Suche nach „neuem Gleichgewicht“
In Thailand regieren die Militärs seit Mai 2014 mit harter Hand. Politische Versammlungen von mehr als fünf Personen sind verboten. Die gestürzte ehemalige Premierministerin Yinluck Shinawatra steht wegen Amtsmissbrauchs vor Gericht. Bei einer Verurteilung droht ihr eine lange Gefängnisstrafe. Das Land ist so tief gespalten wie selten zuvor - und der 88-jährige König Bhumibol schwer krank.
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Der Politikwissenschaftler Thitinan Pongsudhirak von der Chulalongkorn-Universität in Bangkok befürchtet sogar, dass sich Thailand in die entgegengesetzte Richtung des Nachbarlandes Myanmar entwickeln könnte: „Nach sieben Jahrzehnten Militärregierung gibt es in Myanmar eine demokratische Wende und einen wirtschaftlichen Aufschwung, während sich die Situation in Thailand verschlechtert.“
In den letzten zehn Jahren habe es in Thailand zweimal einen Putsch gegeben. Thitinan Pongsudhirak spricht gegenüber ORF.at von einem richtiggehenden „Putschzyklus“: „Auf eine Militärregierung folgte eine neue Verfassung, Neuwahlen, es gab Korruptionsvorwürfe und neuerlich einen Putsch.“ Das Fundament des Staates seien seit dem Ende des Zweiten Welktriegs die starken Streitkräfte, die Staatsbürokratie und die Monarchie - genauer gesagt der 88-jährige König Bhumibol.
Idol und Strippenzieher
Er schaffte es nach seiner Inthronisierung im Juni 1946, das Land binnen weniger Jahre unter seine Kontrolle zu bringen - und bis heute bilden Bhumibol und das von ihm aufgebaute Patronage-System jenes informelle Machtgefüge, ohne das in Thailand wenig geht.
Bhumibol vergab im Gegenzug für großzügige Spenden an vom Königshaus verwaltete wohltätige Einrichtungen Titel und Orden. Auf diese Weise wurde die Monarchie laut „Economist“ zur zentralen Wohltätigkeitsorganisation des Landes. Der Kult rund um den König, der über die Jahrzehnte aufgebaut wurde, machte jede Form von Kritik an Bhumibol unmöglich, ja tabuisierte den König regelrecht. Tatsächlich ist Kritik am König per Gesetz verboten - und dieses wird äußerst extensiv ausgelegt. Ein Thai, der sich über den inzwischen verstorbenen Lieblingshund des Königs im Internet lustig machte, landete vor Gericht.
Wunsch des Königs als Befehl
Wie sehr Bhumibol an der vertrackten Situation mitverantwortlich ist, schilderte bereits 2006 der US-Journalist Paul Handley in einer der wenigen kritischen Biografien über Bhumibol. Hinter den Kulissen zog er demnach über Jahrzehnte immer die Strippen - bis hinauf zum Höchstgericht und bis weit unten in der bürokratischen Hierarchie galt und gilt demnach der königliche Wille praktisch als Befehl. Damit habe Bhumibol aber beständig den Rechtsstaat untergraben.

Reuters/Jorge Silva
Bilder des Königs sind in Thailands Städten und Dörfern allgegenwärtig
International unterstützt wurde Bhumibol dabei stets von den USA, die Bhumibols Thailand nach 1945 im Kalten Krieg rasch als prowestliche Bastion im regionalen kommunistischen Umfeld erkannten. Mit dem Entstehen einer neuen Mittelschicht haben sich die politischen Gewichte in den letzten Jahren jedoch verlagert. Die neue Mittelschicht fordert mehr politische Partizipation ein - auf Kosten der bisherigen informellen Machtelite aus König, Militär und Bürokratie.
Da Bhumibols Nachfolge ungeregelt ist, wird der König, der seit Jahren großteils in einem Bangkoker Spital residiert, in dieser fragilen Situation zudem vom Stabilitätsfaktor zusehends zum Unsicherheitsfaktor.
„Männer ohne Ehre“
Das härteste Urteil über die Militärs kommt vom Aktivisten und Sozialkritiker Sulak Sivalaksa. Der 82-jährige buddhistische Gelehrte hatte bereits mehrmals wegen Majestätsbeleidigung mit den Behörden zu tun. Gegenüber den Generälen nimmt er sich kein Blatt vor den Mund: „Das sind Männer ohne Ehre, denen Wahrheit und Freiheit nichts bedeuten. Denen geht es nur um die Macht.“
Tatsächlich hatte die Militärjunta zunächst eine baldige Rückkehr zur Demokratie in Aussicht gestellt. Jetzt soll erst 2017 gewählt werden. Doch immer öfter wird der Verdacht laut, die Militärs würden auch danach ihre Macht nicht abgeben.
Die Auseinandersetzung konzentriert sich auf einen autoritären Verfassungsentwurf, den die Militärregierung im Sommer per Volksabstimmung abgesegnet haben will. Die von den Militärs propagierte Verfassung entmachtet die Parteien und gibt den Streitkräften und den traditionellen Eliten das letzte Wort.
Nur ein Ausweg aus Teufelskreis
„In den letzten zwei Jahrzehnten sind die Kräfte immer stärker geworden, die eine breitere Basis für das politische System verlangen“, so der Politikwissenschaftler Thitinan Pongsudhirak. Die Folge waren wiederholte Wahlsiege des Populisten und Millionärs Thaksin Shinawatra, der bei den Eliten verhasst ist und von den Militärs vertrieben wurde. „Thailand muss zu einem neuen Gleichgewicht zwischen der alten Ordnung und den neuen demokratischen Kräften finden“, ist der Politologe überzeugt. „Solange das nicht gelingt, wird es immer mehr Unruhen und Spannungen geben.“
Raimund Löw, ORF.at, aus Bangkok
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