De Maiziere verteidigt geleakten Bericht
Ein nicht für die Öffentlichkeit bestimmter Bericht des deutschen Innenministeriums bringt das türkische Außenministerium in Rage. In dem Bericht wird die Regierung unter Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan als „zentrale Aktionsplattform“ für islamistische und terroristische Organisationen eingestuft. Das türkische Außenministerium wies die Einstufung am Mittwoch scharf zurück.
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Die unter Berufung auf einen Bericht des deutschen Bundesnachrichtendienstes (BND) aufgestellten Behauptungen seien „ein neuer Beweis für die verdrehte Mentalität, mit der seit einiger Zeit versucht wird, unser Land zu zermürben, indem unser Staatspräsident und unsere Regierung ins Visier genommen werden“, teilte das türkische Außenministerium in Ankara mit. Es stellte zugleich „eine Klärung vor bundesdeutschen Gerichten“ in Aussicht.
Verbindung zu Terrororganisationen
In der Stellungnahme der deutschen Bundesregierung, die als vertraulich eingestufte Antwort auf eine Anfrage der Linkspartei am Dienstag zuerst von der ARD publik gemacht wurde, heißt es unter anderem, die Türkei habe sich seit 2011 schrittweise „zur zentralen Aktionsplattform für islamistische Gruppierungen der Region des Nahen und Mittleren Ostens“ entwickelt.
Genannt werden darin die radikalislamische Palästinenserorganisation Hamas, die Muslimbruderschaft in Ägypten und die „Gruppen der bewaffneten islamistischen Opposition in Syrien“. Zugleich stellte die deutsche Regierung in dem Bericht erstmals eine direkte Verbindung zwischen Erdogan und einer Terrororganisation her - als solche wird zumindest die Hamas seit 2003 in der Europäischen Union eingestuft.
„Doppelte Standards“ im Anti-Terror-Kampf
Bezüglich der BND-Analyse, die nicht für die Veröffentlichung gedacht war, erklärte das türkische Außenministerium, die Türkei sei ein Land, „das den Terror welcher Herkunft auch immer aufrichtig bekämpft“. Das erwarte sie auch von ihren Partnern und Verbündeten.
Offensichtlich mit Blick auf die Linkspartei erklärte das türkische Außenministerium, es sei ganz offensichtlich, dass „bestimmte politische Kreise“ in Deutschland hinter den aufgestellten Behauptungen stünden. Diese seien für ihre „doppelten Standards“ in Bezug auf den Anti-Terror-Kampf bekannt, vornehmlich bezüglich der „gegen die Türkei gerichteten blutigen Attacken“ der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei (PKK).
Scharfe Kritik von türkischen Medien
Scharfe Kritik kam auch von regierungsnahen türkischen Medien. Die Tageszeitung „Yeni Safak“ schrieb am Mittwoch von einer „niederträchtigen Verdrehung der Tatsachen“. Die ARD habe die Antwort der Regierung „verfälscht“ und damit Reaktionen mit Beschuldigungen der Türkei ausgelöst. „Hürriyet“ kritisierte unter der Überschrift „Schock-Behauptung aus Deutschland“, dass Erdogan erstmals offiziell in Zusammenhang mit einer Terrororganisation genannt werde.
Von „Verleumdung“ und „Lug und Trug“ war in der Tageszeitung „Sabah“ die Rede. Während Deutschland Mitgliedern der PKK erlaube, sich frei auf den Straßen zu bewegen und Geld für die Organisation einzusammeln, beschuldige es die seit Jahren gegen den Terror kämpfende Türkei, radikale islamische Terrororganisationen zu unterstützen.
De Maiziere: Teilaspekt dortiger Wirklichkeit
Der deutsche Innenminister Thomas de Maiziere (CDU) verteidigte den von seinem Haus zusammengestellten Regierungsbericht, relativierte ihn zugleich aber als Teilbewertung. „Da ist nichts zu bereuen“, sagte er dem RBB-Fernsehen. Der Text sei lediglich „eine pointierte Darstellung eines Teilaspekts türkischer Wirklichkeit“. De Maiziere fügte hinzu: „Die Wirklichkeit in der Türkei und unsere Zusammenarbeit mit der türkischen Regierung geht darüber hinaus.“
„Büroversehen im Innenministerium“
Der SPD-Abgeordnete Johannes Kahrs warf dem Innenministerium vor, das Auswärtige Amt absichtlich nicht in die brisante Türkei-Bewertung einbezogen zu haben. „Fehler passieren, hier wirkt es halt eher gewollt“, sagte der Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises in der SPD dem „Handelsblatt“.
Das Innenministerium hatte in Zusammenhang mit der Einschätzung von einer Kommunikationspanne gesprochen und die Nichteinbeziehung des Auswärtigen Amts ein „Büroversehen“ genannt. Ein Sprecher des Innenministeriums räumte ein, der zuständige Sachbearbeiter habe es versäumt, das Auswärtige Amt in die Beantwortung der parlamentarischen Anfrage einzubeziehen. Er sagte: „Der Fehler ist bei uns passiert.“ Eine offene Beantwortung könne „aus Gründen des Staatswohls“ nicht erfolgen, hatte Innenstaatssekretär Ole Schröder laut ARD die Vertraulichkeit der Antwort begründet.
Opposition schießt sich auf Regierung ein
Die Linksfraktion legte am Mittwoch nach und äußerte Sorge um den Schutz sensibler Daten im Anti-Terror-Kampf. Es sei problematisch, wenn die Türkei als Mitglied der Allianz gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) die von Bundeswehr-Tornados gesammelten Aufklärungsdaten bekomme und diese dann möglicherweise „an ihre Terrorbrüder, islamistische Gruppierungen, Terrorgruppen weitergibt“, sagte die außenpolitische Fraktionssprecherin Sevim Dagdelen im ZDF-„Morgenmagazin“. In der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ verlangte sie, Erdogans Konten zu sperren.
Der Flüchtlingsdeal und die damit verbundenen Milliardenzahlungen rückten nun „in ein noch zweifelhafteres Licht“, sagte der stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Konstantin von Notz, der „Mitteldeutschen Zeitung“. „Und die Bundesregierung muss sich fragen lassen, ob sie jemanden unterstützt, der Terrorismus unterstützt.“ Der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter sagte, die Verhandlungen über eine Visaliberalisierung könnten so nicht fortgesetzt werden.
Die Regierung will indes trotz der jüngsten Irritationen an ihrer Zusammenarbeit mit der Türkei festhalten. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte am Mittwoch in Berlin: „Die Türkei ist aus unserer Sicht ein Partner im Kampf gegen den IS.“ Zur Kooperation in der Flüchtlingsfrage sagte er, Deutschland habe keinen Anlass, „dieses sinnvolle Abkommen infrage zu stellen“.
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