Lynchjustiz und Willkür
Auf den Philippinen führt der seit zwei Monaten im Amt befindliche Präsident Rodrigo Duterte seinen Krieg gegen Drogenkriminalität, wie er ihn in seinem Wahlkampf erklärt hatte. Zwischen Anfang Juli und Montag starben fast 2.000 Menschen, die meisten davon unter bisher ungeklärten Umständen.
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Der Chef der philippinischen Bundespolizei, General Ronald dela Rosa, verteidigte das oft als äußerst brutal kritisierte Vorgehen gegen mutmaßliche Drogenkriminelle, zu denen auch Drogenkranke gezählt werden. Er sagte bei einer Anhörung vor dem Senat aus, dass die Polizei zwischen 1. Juli und 22. August insgesamt 756 Tatverdächtige getötet habe. Sie alle hätten sich einer Festnahme widersetzt.

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General dela Rosa spricht von einem Kampf gegen „abnormale Menschen“
„Wenn sie das nicht getan hätten, wären sie noch am Leben“, sagte der Polizeichef. Dela Rosa, Spitzname „Bato“ („Fels“), ist seit 1. Juli im Amt, Duterte seit 30. Juni. Alle Getöteten hätten unter dem Einfluss von Drogen gestanden, so die Rechtfertigung des Generals. „Wir kämpfen gegen abnormale Menschen.“ Der Senat hatte eine Untersuchung zu den zahlreichen extralegalen Tötungen, also solchen ohne Verfahren, aber unter mutmaßlicher Duldung durch staatliche Autoritäten eingeleitet.
1.160 Tötungen mit unklarem Hintergrund
Laut Dela Rosas Worten untersuchten die Behörden zudem 1.160 Tötungen, bei denen die Täter unbekannt seien. Unter ihnen befänden sich 273 mutmaßliche Drogenabhängige oder Händler. Einige von ihnen seien gefesselt und mit Schildern aufgefunden worden, die ihre angebliche Verwicklung in den Drogenhandel beschrieben. In 757 Fällen ermittle die Polizei noch, ob eine mögliche Verbindung bestehe, so Dela Rosa.

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Polizeiabsperrungen nach einem tödlichen Schusswechsel in Manila
In den vergangenen sieben Wochen seien Fortschritte im Kampf gegen Drogen erzielt worden. Insgesamt 670.000 Drogenkonsumenten und -händler hätten sich gestellt, knapp 12.000 Verdächtige seien festgenommen worden, hieß es am Dienstag. Menschenrechtsgruppen verurteilten die hohe Zahl an Opfern, sie fordern ein Ende von Dutertes Feldzug. Der hatte dem Rechtspopulisten neben scharfer Kritik auch viel Zuspruch eingebracht. Auch Gewaltaufrufe änderten daran bisher nichts.
„Ihr Hurensöhne, ich bringe Euch alle um“
Einmal drohte Duterte Drogenhändlern mit den Worten: „Ihr Hurensöhne, ich bringe Euch alle um.“ Wenn die Betroffenen Staatsposten bekleideten, wenn „Ihr Soldaten, Polizisten oder Bürgermeister seid, seid Ihr als Erstes dran", drohte der 71-jährige frühere Ankläger bei der Staatsanwaltschaft und Bürgermeister der Millionenmetropole Davao City. Schon in seinem Wahlkampf hatte er versprochen: „Wenn ich Präsident bin, mache ich in sechs Monaten Schluss mit der Kriminalität. Richtet mehr Beerdigungsinstitute ein.“
Offener Aufruf zu Selbstjustiz und Mord
Auf die drastische Wortwahl im Wahlkampf sollten schon einen Tag nach seiner Vereidigung Ende Juni konkrete Aufrufe folgen - als er etwa dazu animierte, Drogenschmuggler und Süchtige zu ermorden. In einer Rede vor der Armeeführung forderte er kommunistische Rebellen auf, Dealer eigenständig zu verurteilen und zu exekutieren. Die Rebellengruppe Neue Volksarmee hat rund 4.000 bewaffnete Kämpfer. Ihre Gerichte sowie die von ihnen angeordneten Exekutionen sind illegal.

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Völlig überfüllte Gefängnisse sind kein Hindernis für Dutertes „Drogenkrieg“
Doch nicht nur Rebellen sollten gemäß den Worten des Präsidenten Jagd auf Dealer und Süchtige machen. Auch die Bevölkerung schwor er darauf ein, am Anti-Drogen-Kampf aktiv teilzunehmen: „Wenn die in Ihrer Nachbarschaft sind, rufen Sie uns einfach an, die Polizei, oder machen Sie es selbst, wenn Sie eine Pistole haben. Meine Unterstützung haben Sie.“ Auch stellte Duterte Kopfgeld in Aussicht: Für einen getöteten Drogenboss werde er fünf Mio. Pesos (94.000 Euro) zahlen, für einen lebenden „nur 4,999 Mio. Pesos“, fügte er lachend hinzu.
Selbstjustiz in Hunderten Fällen
Auch in Davao, wo Duterte vor seinem Amtsantritt jahrzehntelang Bürgermeister war, wurden mehr als 1.000 Kleinkriminelle auf offener Straße oder in ihren Hütten ermordet, die Täter blieben in der Regel unbekannt. Familien und Augenzeugen trauten sich selten, Aussagen zu machen.

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Präsident bestreitet manche Vorwürfe gar nicht
Menschenrechtsgruppen werfen Duterte vor, als Bürgermeister Todesschwadronen geduldet zu haben, die nie zur Rechenschaft gezogen wurden. Dieser wies das nie völlig zurück. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) warf der philippinischen Regierung vor, mit Mördern unter einer Decke zu stecken. Harsche Kritik kam etwa auch von UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon.
„Schere mich nicht um Menschenrechte“
Von seiner Linie rückt Duterte nicht ab: Die Anweisung zur Tötung von Drogendealern werde „bis zum letzten Tag seiner Amtszeit gelten, falls ich dann noch lebe“, sagte er bei einer Pressekonferenz in Davao. „Ich schere mich nicht um Menschenrechte, glaubt mir“, erklärte er laut einem vom Präsidentenpalast veröffentlichten Redemanuskript. „Ich führe einen Krieg.“

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Das Bild einer Frau mit ihrem erschossenen Freund ging durch die Medien
Zuletzt gab es immer wieder schockierende Nachrichten über die Folgen von Dutertes Mordaufrufen: So ging Anfang August ein Foto durch die Sozialen Medien, das eine Philippinerin auf der Straße mit ihrem erschossenen Freund im Arm zeigt. Neben der Leiche lag ein Pappschild mit der Aufschrift: „Ich bin ein Drogenpusher. Nicht nachmachen.“ Duterte tat das Foto als melodramatisch ab und argwöhnte, dass die Szene gestellt sei.
„Vorbild“ Idi Amin
Tausende Menschen wurden seit Dutertes Amtsantritt festgenommen. Einen fairen Prozess können sie nicht erwarten: „Warum soll ich Euch einen Prozess zugestehen? Ich bin der Präsident, bei mir gibt es für Euch keinen Prozess“, sagte Duterte unlängst. „Ich werde mein Land nicht vor die Hunde gehen lassen.“ Vielmehr wolle er „mit dem Ruf eines Idi Amin aus dem Amt scheiden“. Der Schreckensherrschaft seines offensichtlichen Vorbildes Idi Amin Dada, Ugandas Diktator zwischen 1971 und 1978, fielen nach Schätzungen bis zu 400.000 Menschen zum Opfer.
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