190 Staatsanwälte auf Fahndungsliste
Die türkische Führung unter Präsident Recep Tayyip Erdogan geht weiter mit aller Härte gegen vermeintliche Anhänger des im US-Exil lebenden Predigers Fethullah Gülen vor. Am Montag wurden erneut etliche Menschen verhaftet. Zudem kündigte die Regierung weitere Massenentlassungen an.
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Allein bei Razzien in mehreren Gerichten in der türkischen Metropole Istanbul wurden nach Angaben der Nachrichtenagentur Anadolu 136 Personen festgenommen. Den Angaben zufolge sucht die Polizei insgesamt 190 verdächtige Staatsanwälte und andere Justizbeamte, den vorgeworfen wird, Gülen nahezustehen.
Bereits am Sonntag wurde zudem der frühere leitende Staatsanwalt der östlichen Region Erzurum festgenommen, als er die Grenze zu Syrien überqueren wollte. Nach Angaben eines Regierungsvertreters, der anonym bleiben wollte, wurde Ekrem Beyaztas von Grenzbeamten südlich der Stadt Kilis aufgegriffen. Weshalb er nach Syrien reisen wollte, blieb unklar.
35.000 Menschen festgenommen
Erdogan geht seit dem gescheiterten Umsturzversuch, für den er Gülen verantwortlich macht, energisch gegen mutmaßliche Regierungsgegner in Militär und Politik, aber auch gegen Juristen, Journalisten und Wissenschaftler vor. Offiziellen Angaben zufolge wurden bisher mehr als 35.000 Menschen festgenommen. 11.600 davon seien wieder auf freiem Fuß. Gegen mehr als die Hälfte der Festgenommenen sei aber ein Haftbefehl ergangen.
Entlassungen im Innen- und Außenministerium
Rund vier Wochen nach dem gescheiterten Militärputsch kündigte die Regierung unterdessen auch weitere Massenentlassungen an. Betroffen seien das Außen- und das Innenministerium, sagte der stellvertretende Ministerpräsident, Numan Kurtulmus, am Montag.
Auch beim Militär und bei der Küstenwache werde es nach einem entsprechenden Dekret Entlassungen geben. Zudem würden Militärhospitäler unter die Kontrolle des Gesundheitsministeriums gestellt, wie Kurtulmus nach einer Kabinettssitzung sagte.
Seit Mitte Juli wurden bereits Zehntausende Angehörige von Militär, Verwaltung, Justiz und Bildungswesen entlassen. Vergangene Woche hatte Innenminister Efkan Ala erklärt, dass rund 76.000 Beschäftigte des öffentlichen Dienstes suspendiert worden seien.
Erdogan will Türkei von „Virus“ befreien
Erdogan hält die Festnahmen und Entlassungen für nötig, um die Türkei vom „Virus“ der Gülen-Bewegung zu befreien. Der in den USA lebende Prediger weist eine Mitverantwortung für den Putschversuch hingegen zurück. International wird das harsche Vorgehen der türkischen Behörden kritisiert.
Scharfe Kritik an der Vorgangsweise der Behörden kam auch vom Chefredakteur der oppositionellen türkischen Tageszeitung „Cumhuriyet“, Can Dündar. Aus Sicht des in der Türkei wegen Geheimnisverrates verurteilten Journalisten herrsche nach dem gescheiterten Putschversuch verhängten Ausnahmezustands nun „Gesetzlosigkeit“.
Die Regierung missbrauche den Ausnahmezustand, um die Justiz zu kontrollieren, klagte Dündar. „Einer solchen Justiz zu trauen wäre, als ob man seinen Kopf unter eine Guillotine legt.“ Da er keinen fairen Prozess erwarten könne, werde er sich der Justiz entziehen, „zumindest solange der Ausnahmezustand nicht aufgehoben wird“.
Zu mehrjähriger Gefängnisstrafe verurteilt
Am Montag legte Dündar seinen Posten als „Cumhuriyet“-Chefredakteur nieder. In der am Montag veröffentlichen Kolumne kündigte Dündar zudem an, er werde sich nach seiner Verurteilung zu knapp sechs Jahren Haft vorerst nicht der türkischen Justiz stellen.
Der Journalist war im Mai nach der Veröffentlichung eines Artikels über Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes an Islamisten in Syrien zu fünf Jahren und zehn Monaten Gefängnis verurteilt worden. Bis zu seinem Berufungsverfahren bleibt er aber auf freiem Fuß. Er wird derzeit in Deutschland vermutet.
Aserbaidschan geht gegen Gülen-Anhänger vor
Unterdessen haben die Justizbehörden in Aserbaidschan Ermittlungen gegen mutmaßliche Gülen-Anhänger eingeleitet. „Um illegale Aktionen der Terrororganisation von Fethullah Gülen auf aserbaidschanischem Gebiet zu verhindern, hat der Generalstaatsanwalt ein Strafverfahren eingeleitet“, sagte Gerichtssprecher Eldar Sultanow. Zum genauen Inhalt der Ermittlungen wollte er sich nicht äußern.
Die frühere Sowjetrepublik Aserbaidschan ist ein traditioneller Verbündeter der Türkei. Im Juli hatten die aserbaidschanischen Behörden eine private Fernsehstation stillgelegt, die ein Interview mit Gülen ausstrahlen wollte. Das wurde damit begründet, dass die „strategische Partnerschaft“ zwischen Ankara und Baku nicht „beschädigt“ werden dürfe.
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