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EU vor „riesigen Herausforderungen“

Europa ist nach dem „Brexit“ nicht zu Ende: Das hat der italienische Premier Matteo Renzi bei einer Pressekonferenz auf dem Hubschrauberträger „Garibaldi“ zusammen mit dem französischen Präsidenten Francois Hollande und der deutschen Kanzlerin Angela Merkel im Rahmen eines EU-Dreiergipfels in Italien am Montag betont.

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„Wir respektieren zwar die Beschlüsse der Briten, wir wollen aber ein neues Kapitel in der Geschichte Europas schreiben. Gemeinsame Sicherheit und Verteidigung, Wirtschaftswachstum müssen dabei im Vordergrund stehen. Europa braucht starke Maßnahmen zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit und zur Stärkung des Wirtschaftswachstums. Förderung von Innovation und erneuerbaren Energien sind von wesentlicher Bedeutung“, so Renzi.

Hollande betont Wichtigkeit eigener Verteidigung

Der italienische Premier betonte die Rolle Italiens im Einsatz zur Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer-Raum. Seit Jahresbeginn seien 102.000 Menschen in Italien gelandet, im Vergleichszeitraum 2015 waren es 105.000. „Die EU muss mehr leisten, um die Abfahrten in Nordafrika zu stoppen und jenen Flüchtlingen zu helfen, die wirklich Hilfe brauchen“, so Renzi. Hollande pflichtete ihm bei: „Europa sollte stärker als heute seine eigene Verteidigung in die Hand nehmen“, so der französische Präsident.

Matteo Renzi und Angela Merkel

APA/AP/Riccardo De Luca

Der italienische Premier Renzi und die deutsche Kanzlerin Merkel in Neapel

Er sprach sich auch dafür aus, zusätzliche Mittel in die gemeinsamen Verteidigungsanstrengungen zu stecken. Frankreich werde seinen Beitrag dazu leisten. Auch Merkel sieht die Europäische Union in Sicherheitsfragen aktuell vor „riesigen Herausforderungen“. „Wir spüren angesichts des islamistischen Terrors, angesichts des Bürgerkriegs in Syrien, dass wir mehr für unsere innere und äußere Sicherheit tun müssen“, sagte die deutsche Kanzlerin.

Türkei für Merkel weiterhin wichtiger Partner

Die europäische Kooperation im Bereich der Verteidigung sollte ausgebaut werden. Merkel sprach sich auch für mehr Austausch zwischen den Nachrichtendiensten aus. Sie sagte, daran arbeite die Europäische Union bereits. „Wir spüren angesichts des islamistischen Terrors, angesichts des Bürgerkriegs in Syrien, dass wir mehr für unsere innere und äußere Sicherheit tun müssen“, sagte Merkel. Sie sprach sich für eine Fortführung der Kooperation mit der Türkei aus, um die Flüchtlingsströme zu bekämpfen. „Ohne die Unterstützung der Türkei können wir den Kampf gegen die Schlepper nicht gewinnen“, meinte Merkel.

EU-Dreiergipfel zum „Brexit“

Italiens Ministerpräsident Renzi hat für den Dreiergipfel mit Deutschland und Frankreich auf große Symbolik gesetzt. Die europäische Idee und die Flüchtlingspolitik sind die Themenschwerpunkte bei dem Treffen.

Die drei Staats- und Regierungschefs drängten auch auf stärkere Impulse zur Förderung des Wirtschaftswachstums und zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in Europa. „Wir müssen uns um die Zukunft unserer Jugend kümmern“, meinte Merkel. Die EU sei noch nicht in allen Bereichen wettbewerbsfähig. Premier Renzi kündigte die Einrichtung eines Kulturzentrums für die Bildung „junger europäischer Führungseliten“ in einem ehemaligen Gefängnis auf der Insel Ventotene an.

Matteo Renzi und Francois Hollande

APA/AP/Riccardo De Luca

Auch der französische Präsident wurde mit militärischen Ehren begrüßt

Zuvor hatte Renzi Merkel und Hollande auf dem Flughafen Neapel empfangen. Die drei Staats- und Regierungschefs flogen dann auf Ventotene vor Neapel, wo die Gespräche zum Europagipfeltreffen stattfanden. Rund um den Gipfel herrschten strenge Sicherheitsvorkehrungen. Straßen wurden gesperrt, Touristen wurden auf dem Weg zu der Badeinsel scharf kontrolliert, wie der Sender RaiNews24 berichtete.

