müsse der EU klar sein, sagte Kern zum Thema Flüchtlingskrise, dass sie künftig auch Geld in die Hand nehmen werde müssen, um die Wirtschafts- und Lebensbedingungen in den Herkunftsländern der Flüchtlinge bzw. Migranten zu verbessern. Er nannte dabei als Beispiele die afrikanischen Staaten Niger und Mali. In Mali würden zwei Millionen Menschen an Hunger leiden, erinnerte der Bundeskanzler. Dort Infrastruktur aufzubauen werde „nicht gratis gehen“.
Alternativszenarien für die Türkei
In der Debatte über Beitritt oder Nicht-Beitritt der Türkei zur EU, um die es bei dem Treffen am Samstag in Deutschland ebenfalls ging, erwartet Kern substanzielle Diskussionen in der Union. Der Kanzler unterstrich, dass eine alternative Partnerschaft mit Ankara überlegt werden müsse. Die österreichische Position sei durchaus akzeptiert worden. Wichtige Punkte sind dabei laut Kern unter anderem „Migration, Zollunion und Sicherheitspolitik“.
In den vergangenen Jahren sei es in der Türkei zu einer Radikalisierung und Problemen mit der Rechtsstaatlichkeit sowie der politischen Kultur gekommen, sagte Kern. Außerdem müsse sich die EU darauf besinnen, dass sie ein Beitritt der Türkei überfordern würde. Der Arbeitsmarkt sei schon jetzt durch Zuzug und die Entsendung von Arbeitnehmern aus Osteuropa unter Druck, in den nächsten Jahren werde dieser auch noch für Kroatien geöffnet. „Wir haben 1,3 Prozent mehr Jobs, die Arbeitslosigkeit steigt aber trotzdem.“
Kern relativiert Doskozil-Aussagen
Kern rudert bei seinem Besuch zurück und relativiert die Kritik von Verteidigungsminister Doskozil (SPÖ) an der „unverantwortlichen Flüchtlingspolitik“ Merkels.
Beim Punkt „Brexit“ schließlich herrschte Einigkeit zwischen den Regierungschefs etwa dahingehend, dass der bevorstehende EU-Austritt Großbritanniens eine Herausforderung in der Wirtschaftspolitik sein werde. „Wir sind seit 2008 in einem schwierigen Fahrwasser“, sagte Kern. Es gelte, das „Wohlstandsversprechen“ wieder einzulösen. Es müsse in Europa wieder das Gefühl vorherrschen, „dass es unseren Kindern einmal besser gehen wird“.
Schützenhilfe für Merkel
Vor dem Termin mit Merkel hatte Kern seine deutsche Amtskollegin gegen Kritik an ihrer Linie in der Flüchtlingspolitik in Schutz genommen. „Ich bin nicht der Meinung, dass Frau Merkel unverantwortlich gehandelt hat.“ Ein „Störfeuer“ seitens seines SPÖ-Parteikollegen, Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil, wollte Kern aber nicht sehen. Inhaltlich seien die Aussagen Doskozils sehr „realitätsnah“ gewesen.
Doskozil sieht „Wir schaffen das“ als Fehler
Zuvor hatte Doskozil mit harscher Kritik an der deutschen Kanzlerin auf sich aufmerksam gemacht. „Die ‚Wir schaffen das‘-Politik ist unverantwortlich“, sagte Doskozil zur „Kronen Zeitung“ (Freitag-Ausgabe). Merkel hatte diesen Satz kurz vor der Grenzöffnung am 31. August 2015 ausgesprochen, um ihren Landsleuten Mut zur Aufnahme von Flüchtlingen zu machen. Für Doskozil hat diese Aussage - und ihre mehrfache Wiederholung seitdem - jedoch dafür gesorgt, dass ein neuer „Anziehungsfaktor für Fluchtbewegungen nach Europa entsteht“, sagte er der „Kronen Zeitung“.
FPÖ ortet „pseudo-patriotische Schale“
Kritik an Kerns Aussagen kam von FPÖ-Generalsekretär Herbert Kickl. Kern wolle „kein Burka-Verbot, er will jetzt doch keine Asylnotverordnung und steht wider besseren Wissens zur ‚Wir schaffen das‘-Politik Merkels“. Zwischendurch bekomme „die Fassade Risse. Und das Innerste kommt zum Vorschein: Unter der pseudo-patriotischen Schale des Kanzlers brechen immer wieder der linkssozialistische wahre Kern bzw. Inhalt hervor“, so Kickl in einer Aussendung.
ÖVP will eine „Interessensunion“
In der Türkei-Debatte spricht sich der Koalitionspartner ÖVP klar gegen einen Beitritt und für eine „maßgeschneiderte Europäisch-Türkische Interessensunion (ETI)“ aus, wie die „Presse“ am Samstag (Onlineausgabe) unter Berufung auf ein ihr vorliegendes ÖVP-Konzept berichtete.
„Die Türkei ist auf absehbare Zeit nicht beitrittsfähig, bleibt aber ein wichtiger regionaler und wirtschaftlicher Partner“, betonte laut „Presse“ ÖVP-Chef und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner. In dem Papier schlägt die Volkspartei vor, die Zollunion EU-Türkei aus dem Jahr 1996 etwa auf weitere Warengruppen wie nicht verarbeitete Landwirtschaftsprodukte, Kohle und Stahl auszuweiten sowie das Assoziierungsabkommen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und der Türkei aus dem Jahr 1963 um einen politischen Teil zu ergänzen.
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