„Krieg für Unabhängigkeit geht weiter“
Am 25. Unabhängigkeitstag ist in der Ex-Sowjetrepublik Ukraine nicht allen zum Feiern zumute. Im Krieg im Osten sterben Menschen, Armut und Korruption prägen den Alltag. Schafft das Land die Wende?
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Am 24. August begeht die Ukraine den 25. Jahrestag der Unabhängigkeit von der Sowjetunion. Präsident Petro Poroschenko wird in der Hauptstadt Kiew als Zeichen neu gewonnener militärischer Stärke eine Parade von 4.000 Soldaten sowie Panzern, Haubitzen und Raketenwerfern abnehmen.
Denn das Land muss sich wehren, seit Russland 2014 im Handstreich die Halbinsel Krim wegnahm und im Osten einen prorussischen Aufstand mit Soldaten und Waffen anheizte. „Der Krieg für die Unabhängigkeit geht weiter“, sagte Poroschenko bei der Militärparade vor einem Jahr. In diesen Wochen lassen neue Drohungen von Kreml-Chef Wladimir Putin sogar eine Ausweitung der Kämpfe befürchten.
90 Prozent für „Los von Moskau“
Dabei hatten sich die Ukrainer eine glänzende Zukunft erhofft, als ihr Parlament nach dem gescheiterten Putsch gegen den sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow im August 1991 die Unabhängigkeit ausrief. Mit mehr als 90 Prozent Zustimmung bestätigten die Bewohner der nach Russland wichtigsten Sowjet-Republik dann im Dezember, dass sie einen eigenen Staat wollen.
„Los von Moskau“ war die Devise. Die Schwerindustrie im Donbass, Raumfahrt- und Raketentechnik und die berühmte fruchtbare Schwarzerde schienen günstige wirtschaftliche Voraussetzungen für die Ukraine zu bieten.
Zweitärmstes Land Europas
Doch in einem Vierteljahrhundert ist Europas zweitgrößter Flächenstaat nicht auf die Beine gekommen, sondern von Krise zu Krise geschlittert. Das liegt nicht nur am Druck Moskaus. Schuld sind auch verschleppte Reformen, verantwortungslose Eliten und innere Spaltungen. Zwar war der Graben zwischen dem national-ukrainischen Westen und dem russisch geprägten Osten nie so tief wie vom Ausland angenommen - er wurde aber auch nie überwunden.
Nach Angaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) ist die Ukraine mit 1.790 Euro Durchschnittseinkommen je Einwohner das zweitärmste Land Europas nach Moldawien. Mit Russland konkurriert sie laut der NGO Transparency International um den zweifelhaften Titel des korruptesten europäischen Staates.
„Orange Revolution“ und Maidan-Bewegung
Die Bevölkerung ist unabhängig von der Annexion der Krim durch Russland geschrumpft durch Abwanderung und geringe Geburtenziffern. Von einst 52 Millionen sind dem Statistikamt zufolge nur noch 43 Millionen Ukrainer übrig - mit weiter abnehmender Tendenz.
Zweimal begehrte die Mittelschicht gegen die Zustände auf, 2004 bei der „Orange Revolution“ und 2013/14 bei der Maidan-Bewegung. Zwar kämpfte sich das Land in der internationalen Wahrnehmung aus dem Schatten Russlands heraus. Doch die Hoffnungen auf eine Annäherung an den Westen und dessen Wohlstand wurden bisher nicht erfüllt.
Im Gegenteil verfielen mit jedem Umbruch die schwachen staatlichen Institutionen weiter. Idole enttäuschten durch Selbstbereicherung. Die Zivilgesellschaft brachte bei der Maidan-Bewegung hohe Opfer, trotzdem drohen Reformen wie die Erneuerung der Polizei an Unterfinanzierung und Kompetenzgerangel zu scheitern.
Anhaltender Reformbedarf
Eine unabhängige Justiz und Rechtssicherheit sind trotz wiederholter Anläufe nicht in Sicht. 76 Prozent der Ukrainer finden, dass die Staatsführung das Land in die falsche Richtung lenkt. Doch geht es in der öffentlichen Diskussion vor allem um Gefahren von außen.
Der ehemalige Präsident Viktor Juschtschenko, auch er ein entzauberter Hoffnungsträger, hat mehrfach vor dem Verlust der Staatlichkeit gewarnt. „Die staatliche Unabhängigkeit nehmen wir nicht auf die leichte Schulter, dafür haben wir einen hohen Preis gezahlt. Wir haben im 20. Jahrhundert sechsmal unsere Unabhängigkeit erklärt und sie fünfmal wieder verloren“, sagte er 2008 der Zeitung „Die Welt“ angesichts des russischen Eingreifens in Georgien.
„Feinde wie Tau in der Sonne“
Acht Jahre später ist die Warnung so aktuell wie nie. Moskau hat sich mit der Krim mehr als vier Prozent des ukrainischen Territoriums angeeignet. Weite Teile der ostukrainischen Gebiete Donezk und Luhansk stehen unter Kontrolle der von Russland militärisch unterstützten Separatisten.
Daher wirkt es wie ein kleines Wunder, dass auch in diesem Jahr die gelb-blaue Staatsflagge zum Klang der Hymne emporgezogen wird. Viele der Ukrainer werden wie zum Trotz die Zeile singen: „Verschwinden werden unsere Feinde wie Tau in der Sonne.“
Andreas Stein und Friedemann Kohler/dpa
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