Bereits zweites Dreiertreffen

Kurz nach der „Brexit“-Abstimmung waren die Staats- bzw. Regierungschef der drei größten Volkswirtschaften der EU (ohne Großbritannien) bereits zuvor zu einem Krisentreffen zusammengekommen. In einer gemeinsamen Erklärung gaben Merkel, Hollande und Renzi damals ein „starkes Bekenntnis zur europäischen Einigung“ ab.

Karte von Italien

Grafik: APA/ORF.at

Sie betonten, die Union müsse sich verstärkt um die Sorgen der Bürger kümmern, und zwar um folgende „Baustellen“: innere und äußere Sicherheit - dabei insbesondere der gemeinsame Schutz der Außengrenzen, der Kampf gegen den Terrorismus und eine Weiterentwicklung der europäischen Verteidigung -, Wirtschafts- und Sozialpolitik, allen voran der Arbeitsmarkt, Programme für die Jugend.

Orte mit Symbolkraft gewählt

Für das Treffen hatten Gastgeber Renzi, Merkel und Hollande keine alltäglichen Orte ausgesucht. Es fand auf der italienischen Insel Ventotene und auf einem Flugzeugträger davor statt. Das Schiff der italienischen Marine, die „Giuseppe Garibaldi“, ist das Flaggschiff der „Operation Sophia“ (EUNAVFOR MED Operation Sophia), der gemeinsamen EU-Militärmission zur Bekämpfung des Menschenschmuggels im Mittelmeer.

Blumengestecke an Spinellis Grab

Ventotene, gelegen vor der Küste Neapels, war von der Römerzeit bis zum italienischen Faschismus ein Verbannungsort. 1941 verfasste der italienische Antifaschist Altiero Spinelli mit Gleichgesinnten dort in seiner Haft das „Manifest von Ventotene“, in dem er für ein vereintes Europa plädierte.

Blick vom Flugzeugträger auf die italienische Küste

APA/AFP/Vicenzo Pinto

Blick von der „Giuseppe Garibaldi“ auf Ventotene

Merkel und Hollande seien in Italien, um die Europäische Union „von Grund auf“ neu zu beleben, sagte Renzi im Vorfeld des Treffens. „Das braucht sie.“ Renzi, Hollande und Merkel besuchten am Montag auch das Grab Spinellis. Sie brachten Blumengestecke mit, und neben der Gruft wehten die Flaggen der drei Länder, wie Fernsehbilder zeigten.

Keine einfachen Gespräche für Merkel

Für die deutsche Bundeskanzlerin wird diese Woche überhaupt zum Marathon. Nach dem Dreiergipfel tourt sie durch halb Europa, von Estland über Tschechien nach Polen, danach stehen Gespräche in Berlin an. Einerseits geht es dabei um die Suche nach einer gemeinsamen Linie nach dem „Brexit“-Votum, andererseits um Merkels eigene politische Zukunft.

Sie muss ihren Ruf als europäische Krisenmanagerin beweisen bzw. wiederherstellen. Besonders am Freitag dürfte es für Merkel nicht einfach werden: Sie spricht in Warschau mit Vertretern der Visegrad-Staaten. Diese - Polen, Tschechien, die Slowakei und Ungarn - sind vehemente Gegner ihres Flüchtlingskurses.

Kern am Samstag bei Merkel

Auch die anschließenden Gespräche auf Schloss Meseberg bei Berlin dürften kein Spaziergang werden. Am Freitag erwartet Merkel dort die Ministerpräsidenten der Niederlande, Finnlands, Schwedens und Dänemarks, am Samstag kommen Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) sowie die Regierungschefs von Slowenien, Bulgarien und Kroatien. „Es geht darum, möglichst breit aufgestellt mit möglichst vielen unserer europäischen Partner zu sprechen - und zwar ergebnisoffen“, sagte Merkel-Sprecher Steffen Seibert.

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