Brutalität ohne Grenzen
Der Bürgerkrieg hat in fast allen Teilen Syriens tiefe Wunden geschlagen - einer der berüchtigtsten Orte des Kriegsschreckens ist wohl das Gefängnis Saidnaja (Saydnaya). In dem streng abgeschirmten riesigen Komplex - rund 30 Kilometer nördlich von Damaskus - wurden und werden seit Jahren Tausende Syrerinnen und Syrer inhaftiert. Von der ersten Minute ihres Eintreffens an sind sie dabei schwerer Folter ausgesetzt.
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Amnesty International rekonstruierte nun diesen Ort des Grauens in einer 3-D-Animation. Da Journalisten oder unabhängige Beobachter keinen Zugang haben und es keinerlei aktuelle Bilder aus dem Riesenkomplex gibt, musste sich Amnesty auf die Aussagen von Überlebenden verlassen. Die Häftlinge befinden sich dauernd im Dunkeln und in brutal erzwungener Stille.
Erinnerungen ans Dunkel
Die Interviewten mussten sich daher auf ihre Erinnerung an die Geräusche verlassen: Schritte, Türen, die auf- und wieder zugesperrt werden oder Wasser, das in Leitungen tropft - diese und andere Geräusche waren für das Zeit- und Ortsempfinden entscheidend. Oft war den Betroffenen anhand der Geräusche und der Ortsveränderung bereits klar, dass ihnen Folter bevorstand - wenn auch oft nicht, welche genau.

Amnesty International/Forensic Architecture
65 frühere Häftlinge trugen ihre Erinnerung für die Rekonstruktion bei
Konkret stützt sich die Dokumentation auf die Aussagen von 65 früheren Häftlingen in syrischen Gefängnissen. Der „Katalog von Horrorgeschichten“ zeige in „grausamen Details die fürchterliche Misshandlung von Insassen“, erklärte Amnestys Nahost-Direktor Philip Luther. Folter sei Teil von systematischen und weit verbreiteten Übergriffen gegen jeden, der unter dem Verdacht stehe, gegen die Regierung zu sein.
„Willkommensparty“ für Gefangene
Gefangene berichteten etwa über ein Ritual, das sie als „Willkommensparty“ bezeichneten. Dazu gehörten heftige Schläge mit Knüppeln oder Kabeln. „Sie behandelten uns wie Tiere. Sie wollten, dass die Menschen so unmenschlich wie möglich sind“, erzählte einer der Überlebenden.
Andere erklärten, dass sie im Wasser stehen mussten und Elektroschocks erhielten oder ihnen die Fingernägel herausgerissen worden seien.
Spitznamen für Foltermethoden
Einige der verwendeten Methoden waren demnach so verbreitet, dass sie Spitznamen hatten. Beim „Fliegenden Teppich“ wird ein Häftling auf eine klappbare Tafel gebunden und die Tafel dann zusammengeklappt. Oder der „Reifen“: ein Gefangener wird mit dem Kopf zwischen seinen Knöcheln voraus in einen Autoreifen hineingepresst und dann geschlagen. Männer wie Frauen berichteten von Vergewaltigungen und sexuellem Missbrauch.
Zudem gab es Berichte, dass Gefangene in völlig überfüllten Zellen neben Leichen schlafen mussten. Das deckt sich mit früheren Berichten von Häftlingen, die aus syrischen Gefängnissen freikamen.
Wärter hüpfte auf Kopf von Häftling
Ein Überlebender berichtet, dass die Zellen knapp über dem Boden einen kleinen aufklappbaren Durchlass hatten - gerade so groß, dass die Häftlinge auf Befehl des Wärters ihren Kopf quer durchstrecken konnten. Der Wärter sei ihm bei einer Gelegenheit mehrmals auf den Kopf gesprungen und habe dagegengetreten, bis er stark zu bluten begonnen habe. Der Wärter habe ihn dann fast bewusstlos so zurückgelassen.
Die Gefangenen würden in Saidnaja an akuten mentalen Problemen leiden, so Amnesty - auch aufgrund der völligen Überfüllung und des Fehlens von Tageslicht. Teilweise müssten 50 und mehr Häftlinge in Zellen mit weniger als zehn Quadratmetern ausharren. Viele Häftlinge würden an den Folgen leicht heilbarer medizinischer Probleme sterben.
„Traumatisiert und gebrochen“
„Dieser absolute Horror soll den Willen der Inhaftierten brechen. Überlebende sind psychologisch traumatisiert und physisch gebrochen. Es braucht oft intensive medizinische und emotionale Unterstützung, um sie ins Leben zurückzuführen“, so Amnesty.
Amnesty beziffert die Zahl der Toten in den Gefängnissen seit Beginn des Bürgerkriegs im März 2011 auf 17.723. Durchschnittlich kämen pro Monat in Gefängnissen der Regierung 300 Menschen ums Leben. Dabei handle es sich um eine konservative Schätzung. Da Zehntausende in den syrischen Gefängnissen verschwunden seien, sei die tatsächliche Zahl wahrscheinlich höher.
Appell an Staatengemeinschaft
Die Menschenrechtsorganisation warf Damaskus Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor und forderte, die Verantwortlichen vor Gericht zu bringen. Amnesty rief die internationale Gemeinschaft auf, den Druck auf Syrien zu erhöhen, damit alle gewaltlosen politischen Gefangenen sofort freigelassen sowie Folter und Misshandlungen eingestellt würden.
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